McKinsey-Studie:
Corona-Umbrüche rütteln massiv am Arbeitsmarkt
Weltweit sind über 100 Millionen Arbeitnehmer von den Veränderungen der Arbeitswelt betroffen, die mit Corona gekommen sind. Für sie bedeutet es entweder Weiterbildung oder sogar der Berufswechsel.
Für den Arbeitsmarkt wirkt die Corona-Pandemie wie ein Brennglas. Die Umbrüche beschleunigen sich und verändern die Arbeitsverhältnisse von mehr als 100 Millionen Beschäftigten weltweit, insbesondere wenn sie direkten Kunden- oder Kollegenkontakt haben. In Deutschland betrifft es rund 10,5 Millionen Arbeitnehmer.
Bis 2030 werden sich rund 6,5 Millionen Beschäftigte neue Fähigkeiten und Qualifikationen aneignen oder umschulen müssen. Über vier Millionen Arbeitnehmer werden sogar in andere Berufe wechseln müssen, weil sich die Nachfrage nach ihren Tätigkeiten oder Dienstleistungen noch schneller reduzieren wird, als vor COVID-19 angenommen.
Dies sind die zentralen Ergebnisse einer neuen Studie des McKinsey Global Institute (MGI) mit dem Titel "The future of work after COVID-19". Der volkswirtschaftliche Think Tank der Unternehmensberatung McKinsey & Company hat dafür die wichtigsten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung bis 2030 in acht Ländern untersucht, neben Deutschland noch in China, Frankreich, Indien, Japan, Spanien, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten.
Mobile Work, E-Commerce und Automatisierung
In der MGI-Analyse kristallisierten sich drei Trends heraus, die sich bereits vor der Pandemie in der Arbeitswelt, im Verbraucherverhalten und in Geschäftsmodellen abzeichneten, nun jedoch einen starken Schub bekommen haben: den Trend zum mobilen Arbeiten, zu E-Commerce und virtuellen Interaktionen sowie zur Automatisierung von Produktion und Prozessen und dem Einsatz von KI-Technologien. "Diese Trends werden die Umwälzungen und Veränderungen von Arbeitsplätzen in den nächsten zehn Jahren weiter beschleunigen", stellt McKinsey-Partner Tilman Tacke fest. Weltweit dürften über 100 Millionen Arbeitnehmer betroffen sein – von Umschulungen und Weiterbildungen oder von Jobwechseln.
Von den Umbrüchen am Arbeitsmarkt langfristig betroffen sind verschiedenste Bereiche, vor allem aber auch Tätigkeiten mit direktem Kunden- und Kollegenkontakten z.B. im Handel oder in Banken sowie in der Gastronomie. Aber auch in Fabrikproduktion und Lagerwesen sowie in Büro- und Verwaltungsjobs werden Automatisierung und Digitalisierung Jobs massiv verändern oder wegfallen lassen.
Gleichzeitig werden aber auch neue Jobs entstehen, vor allem im Gesundheits- und Pflegebereich, aber auch in der Programmierung, im Ingenieurwesen oder im Transportbereich und öffentlichen Nahverkehr.
Mehr Homeoffice, weniger Geschäftsreisen
Die Studie zeigt: Deutschland ist von den Veränderungen in der Arbeitswelt in Europa am meisten betroffen. Ein Grund ist der große Anteil des verarbeitenden Gewerbes, das eine der höchsten Automatisierungsverschiebungen (27 Prozent) aufweist. Im Vergleich mit den anderen untersuchten Wirtschaftsnationen hat Deutschland neben dem Vereinigten Königreich zudem den größten Anteil an Arbeitstätigkeiten, die ins Homeoffice verlegt werden könnten: Nahezu jeder vierte Beschäftigte (24 Prozent) könnte seine Beschäftigung an drei bis fünf Tagen von zuhause aus ausüben – im Vergleich zu 22 bzw 21 Prozent in den USA und Frankreich.
Erste Auswirkungen auf den Immobilienmarkt zeigt die MGI-Analyse auch: Besonders in Großstädten stehen immer mehr Büroflächen leer. In Berlin hat der Büroflächenleerstand binnen Jahresfrist um 27 Prozent zugenommen, im Großraum München um 14 Prozent sowie in Frankfurt und Düsseldorf um jeweils 8 Prozent. Durch mehr Homeoffice und die positiven Erfahrungen mit der Nutzung von Videokonferenztechniken könnte sich die Zahl der Geschäftsreisen zudem ebenfalls langfristig um bis zu 20 Prozent reduzieren.
Schwierig für Frauen, Jüngere, Geringqualifizierte und Einwanderer
Die MGI-Analyse zeigt auch, dass sich die Veränderungen und Umbrüche vor allem auf vier Bevölkerungsgruppen auswirken, die es am Arbeitsmarkt sowieso schon tendenziell schwerer haben: In Deutschland sind davon 3,1 mal mehr Frauen betroffen als Männer, 2,7 mal mehr Beschäftigte ohne höheren Bildungsabschluss, 1,4 mal mehr Arbeitnehmer jünger als 24 Jahre sowie 1,7 mal mehr eingewanderte, ausländische als deutsche Arbeitnehmer.
Gleichzeitig ist Deutschland dem MGI zufolge aber auch besser gerüstet für die Bewältigung dieser Verschiebungen am Arbeitsmarkt aufgrund des größeren formalen Berufsbildungssektors; rund 50 Prozent der Beschäftigten im Bildungsbereich haben eine tertiäre Ausbildung im Vergleich zu rund 35 Prozent in anderen europäischen Ländern. Und gleichzeitig zeichnet sich durch den prognostizierten Rückgang der Erwerbsbevölkerung um 5 Prozent bereits bis 2030 ab, dass es mehr Arbeitsplätze als Arbeitnehmer geben könnte.