Christian Faltin/Verena Reiser:
Chatbots im Praxis-Check: Von der Sparkasse bis zu Jägermeister
Zwischen Marketing-Gag und virtuellem Berater: Marken wie die Sparkasse, Tommy Hilfiger und Opel experimentieren mit Chatbots. Was die künstlichen Helfer können, testete LEAD-digital-Blogger Christian Faltin aus.
Chat Bots sind ein bisschen doof! Zu diesem Ergebnis kam die Zeit vor rund einem Jahr, als sie die Kommunikation von Firmen im Facebook Messenger testete. Wie schaut es heute aus, ein Jahr später? Ist künstliche Intelligenz lernfähig? Oder richtiger: Machen die menschlichen Programmierer hinter der künstlichen Intelligenz mittlerweile einen besseren Job? LEAD Digital-Blogger Christian Faltin und seine Cocodibu-Kollegin Verena Reiser haben sich im Universum der Facebook Messenger Bots umgesehen und fünf virtuelle Diener getestet. Hier Ihr Ergebnis:
1. Der Bote der Sparkasse, der Rüpel unter den Boten
Um die Bezahl-App Kwitt zur bewerben, schickte die Sparkasse Anfang Februar ein äußerst sympathisches Kerlchen los. Der muskelbepackte, tätowierte Riese mit der Türen-Allergie soll Freunde daran erinnern, Schulden zu begleichen oder sich einfach mal wieder zu melden. Anhand von festen Auswahlmöglichkeiten wird man durch das virtuelle Auftragsgespräch geleitet. Besonders lustig dabei: Der Chatbot macht auch Autokorrektur-Fehler, regt sich dann über das Ergebnis auf ("Alles klar, Schulden eintreiben is mein Spekulatius. F*** Autokorrektur Spekulatius = Spezialgebiet") und hat das ein oder andere derbe Schimpfwort in petto. Diese nonchalante Art ist einfach sympathisch, zumal der Chatbot von der Sparkasse kommt - und Banken gehören ja normalerweise nicht zu den lässigen Zeitgenossen.
Nachdem der Chatbot die Summe der Schulden und den Vornamen des Sünders erfragt hat, klopft er noch schnell einen Spruch über genau diesen ("HAHA!!! Ich hatte mal n Schmusekätzchen, das hieß auch so.") und erstellt ein personalisiertes Video, bei dem man als Schuldeneintreib-Auftraggeber auch noch die Möglichkeit hat, eine persönliche Nachricht zu hinterlassen. Schließlich gibt es noch ein GIF vom Boten und dann ist das Video auch schon fertig. Im Video wütet der Koloss durch ein Haus, bricht durch die Wand und fordert den Schuldner mittels passendem Tattoo auf, das Geld endlich zurückzugeben, natürlich über die Sparkassen-App. Als der Bote dann das Handy mit geöffneter App in die Kamera hält, ruft Mutti an und der Muskelprotz wird ganz kleinlaut. Das Video kann dann an den Schuldner geschickt und geteilt werden.
Das ist selbstironisches, gelungenes Storytelling und macht einfach Spaß! Im Gegensatz zu anderen Bots, hatten wir hier das Gefühl mit einem echten Schuldeneintreiber-Hulk zu chatten – auch wenn die Konversation von unserer Seite hauptsächlich aus der Auswahl von Antwortmöglichkeiten bestand. Das nehmen wir aber gerne in Kauf, wenn das Ergebnis so gut ist.
2. Chad, der Probefahrtassistent von Opel
Der zweite Bot im Test: "Chad", der Probefahrt-Assistent von Opel, der eine eigene Facebook-Seite besitzt. Weil wir uns über ein Facebook-Profil nähern, spricht uns Chad sofort mit Vornamen an und schlägt vor, ein Modell auszuwählen. Angezeigt wird der Corsa. Wir geben vor, ein Auto für die berufliche Nutzung zu suchen. Es erscheint: der Corsa. Bei allen weiteren Anfragen erscheint ebenfalls der Corsa. Wir verzweifeln: Chad, Du verstehst uns nicht! Kannst Du nicht umparken im Server!? Bis wir bei der Mausbewegung über das vorgeschlagene Modell merken, dass sich hinter dem Corsa-Bild noch eine Navigation und vier weitere Modelle verbergen. Aha! Chad war schlauer als der User. Checkt der geübte Bot-Nutzer diese Art der Slider-Navigation, geht es auch sinnvoll und schnell weiter. Wir entscheiden uns für einen Mokka. Nachdem Chad uns zwischen Benziner oder Diesel die Auswahl gelassen hat, zeigt er die Opel-Partner rund um die eigegebene Postleitzahl. Mit dem nächsten Klick könnten wir dann einen Termin vereinbaren.
Unser Fazit: Wer die horizontale Navigation kapiert, kann in weniger als einer Minute einen Termin für eine Probefahrt vereinbaren. Allerdings bietet Opel dort nur fünf Modelle (Adam, Astra Corsa, Karl und Mokka) ohne verschiedene Hubraum-Versionen an. Erstaunlich: Auf der Facebook-Seite von Opel findet man noch die klassische Art eine Probefahrt zu vereinbaren, aber leider keinen schnell ersichtlichen Hinweis auf "Chad" und seine Facebook-Page. Chad sollte mal mit Opel chatten.
3. Lufthansa Best Price: Mildred, die nette, aber ein bisschen verpeilte Reisebüro-Angestellte
Bei diesem Chatbot hat uns die Idee besser gefallen als die tatsächliche Umsetzung. Mildred, die Assistentin mit den lila Haaren, hilft per Facebook-Messenger, passende Lufthansa-Flüge zu finden. Zum Test suchen wir nach Flügen von München nach London und zurück. Allerdings scheint Mildred ein bisschen verplant zu sein und umgeht gerne wichtige Fragen ("Wann möchtest du nach London fliegen?"). Mildred sucht nämlich einfach nach dem billigsten Flug in den nächsten zwölf Monaten mit einer Aufenthaltsdauer von einer Woche. Das ist zwar nett, hat aber mit der Realität wenig zu tun. Schließlich schwebt einem meistens schon ein konkretes Reisedatum mit Hin- und Rückflug vor, Städtetrips dauern auch gerne mal nur ein paar Tage statt einer ganzen Woche. Schlägt man Mildred dann einen anderen Monat für die Reise vor, hat sie auch schon wieder das Reiseziel vergessen und macht aus "London" ganz fix – wieso auch immer – "Karlsruhe".
Positiv war aber, dass sie uns – nachdem wir noch einmal gesammelt "München – London Mai" eingegeben haben – tatsächlich sehr günstige Hin- und Rückflüge ausgespielt hat. Das Verkürzen von sieben auf vier Tage, das hat sie allerdings nicht geschafft.
Bei diesem Bot finden wir die Idee rühmlich, den Fluggästen diesen Service zu bieten. Findet man den Flug passend, leitet sie einen sofort zur Buchungsseite weiter und wenn man Glück hat, hat der ganze Prozess dann nur rund fünf Minuten gedauert. Natürlich kann man das auch einfach über die Website machen. Einen Flug über einen Chatbot zu buchen, ist aber trotzdem eine nette Abwechslung.
4. Tommy Hilfiger, der Shopping-Assistent
Ein besonders gutes Beispiel für einen E-Commerce-Chatbot ist der von Tommy Hilfiger. Wer keine Zeit hat, die neusten Teile im Laden zu bestaunen und genervt ist vom Durchklicken durch die Website, der ist hier richtig. Die drei Menü-Optionen "Shop Collection", "Find your New Look" und "Customer Service" sind auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Nutzer zugeschnitten. Besonders gut fanden wir die Option "Find Your New Look", hier werden anhand von fünf Fragen zum persönlichen Style und Anlass drei unterschiedliche Look-Vorschläge gemacht. Ist man mit dem Ergebnis nicht zufrieden oder hat man unterschiedliche Anlässe, kann man die Suche auch wieder modifizieren.
Der Chatbot ist zwar auch hier relativ beschränkt in seinen Fähigkeiten und unser Shopping-Verhalten wird er nicht für immer verändern, eine nette Aktion für die User ist er aber trotzdem.
5. Jägermeister Jäm-Bot, der freshste Bot in Town
Der rappende Jägermeister-Jäm-Bot, der Usern ebenfalls seit Februar personalisierte Bewegtbildinhalte ausspielt, ist sowohl Rüpel als auch Softie. Genau wie beim Sparkassen-Bot, können kurze Videos zu verschiedenen Anlässen an Freunde verschickt werden. Das Besondere: Die Nachricht wird – je nachdem, für wen man sich entscheidet – von einer der beiden deutschen Rap-Größen Eko Fresh oder Ali As überbracht. Aus sieben verschiedenen Anlässen (z.B. "Ups, sorry!" oder "Lass feiern geh'n!") kann man als User wählen. Bei zwei verschiedenen Rappern, drei verschiedenen Empfängermöglichkeiten und sieben verschiedenen Anlässen, kann sich jeder statistikgeplagte Ex-Schüler ausrechnen wie viele Kurzsongs eingespielt werden mussten – nämlich an die 100 Stück. Hat man sich dann für eine Konstellation entschieden (In unserem Fall Eko Fresh, Bro, "Ich vermisse dich!"), wird das Video auch schon erstellt und kann dann geteilt und verschickt werden.
Die Idee ist "fresh" und die optische Umsetzung wirklich gelungen – die Rapper haben zu jedem Anlass einen eindeutigen Blick parat. Enttäuschend ist allerdings, dass die Videos nicht wirklich personalisiert werden können. Man kann weder den Namen des Freundes oder der Freundin eingeben noch eine eigene Botschaft hinzufügen. Individualität wird also nur suggeriert, der technische Aufwand ist – bis auf die Produktion der Videos – recht simpel. Da es sich beim Jäm-Bot aber eher um einen Marketing-Gag und nicht um einen Service-Bot handelt, ist eines viel wichtiger: Die Marke Jägermeister kann sich sympathisch präsentieren. Das liegt vor allem an der authentischen Sprache des Bots.
Unser Fazit aus fünfmal chatten:
Bevor man die künstliche Intelligenz bemüht, muss die menschliche Intelligenz ran. D.h. Firmen sollten sich nicht nur die Zielgruppe und den Einsatzzweck von Bots genau überlegen, sondern auch die Tonalität des Dialogs (der schließlich ihre Markenwerte widerspiegelt). Wer seine Zielgruppe genau kennt und dementsprechende Chatbot-Typen einsetzt, der kann punkten.
Für uns hat der Test gezeigt: Spaß macht ein Bot erst so richtig, wenn er sich ein bisschen "menschlich" verhält, also z.B. ironisch und selbstkritisch mit eigenen Fehlern umgeht. Schließlich finden wir Roboter auch erst dann toll, wenn Sie ein Kindergesicht haben und/oder eine positive Mimik nachahmen. Bei der viel zu ungenauen Funktionsweise – vor allem bei Service-Bots – wird aus der oft proklamierten Chatbot-Revolution eher eine normale Evolution. Der Mensch als Backup hinter dem Bot wird wohl noch ein paar Jahre bleiben müssen, bis die künstliche Intelligenz genug dazu gelernt hat.
Christian Faltin/Verena Reiser