Hasso Mansfeld:
Aus dem Leben eines Taugenichts: Abenteuer Hollywood
Im vierten Teil seiner selbstironischen Online-Memoiren "Aus dem Leben eines Taugenichts" berichtet Hasso Mansfeld über 10 Jahre PR in Hollywood.
Im vierten Teil seiner selbstironischen Online-Memoiren "Aus dem Leben eines Taugenichts" berichtet Hasso Mansfeld* über 10 Jahre PR in Hollywood.
"Was ist der Mansfeld nur wieder für ein Taugenichts" – obwohl hier mit viel Freude Spannendes "Aus dem Leben eines (PR)-Taugenichts" berichtet werden soll, fällt dieser Satz mir gegenüber natürlich viel seltener als bisher suggeriert. Denn klar, Kunden und Freunde schätzen die eigene Arbeit, inklusive der manchmal etwas ungewöhnlicheren Ideen. Anders könnte man sich eine Existenz gar nicht aufbauen. Trotzdem freut man sich über jeden zufriedenen Kunden, als sei es der erste.
Über einen zufriedenen Kunden habe ich mich allerdings ganz besonders gefreut. Und zwar, weil dessen Bruder im Jahr 2001 meine Dienstleistung Uwe Boll empfahl, den laut Kritikern "schlechtesten Regisseure der Gegenwart" und "Deutschlands Antwort auf Ed Wood". Die Geschäftsbeziehung entwickelte sich rasch und leitete so eines meiner größeren und aufregenderen PR-Abenteuer ein. 10 Jahre Hollywood. Aus der Provinz. Mit Nebenrollen in Filmen, mit Starbekanntschaften, Skandälchen, Skandalen und großen Momenten. Ein ideales Spielfeld, auf dem sich ein Taugenichts einmal so richtig publizistisch austoben kann. Und der Beginn einer guten Freundschaft, die bis heute hält.
Mit Boll und mir hatten 2001 sozusagen zwei Taugenichtse zusammengefunden. Oder positiver ausgedrückt: zwei Autodidakten mit einem Faible fürs Außergewöhnliche. Ich hatte als ehemaliger Gärtner und gelernter Agraringenieur mittlerweile in meinem Business Fuß gefasst, Boll hatte einige Werbe- und Spielfilme abgedreht und mit "House of the Dead" den ersten größeren wirtschaftlichen Erfolg gelandet. Auch Boll ist ja kein Gelernter seines Faches, sondern hat, man glaubt es kaum, Literatur und Sozialwissenschaft studiert und darf sich ganz offiziell Doktor phil. nennen. Sein Traum aber war immer die Regie, und möglichst hoch hinaus sollte es gehen. Nicht "Schwarzwaldklinik" und "Tatort" sollten es sein, sondern gleich Hollywood, die ganz große Nummer. Und das wiederum, ohne sich selbst dabei allzu ernst zu nehmen. Dafür Geldgeber zu finden und trotzdem die eigene Linie durchziehen zu können: Gar nicht so einfach.
Medienfonds und deren Fallstricke
Hier kam ich ins Spiel. Uwe Boll finanzierte seine Projekte über Medienfonds. Also unternehmerische Beteiligungsmodelle, über die interessierte Anleger in Filme investieren. Und dann natürlich auch das Risiko voll mittragen. Bis hin zum wirtschaftlichen Totalverlust. Solche Fonds können darüber hinaus zu einem, auch aus Sicht der steuerlichen Anerkennung, problematischen Geschäftsmodell werden. Einfach deshalb, weil die Investoren auch Einfluss auf das Projekt bzw. die künstlerische und kaufmännischen Belange des Films nehmen können müssen. Das war das bei den meisten Medienfonds nicht immer gewährleistet. Wir entschieden uns daher für eine ganz neue Art von Offenheit: Nicht nur durften die Anleger mit darüber abstimmen, welchen Themen sich ein Film überhaupt widmet, welche Budgets für welche Schauspieler zur Verfügung standen etc. Die investierenden Filmenthusiasten wurden zudem regelmäßig ans Set eingeladen und feierten Premieren mit uns, nicht wenige übernahmen auch Komparsenrollen in den Filmen, Treffen mit den großen Stars der Produktionen inbegriffen.
Mit Burt Reynolds und Ben Kingsley
Und mit wem haben wir nicht alles gedreht! Allein die schiere Masse an Filmproduktionen, in die man aufgrund Bolls unermüdlichem Arbeitsausstoß Einblick nehmen konnte, war unglaublich. Über 40 Filme produzierte Boll in seiner Karriere. Ich war auf den Sets mit dabei. Unter vielen anderen bei "Blood Rayne" mit Kristinna Loken und Sir Ben Kingsley. Ich traf Burt Reynolds bei den Dreharbeiten zu "Dungeon Siege" und spielte unter anderem selbst einen "Swat Guy" in "Alone in the Dark" (mit Tara Reid und Christian Slater) oder einen Asi in "Postal". Mein Arbeit mit Boll führte mich nach Kanada, in die USA, nach Rumänien, nach London, Los Angeles, nach Vancouver, nach Bukarest und nach Wermelskirchen. Ich traf auf Filmgrößen wie Ray Liotta, Ron Perlman, Geraldine Chaplin, Udo Kier, Michael Madsen oder Jason Statham.
Unsere Investoren spielten alles vom Zombie bis zur Leiche, was sich natürlich auch zur medialen Inszenierung trefflich nutzen ließ. So druckte etwa die "FAZ" ein Bild von Boll und einem Investoren im Sklavenkostüm mit der Bildunterschrift "Uwe Boll im Investorengespräch" (unten). Auch Medienvertreter luden wir aus regelmäßig an die Drehorte ein, auch hier fand der ein oder andere sich später als Passant oder Gewaltopfer wieder.
Ich will gar nicht verhehlen, dass diese Arbeit auch deshalb so viel Freude machte, weil sie in erfrischender Weise das Kind im Manne ansprach. Aber auch das ein oder andere Neue lernt man: Wie hierarchisch so ein Filmset etwa strukturiert ist, wusste ich zuvor beispielsweise nicht.
Genau diese Hierarchie aber war für uns ein weiterer Grund, bei der Finanzierung auf absolute Transparenz zu dringen. Denn wo bei anderen Filmproduktionen gewöhnlich der Regisseur gern so viel Geld wie möglich für Schauspieler und Effekte zur Verfügung hätte, während der Produzent schon aus wirtschaftlichem Interesse den Daumen drauf hält, fehlte bei Boll, der am liebsten alle Positionen am Set auf sich vereinte, diese Form der "Checks and Balances". Entsprechend mussten Investoren als Kontrollinstanz agieren können. Das kam an: insgesamt sammelten wir rund 400 Millionen Euro ein.
"Postal" vs. "New York Post"
Der größte Moment unserer immerhin zehnjährigen Zusammenarbeit? Nun: Definitiv die Kampagne für den Film "Postal". "Postal": Die Quintessenz der Form von Kino, für die Boll steht. Obskure Weltuntergangssekten, die Taliban, Vogelgrippe und ein Freizeitpark namens Little Germany – mehrere absurde Handlungen verdichten sich um die wohl berühmt-berüchtigtste Szene des Films, in der die Attentäter von 9/11 gerade entscheiden, weil es im Paradies sowieso nicht genügend Jungfrauen gebe, stattdessen in Richtung Bahamas abzudrehen, als ein Sturm der Passagiere aufs Cockpit den Sturz in die Twin Towers auslöst. Eine grotesk-amüsante, von Uwe Boll übrigens wirklich mit großer Verve geführter Auseinandersetzung mit einem eigentlich deprimierenden Stoff, der besonders der "New York Post" sauer aufstieß. Die verlangte von Boll, den Film vor Angehörigen der Opfer von 9/11 aufzuführen und mit denen das Gespräch zu suchen. Eine hoffnungslose Beschämungskampagne. Stattdessen inszenierten wir eine Website zu "Postal" im Stile der "Post", die die einzelnen Inhalte noch einmal auf Boulevardzeitungsniveau aufbereitet. Wütende Leitartikel, Briefe und auch eine Klage folgten, und entsprechend viel Publicity in der USA für den Film.
In dem sich übrigens Boll auch selbst auf die Schippe nimmt: Als Lederhosen tragender Naziverschnitt gibt er zu, all seine Produktionen mit Nazigold zu finanzieren.
Ebenfalls niemals vergessen werde ich Uwes Entscheidung, seine lautstärksten fünf Kritiker zu Boxkämpfen herauszufordern. Ich hielt das für eine bescheuerte Schnapsidee und habe dringend abgeraten. Das könne doch nur schaden. Ich fand das Ignorieren der Kritiker sehr viel sinnvoller als ihnen auch noch eigene Lebenszeit beim Boxkampf zu schenken. Ach was sage ich: Boll kämpfte und gewann – natürlich.
Doch es schadete nicht! Die Aktion polarisierte, kam aber bei den meisten gut an und führte Boll sogar neue Fans zu. In den Feuilletons war denn auch Zustimmung zu lesen. Nach dem Motto: Welcher Filmschaffende hätte nicht den Traum, den ewigen Nörglern mal richtig auf die Schnauze zu hauen.
Als Berater zog ich daraus die Lehre, noch stärker auf das jeweilige Profil meiner Klienten zu achten und nicht in pedantischer Weise eigene Vorstellungen von "gutem Stil" an den Kunden heranzutragen. Schließlich hatte zum Typ Boll der Publicity-Stunt einfach gepasst.
Ganz viel grundlegende Arbeit
Die Zusammenarbeit mit Boll war aber natürlich nicht einfach eine wilde Party. Viel Basisarbeit wollte geleistet werden. Ich begleitete Uwe in über 120 Redaktionsbesuchen, knapp 2000 Beiträge über Fonds und Filme standen am Ende zu Buche. 2003 annoncierte die "Financial Times Deutschland" Boll als einen von "101 Köpfe, auf die Sie achten sollten" (unten). Bereits drei Jahre später tauchte er wieder in einer Serie desselben Mediums auf, diesmal unter den "100 Haudegen der deutschen Wirtschaft". Vom beachtenswerten Nachwuchstalent zum Haudegen in 1000 Tagen. Dahinter standen unzählige Analysen, Telefonate, Gespräche, Redaktionsbesuche. Und natürlich massive Präsenz in den Medien.
Diffiziler als im Fall von Postal war dann beispielsweise die Pressearbeit zum Film "Auschwitz", in dem Boll in seiner typischen Art, alles so schonungslos anzugehen, wie es ihm nun mal zu eigen ist, Nationalsozialismus und Holocaust behandelte. Das für deutsche und Weltpresse einzuordnen verlangte einiges an kommunikatorischem Geschick.
2011 endete die Zusammenarbeit der zwei Taugenichtse bis auf weiteres. Ein neues Gesetz machte der Filmfinanzierung via Medienfonds ein Ende und für mich, der ja via Kommunikation Investoren für Boll Werke anwerben sollte, gab es diesbezüglich nichts mehr zu tun. Ich möchte nicht verhehlen, dass über alle Filme betrachtet das Projekt nicht immer mit wirtschaftlichem Erfolg gekrönt war. Auch ich habe investiert und verloren. Aber es war eine der interessantesten Phasen meines Berufslebens. Zwei Dinge habe ich in meiner Zeit mit Uwe gelernt:
Die Welt steht offen
Erstens: Auch ein Taugenichts aus der Provinz kann eine internationale Medienkampagne managen, sogar mit Schwerpunkt in den USA. Man braucht keinen Sitz in Hollywood oder New York, um dort effektiv aktiv zu werden. Man braucht noch nicht einmal zu wissen, welche Medien es dort gibt.
Zweitens: Es ist keine Schande, kindlichen Träumen nachzugehen. Der Filmkritik wird Uwe Boll wohl noch lange ein rotes Tuch bleiben. Aber über 40 Filme gedreht zu haben, während sich der gesamte Betrieb derart auf einen einschießt, immer sein Ding gemacht zu haben, darauf kann man stolz sein. Für mich gilt, denke ich, analog:
Die Erfahrungen mit Uwe und all die interessanten Begegnungen dieser Phase meines Lebens kann mir niemand nehmen. (Auch wenn vor zwei Jahren meine gesamte Festplatte mit den Bildern aus der Zeit sich unwiderbringlich selber zerstört hat und ich daher nur ein mickriges Filmsetbild mit mir zu der Geschichte liefern kann.)
Die Serie. Bisher erschienen:
Teil 1 "Gestatten, Hasso Mansfeld, PR-Taugenichts"
Teil 2: "Die Schnapsidee von den Ostpaketen"
Teil 3: Aus dem Leben eines PR-Taugenichts: Beinahe Bischof
*) Der Autor: Hasso Mansfeld ist Kommunikations- und Strategieberater. Er gehörte zum Autorenkreis von The European und schreibt heute für das Meinungsportal Die Kolumnisten. Mansfeld kandidierte 2014 als FDP-Mitglied für das Europäische Parlament. Er lebt und arbeitet in Bingen am Rhein.