Brown blickt bei seinen Stücken in die Zukunft, für ihn selbst haben sie aber schon die Gegenwart ganz gewaltig verändert. Vor einigen Jahrzehnten als Künstler gestartet, führte das Leben ihn in die Werbebranche. Rückblicken betrachtet, sagt Brown mit der ihm eigenen Ironie, für beide Seiten kein wirklich guter Deal. Er selbst sei dem Irrtum erlegen, er müsse sich den Branchengepflogenheiten anpassen. Dadurch habe er aber seine Besonderheit verloren und sei zu einem - so die Selbsteinschätzung - mittelmäßigen Creative Director geworden. Spätestens mit "The Passing" hat sich das geändert, aus dem Werber Brown ist wieder der Künstler Brown geworden. Ein Künstler, der gerade den Werbern und Marketers viel mit auf den Weg geben kann.

TED meets Black Mirror

Brown selbst sagt: "Die Arbeit an diesen drei Aufführungen hat mein Leben ziemlich stark verändert, und obwohl ich immer noch an etwas arbeite, von dem ich hoffe, dass es ein Buch über The Passing sein wird, wurde die Trilogie der Aufführungen mit der Fertigstellung von FLEX abgeschlossen. Ich werde sie immer noch aufführen, aber die Geschichte von Tyler, The Coalition und Johnston ist komplett."

Die beste Beschreibung für das, was da auf der Bühne passiert, hat wohl Paul Armstrong von Forbes gefunden: Das würde passieren, wenn TED und Black Mirror ein Baby hätten. Warum "The Passing" solchen Eindruck hinterlassen hat, erklärt Armstrong im gleichen Artikel: "Als ich hörte, dass die FDA eine 'intelligente Pille' zugelassen hatte, die Ihrem Arzt sagt, wenn sie Ihre Medizin nicht richtig eingenommen haben, bekam ich ein Zittern über meiner Wirbelsäule. Die Nachricht war etwas unheimlich ähnlich, das ich gerade einen Monat zuvor am Silicon Beach in Bournemouth von Marcus John Henry Brown gesehen hatte. Ich sage etwas, weil es anders war als alles, was ich zuvor gesehen hatte. Teilweise Performance, teilweise Vorlesung (und Parodie) - es war wie ein 'TED meets Black Mirror'-Live-Special. Schrecklich, da es echt war."

Die Forbes-Geschichte war gleichzeitig so eine Art Turbo für die Karriere von Brown als Performance Actor. Brown und die Botschaft seiner Stücke sind sehr gefragt. Eine seiner Figuren diente auch schon als Zitatgeber für einen Spiegel-Artikel. Zuletzt stand Brown mit "The Passing" auch beim ADC-Festival auf der Bühne. Der Macher selbst beschreibt seine Arbeit so: "Ein Performance-Hack fühlt sich wie ein Keynote an, er sieht aus wie ein Keynote und er klingt wie ein Keynote. Das Publikum erwartet eine Keynote, bekommt aber etwas ganz anderes. Die Auftritte finden hauptsächlich auf Geschäfts- und Technologiekonferenzen statt. Orte, an denen meiner Meinung nach meine Arbeit zu sehen sein sollte und muss. Der Inhalt, die Visuals, das Framing, der Sound, der Text und die Performance hacken das Konferenzformat und haben einen größeren Einfluss auf das Publikum. Diese Performance-Hacks konfrontieren, polarisieren und begeistern."

Sein Publikum sieht Brown "in erster Linie als Wirtschafts-, Technologie- oder kulturell interessiertes Publikum, das etwas anderes erleben möchte. Ich möchte die Meinung von Künstlern, Galeristen oder Museumskuratoren nicht ändern. Ich möchte Auswirkungen auf die Menschen haben, die eine reale und sehr greifbare Wirkung auf unser tägliches Leben haben, und ich möchte unsere eigene Unterordnung unter die Produkte und Dienstleistungen, die diese Menschen herstellen, in Frage stellen." 

"Es würde einen Aufruhr geben"

Grundlage für die Arbeit des Künstlers Brown sind die Erfahrungen, die der Werber Brown gemacht hat: "Ich habe Tausende von Unternehmenspräsentationen geschrieben, Hunderte von Unternehmenstreffen, Hunderte von Pitches und unzählige Kundengespräche durchgemacht. Und nicht zu vergessen die Geschäfts- und Medienkonferenzen mit Hunderten von Keynote-Speakern, die gesponsert oder nicht gesponsert sind. All die Dinge, die in diesen Meetings gesagt, in die Präsentationen geschrieben und auf diesen Konferenzen gesagt werden, werden von normalen Menschen nie gesehen, aber sie werden schließlich die Folgen dieser Worte für ihren Alltag spüren oder bereits gespürt haben. Brexit (oder was in meiner Serie als The Wasteland Act bekannt ist) ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Das iPhone ebenso wie die programmatische Werbung. Ich saß vor etwa sechs Jahren im Publikum der Dmexco und erkannte: wenn alltägliche Menschen sehen und hören könnten, was ich höre und sehe, würde es einen Aufruhr geben.  Ich entschied, dass ich diese unsichtbare Welt für diejenigen außerhalb sichtbar machen wollte. Jede Performance ist so geschrieben, wie ich jede Unternehmenspräsentation oder Keynote schreiben würde: eine dreiaktuelle Struktur mit einer klar definierten Botschaft und Takeaways."

Black Operatives Department

Nach dem Abschluss seiner Trilogie widmet sich Brown jetzt zwei neuen Serien. Obwohl er "nicht ganz aus dem Schatten gehen" werde, will Brown auch "hoffnungsvollere Themen" in einer Serie mit dem Arbeitstitel "Antidotal Stories" behandeln. Die zweite Serie ist sozusagen eine Rückkehr zu einer fiktiven Organisation, die den Auftakt zur Passing-Trilogie bildete: The Black Operatives Department, die Abteilung für schwarze Agenten. Sie wurde in Passing erwähnt, aber nie vollständig erklärt. "Wo die "Antidotal Stories" untersucht, wie wir alles, was mit der Welt schief geht, in Ordnung bringen können, werden die Auftritte des Black Operatives Department untersuchen, wer die Welt zerstört und warum," erklärt Marcus John Henry Brown seinen Plan. Das erste Stück der Serie heißt Chemistry und wird am 5. Juni im Rahmen der Munich Marketing Week (Location ist die ziegelei101 in Ismaning) uraufgeführt.

Was die Besucher erwartet, beschreibt re:publica-Mitgründer Johnny Häusler so: "Du könntest Sprecher bekommen, die von der Moderne begeistert sind, und du könntest diejenigen bekommen, die dich davor warnen. Aber sie werden niemanden finden, der eine Dystopie so ansprechend, unterhaltsam, nachdenklich und unglaublich gut erzählt wie Marcus John Henry Brown. Du bekommst nicht nur einen Talk, du wirst eine Show bekommen." 


Autor: Holger Schellkopf

Chefredakteur. Mitglied der W&V-Geschäftsleitung. Sozialisiert mit Print, konvertiert zu digital. Findet beides prima. Feste Überzeugung von @hschellk : Digital Journalism rocks! Versucht ansonsten, sich so oft wie möglich auf das Rennrad zu schwingen oder in die Laufschuhe zu steigen.