
Debatte:
Casefilme: Anleitung zum Betrug oder Mittel zum Zweck?
Streitthema: Die Casefilme für Wettbewerbseinreichungen sind umstritten. DDB-Worldwide-Kreativchef Amir Kassaei lehnt sie rundweg ab. ADC-Präsident Stephan Vogel verteidigt die Erklärfilme. Aber: Kann man überhaupt auf sie verzichten?
In vier Tagen läuft die Einreichungsfrist für die Teilnahme am ADC-Wettbewerb 2016 ab. Wie viele Arbeiten es am Ende sein werden, die um die begehrten Nägel kämpfen? Schwer zu sagen. Gut 7000 waren es jedenfalls im vergangenen Jahr. Diesmal könnten es sogar noch mehr sein. Doch fest steht bereits: 2016 werden die Juroren noch mehr so genannte Casefilme zu sehen bekommen. Ob Promotion, crossmediale Kampagne oder auch Corporate Design: ohne begleitendes Bewegtbild geht es nicht mehr. Doch sind die einst als Erklärfilme gedachten Streifen mittlerweile zu richtigen Unterhaltungsformaten mutiert, die den Zuschauer fesseln sollen. Die Einreicher investieren satt Geld für eine dramaturgisch gelungene Inszenierung. Wer da nicht mitmachen will, hat von vornherein schlechtere Karten.
Durchaus ernst gemeinte Stimmen verlangen schon nach einer eigenen Wettbewerbskategorie für die neue Kunstgattung. Andere lehnen inzwischen die Casefilme kategorisch ab. "Wenn es darum geht Werbung zu beurteilen, dann sollte man sie auch so erleben wie die Menschen im realen Leben, für die sie gemacht wurde. Und nicht schön verpackt und aufgehübscht oder sogar verfremdet", sagt Amir Kassaei, weltweiter DDB-Kreativchef und Präsident des ADC of Europe im W&V-Schwestertitel Kontakter (Ausgabe 3 vom 11. Februar 2016). Und stößt damit durchaus auf heftigen Widerspruch. "Casefilme sind absolut notwendig. Denn man kann eine Arbeit nur dann kreativ bewerten, wenn man ihren Kontext kennt. Und den kann man sich auf 20 Strategiecharts mühsam erlesen. Oder in einem 90-Sekunden-Casefilm flockig erzählen lassen. Ich bevorzuge Letzteres. Als Juror und als Macher", entgegnet der deutsche ADC-Präsident und Ogilvy-Kreativchef Stephan Vogel.
Doch so einfach ist es nicht. Jeder Juror ist nicht zuletzt ein emotionales Wesen, das nicht grundlegend anders reagiert als der Endverbraucher. Und sich nicht nur allzu gern von etwas begeistern lässt. Und genau das wollen die Award-Streifen. Und versuchen den Betrachter zu überlisten. Kassaei: "Ich habe es zu oft erlebt, dass sogar gestandene Juroren in die Falle reintappen und sich in einen Casefilm verlieben, der gut geschnitten, mit guter Musik hinterlegt ist und angebliche Erfolgszahlen vorweist. Sie erkannten nicht mal, dass die eigentliche Idee drittklassig war."
Harte Kritik - die aber nicht generell von der Hand zu weisen ist. Auch andere Top-Kreative stehen den Awardfilmchen ambivalent gegenüber. So Niels Alzen von Scholz & Friends. Der Kreativvorstand und erfolgreiche Opel-Werber tut sich schwer damit, für oder gegen die Filme Position zu beziehen. Aber zufrieden ist er mit dem Status Quo nicht. Anders Stephan Vogel: "Gute Juroren lassen sich von schönen Casefilmen nicht blenden", sagt er. "Man schaut kritisch drauf und dahinter. Wenn Idee, Umsetzung oder Zahlen nicht konsistent sind, kommen Zweifel auf. Man checkt dann via Google noch mal, ob das Ding wirklich so einen Buzz generiert hat, wie der Film behauptet. Und dann ist der Case tot, so schön der Film gemacht sein mag."
Was in den Augen des ADC-Chefs aber am meisten zählt: Ohne die Awardfilme hätten es gerade die deutschen Agenturen im Ausland schwer zu punkten. Denn wer außerhalb Deutschlands kennt Marken wie Hornbach oder Schöffel? Oder Konzepte wie das Reinheitsgebot oder das Bausparprinzip? "Hier brauchen wir Casefilme, um den Südamerikanern, den Asiaten unsere Kultur, unseren Kontext, unsere Marken zu vermitteln. Alles andere ist Blödsinn", sagt Vogel.
Wirklich?