Technik-Wechsel:
Burda Forward trennt sich von Googles Adserver
Der Vermarkter von Sites wie Focus Online und Chip.de tauscht den Adserver von Google gegen eine Lösung von Appnexus.
Burda Forward verabschiedet sich von der Google-Technik und baut künftig auf die Werbetechnik von Appnexus. Dahinter steckt neben einer neuen Strategie auch das Streben nach mehr Unabhängigkeit vom Werberiesen aus Mountain View.
Künftig wird also die Werbung auf Sites wie Focus Online und Chip.de über die Technik von Appnexus ausgeliefert. Vermarktungs-Geschäftsführer Martin Lütgenau beschreibt das System als "zentral". Ein solcher Wechsel bedeute mehr als ein halbes Jahr Arbeit. Denn nicht nur das Herzstück des komplexen Systems, das CRM-System für die Kunden (auf Basis von Salesforce), sondern auch die Abrechnung, die Steuerung und die Anbindung weiterer Systeme mussten neu verknüpft werden.
Appnexus verfügt nicht nur über Technik, sondern betreibt ähnlich wie Google auch einen Marktplatz, der Nachfrage und Angebot zusammenführt. Aber unabhängig davon können auch Agentursysteme und Supply-Side-Anbieter (SSP) direkt angebunden werden. Gänzlich unabhängig ist aber auch Appnexus nicht mehr. Ende 2018 wurde der Pionier in Sachen Programmatic Advertising von AT&T gekauft.
Den Aufwand für den Austausch der zentralen Technik scheuen viele, auch wenn immer wieder ein Wechsel ins Spiel gebracht wurde. Googles Doubleclick ist bei vielen Publishern im Einsatz. Auch bei Ströer und ProSiebenSat.1. Dabei hat die Sendergruppe über die Mehrheitsbeteiligung an Virtual Minds die Lösung von Adition sogar im eigenen Haus. Springer hatte sich 2017 für Appnexus entschieden - und aus strategischen Gründen gegen Google.
Für Google sind die Daten wichtiger als der Umsatz
Für Google ist das Business mit der Technik aus finanzieller Sicht eher ein Nebengeschäft. Die Umsätze in den Kassen sind überschaubar. Selbst einschließlich des Margenanteils, der für die präferiert ausgespielte Werbung aus dem eigenen Werbemarktplatz fließt, fällt dieser Umsatzteil im Vergleich zu den Umsätzen mit Suchmaschinenmarketing marginal aus.
Nach Abzug der 14,1 Milliarden Dollar, die 2018 an Site-Betreiber gingen, verbleiben bei Google nur 5,8 Milliarden Dollar für das Display-Geschäft in der Kasse. Das entsprach nur mehr 5,0 Prozent der gesamten Werbeeinnahmen. Und dieser Anteil sinkt seit Jahren kontinuierlich. Wesentlich wertvoller dürften für Google demnach die Daten sein, die im Display-Werbegeschäft anfallen und auf das Suchwerbegeschäft einzahlen.
Diese Überlegungen spielten bei der Entscheidung für Lütgenau eine Rolle. Wichtiger war es jedoch, mehr Kontrolle über die zumeist automatisierten Werbeströme zu erhalten - über die sogenannte "Curation Engine". Dahinter steckt eine Logik, die alle Entscheidungsprozesse zur datenbezogenen Ausspielung von Werbung durchführt und Burda Forward mehr Kontrolle gibt. Dabei ist die Werbung, die bisher Google eingespielt hat, nicht außen vor - Lütgenau kann jedoch den Anteil deutlich besser steuern.
Die Mechanik betrifft grob gerechnet etwa 75 Prozent der Display-Werbung, die inzwischen programmatisch ausgeliefert wird. Daher ist die Anbindung mehrerer Lieferanten auch weiterhin wichtig, auch wenn Lütgenau die Zahl der Supply Side Plattformen (SSPs) auf eine Handvoll reduziert. Das neue System ermöglicht aber auch die Ausspielung direkt gebuchter Werbung.
Gleichzeitig macht das System auch Online-Werbung möglich, ohne personenbezogene Daten zu erheben oder Cookies zu setzen, indem sie beispielsweise nur die Umfelder als Steuerkriterium zulässt. Das stellt auch die Brand-Safety in den Umfeldern der beworbenen Marken sicher.
Weniger Werbung bedeutet mehr Geld in der Kasse
Für Burda Forward ist es nicht der erste mutige Schritt. 2016 beschloss das Team um Lütgenau, den Ansatz "Goodvertising": weniger Werbung, die dafür gefällt und auch für schnellere Ladezeiten sorgt. Kunden kann Lütgenau so mehr Wirkung garantieren, für die sie auch einen Aufpreis akzeptieren.
Konkret bedeutet das nicht mehr vier Werbemittel, sondern nur noch ein oder zwei Formate im sichtbaren Bereich. Weitere Werbemittel werden nur geladen, wenn User wirklich auf der Seite nach unten surfen. Nervige Formate wie Pop-ups oder Overlays, die sich über den Inhalt legen, verbannt Burda Forward komplett.
Seinerzeit wurden auf Chip.de nur noch etwa 15 Prozent des verfügbaren Werbeinventars verkauft. Die Nutzer honorieren dies mit mehr Verweildauer, und das steigert die Leistungswerte der Werbung; Lütgenau sprach von einer Verbesserung der Viewability-Rate um mehr als 30 Prozent - etwas, das sich bis heute in Form höherer Preise ausgezahlt hat und unter dem Strich für mehr Umsatz sorgen dürfte. Burda Forward muss und will auch weiterhin nicht jedes Werbemittel zu jedem Preis akzeptieren.