W&V Data Marketing Day 2017:
Conversational Commerce: Die Business-Bots werden längst akzeptiert
Bots oder Assistenten wie Alexa bereiten den Weg für Live-Support. Jedoch fehlt für den durchschlagenden Erfolg von Conversational Commerce noch ein zwangsläufig konsequenter Paradigmenwechsel bei den Marketern: weg von der Reichweite, hin zur individuellen Relevanz.
Rund zwei Jahre ist es her, da prägte Chris Messina den Begriff "Conversational Commerce". Messenger, darauf basierende oder unabhängige Bots sollen einen erheblichen Teil der direkten Kommunikation mit dem potentiellen Kunden übernehmen und seine Fragen individuell beantworten, um ihn schlussendlich zu einem Kauf, einem Vertragsabschluss oder einem vergleichbaren Schritt zu leiten.
Der zum damaligen Zeitpunkt bereits sehr optimistische Ausblick des Ex-Googlers und Ex-Ubers entstand unter dem Eindruck rasanter Entwicklungen der zugrundeliegenden Technologien. Mark Zuckerbergs Social Platform übernahm Whatsapp und dominiert seitdem gemeinsam mit dem Facebook Messenger den Markt für diese Anwendungen. Apple, Google, Amazon und Microsoft entwickeln mit Siri, Assistant, Alexa und Cortana mächtige persönliche Assistenten, die via Spracherkennung und Sprachausgabe mit dem Benutzer kommunizieren. IBM betreibt mit "Watson" ein System, dessen Künstliche Intelligenz bereits in den verschiedensten Branchen erfolgreich getestet wurde, zum Beispiel bei der medizinischen Diagnose oder in Callcentern.
Conversational Commerce basiert auf diesen Technologien und soll zusammengefasst dafür sorgen, dass Benutzer zu jedem erdenklichen Zeitpunkt personalisierte Antworten auf ihre in diesem Moment auftretenden Fragen erhalten - im Idealfall bevor sich die überhaupt Frage stellt. Das Smartphone als ständiger Begleiter, eine entsprechende App und eine darüber angesprochene Service-Plattform soll bequem, in Echtzeit und ohne übertriebene Anforderungen an die Aufmerksamkeit des Benutzers die maßgebliche Unterstützung zur Entscheidungsfindung liefern.
Die technischen Möglichkeiten zur Echtzeitinteraktion mit einem potentiellen Interessenten eröffnen den Unternehmen die Möglichkeit, dem jeweiligen Benutzer persönlich, auf digitaler Ebene vis-à-vis beziehungsweise "auf Augenhöhe" zu begegnen. In einem normalerweise vom Freundeskreis geprägten Umfeld wie einem Messenger kann eine für den Benutzer längst gewohnte und somit komfortable Gesprächssituation entstehen, in der der Benutzer die Gesprächsführung übernimmt und freimütig die vom Unternehmen benötigten Angaben macht. Dabei kann gerade die anfängliche Anonymität des Gegenübers als Bot die Hemmschwelle vieler Nutzer zur Kontaktaufnahme mindern und dazu führen, dass Kundenanforderungen in einer ungewöhnlich deutlichen und transparenten Weise kommuniziert werden.
Einhergehend mit dieser Entwicklung wird Conversational Commerce in verschiedenen Branchen zum elementaren Bestandteil einer umfassenden Cross-Channel- und Multichannel-Strategie. Wenn die Nutzungsbarriere sinkt, steigt damit quasi-automatisch die Bedeutung des entsprechenden Kommunikationskanals, wovon wiederum letztendlich auch andere Kanäle profitieren können. Wer seinen Kunden jederzeit und ortsunabhängig den Einstieg in den Kaufentscheidungsprozess und die Fortführung des selbigen ermöglichen will, wird um Conversational Commerce und die daraus resultierenden Möglichkeiten nicht herumkommen (wollen).
Seit dem Artikel von Chris Messina hat sich weitestgehend unbemerkt von der Fachpresse überraschend viel getan. Die zugrundeliegenden Algorithmen für die Spracherkennung und Sprachausgabe haben sich nochmals enorm weiterentwickelt und sind nun unter anderem in der Lage, die Bedeutung gesprochener Wörter und Sätze im thematischen Kontext oder im Zusammenhang mit eventuell relevanten Emotionen besser zu verstehen. Für einen signifikanten Teil der Nutzer ist es tatsächlich völlig "normal" geworden, sich mit einer Marke über einen Bot zu "unterhalten", so lange er ihnen die benötigten Informationen liefert. Global Player wie Uber haben die offenen Schnittstellen der Messenger zur Implementierung von entsprechenden Anwendungen genutzt und Amazon oder Google drängen mit spezieller Hardware wie dem "Echo" oder dem "Home" in die Wohnzimmer. In China gibt unterdessen WeChat längst den Takt vor.
Größere Bildschirmdiagonalen von Smartphones und bessere Texterkennungssysteme sowie Rechtschreibkorrekturen haben zudem zu einer Professionalisierung der Kommunikation geführt, die nun intuitiver und somit auch technisch in einer höheren Geschwindigkeit - und damit "echtzeitiger" - abläuft. Internetspezifischen Kommunikationselementen wie Emojis oder Facebooks Reactions können mehr oder weniger standardisierte Bedeutungen zugewiesen werden, was die Interpretation einer dem Medium geschuldeten Kommunikation enorm vereinfacht. Zugleich führen höhere Übertragungsraten und die zunehmende Verbreitung von ausreichend dimensionierten Datenflatrates zur Möglichkeit, auch Bilder, Audio-Daten oder Videos übertragen zu können, um die rein textbasierte Kommunikation sinnvoll zu erweitern.
Einhergehend mit dieser Entwicklung wuchs in den zurückliegenden Monaten die Fähigkeit der Systeme, zuvor nicht vorhandene oder angesichts ihrer Menge und Komplexität nicht zu verarbeitende Daten zu berücksichtigen. Moderne Bots sind heute zum Beispiel in der Lage, ortsbasierte Informationen in Windeseile bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Über entsprechende Schnittstellen können Beziehungen zu anderen Benutzern, Gesundheitsdaten, Wetterbedingungen und alle erdenklichen Informationen, die einen Entscheidungsprozess beeinflussen könnten abgefragt und verarbeitet werden. Last but not least wurde auch die letzte Hürde genommen: Bots können bei Bedarf das Mobile Payment abwickeln, ohne dass der Benutzer dazu auf eine externe Plattform wechseln muss.
Mit jedem einzelnen Schritt während der Konversation zwischen Bot und Benutzer wächst zudem das Verständnis für das Gegenüber. Während sich der Nutzer an die Funktionsweise des Bots gewöhnt und die mitunter noch recht technisch geprägten Abläufe verinnerlicht, kann der Bot die gesammelte Zahl der Interaktionen bei zukünftigen Anfragen berücksichtigen. In der Praxis wird z.B. ein gut gepflegter Bot eine bereits von vielen Nutzern gestellte Anfrage späteren Nutzern wesentlich zügiger beantworten können, was wiederum das Benutzererlebnis signifikant verbessert und mittelfristig zu einer intuitiveren und menschlicheren Kommunikation mit den Systemen führt. Man "versteht” sich immer besser.
Die logische Konsequenz dieser Entwicklungen ist, dass Service und Beratung für den Kunden noch einfacher zu erreichen sind und eventuell bestehende Lücken in der der Kundenansprache und -kommunikation geschlossen werden, in Echtzeit. Dabei soll die Konversation den Kunden nicht nur zum Kauf bewegen, sie soll dem Anbieter auch wertvolle Einsichten in die Wünsche und Bedürfnisse der adressierten Zielgruppe verschaffen. Mit der Verfügbarkeit solcher Systeme ergeben sich also konkrete Wettbewerbsvorteile, was zugleich zu einem wachsenden Druck auf andere Anbieter führt.
Bereits heute haben rund 57 Prozent aller deutschen Internetnutzer eine vergleichbare Kundenberatung in Echtzeit genutzt, wie das ECC Köln in Zusammenarbeit mit iAdvize in einer Befragung herausfand. Dabei fällt die Akzeptanz für die Systeme auch altersübergreifend hoch aus, was angesichts unterschiedlich hoher Ansprüche an die Einfachheit und Schnelligkeit der Systeme überrascht. Im Branchenvergleich zeigt sich, dass Conversational Commerce besonders dann gut funktioniert, wenn es vergleichsweise lange Entscheidungswege mit einem zwischenzeitlich erhöhten Beratungsbedarf gibt.
Während Beratungen für Produktsortimente mit vergleichsweise kurzen Beschaffungszyklen nicht oder nur selten nachgefragt werden, ändert sich die Tendenz in anderen Produktbereichen signifikant. Teure und mitunter langlebigere Elektrogeräte, Reisen oder Finanzprodukte gehörten schon immer zu den beratungsintensiven Artikeln, bei denen nun ein digitaler Assistent die Entscheidungswege und -findung maßgeblich beeinflussen kann. Aber auch bei der Freizeitgestaltung oder in der Fashionbranche könnten Unternehmen die Interaktion mit dem Interessenten via Chat, Messenger oder Call-Back nutzen, um in Echtzeit den jeweils aktuellsten Trend in den Fokus zu rücken.
Letztendlich gelten in allen Branchen die Grundregeln, die ein klassisch geschulter Verkäufer im stationären Handel im Idealfall aus dem Effeff beherrscht: Das Bedürfnis und Interesse des Kunden soll möglichst schnell erfasst und exakt bedient oder auf auf eine tatsächlich vorhandene Alternative gelenkt werden, Kaufabbrüche sollen verhindert werden. Im Idealfall verschmelzen der im stationären Handel gewohnte beziehungsweise vorausgesetzte Service und der bisher im Online-Shopping dominierende Verkauf im Conversational Commerce zu einer digitalen und vom Nutzer tatsächlich gewollten Einheit.
Eine besondere Stärke können Conversational Commerce Systeme auch dann ausspielen, wenn es um den After Sales Support geht. Sollte sich erst nach dem Kauf eines Produktes ein erhöhter Beratungsaufwand ergeben, zum Beispiel weil das Produkt vom Kunden selbst eingerichtet werden muss, kann ein digitaler Assistent die hierzu benötigten Informationen optimal und Schritt für Schritt kommunizieren. Ähnliches gilt für Reklamationen oder die Abwendung selbiger, wobei den gespeicherten und (kanalübergreifend) ausgewerteten Transkripten vorhergehender Gespräche mit anderen Kunden eine besondere Bedeutung zukommt.
Wie bei allen im Unternehmen bereits eingesetzten oder evtl. In der Planungsphase befindlichen Kommunikationssystemen lohnt sich auch beim Conversational Commerce ein Blick auf das Metcalfesches Gesetz. Angesichts der enormen Verbreitung von Smartphones und der hohen altersübergreifenden Akzeptanz von Messengern sowie den darauf basierenden Bots ergibt sich in puncto Kosten-/Nutzenverhältnis ein enormes Potential, das mittelfristig die oftmals noch rein senderbasierte, tatsächlich lineare (Werbe-)Kommunikation in Sozialen Netzwerken bei weitem überschreitet. Berücksichtigt man zudem die vergleichsweise intensive Nutzungsrate, den Wegfall von Kommunikationsbarrieren bei einer öffentlich geführten Kommunikation und die deshalb vom Marketing oftmals nie erreichte Intimität mit dem einzelnen Benutzer, kann man das Potential noch besser einschätzen.
Letztendlich fehlt für den durchschlagenden Erfolg von Conversational Commerce (im Multichannel) noch ein zwangsläufig konsequenter Paradigmenwechsel bei den Marketern: weg von der Reichweite, hin zur individuellen Relevanz. Nur dann werden Benutzer im "eigenen" Messenger Platz, Zeit und Aufmerksamkeit für die direkte Kommunikation mit einem Unternehmen einräumen.
Lernen Sie mehr zum Thema "Conversational Commerce" auf dem W&V Data Marketing Day 2017. Zum Programm geht es hier.
Conversational Commerce – Die Zukunft ist Live-Support
Nie mehr Warteschlangen in der Service-Hotline, nie mehr warten auf eine Antwort-Mail vom Kundenservice: Live-Support macht's möglich. Conversational Commerce führt den Kunden von der zweiseitigen Echtzeit-Konversation zum Kauf – und schließt damit die noch vorhandenen Lücken des Kundenservice. Svenja Brüxkes, Co-Autorin der Studie "Conversational Commerce" & Junior-Projektmanagerin IFH Institut für Handelsforschung.