Kommentar:
Advertiser müssen Facebook endlich zu mehr Transparenz zwingen
Ist es Fahrlässigkeit oder Absicht, wenn Facebook falsche Metriken in Umlauf bringt? Ganz egal, sagt Adtriba-CEO János Moldvay. Es ist höchste Zeit, dass Werbekunden jetzt saubere Daten von Facebook einfordern.
Eigentlich sorgen digitale Marketing-Kanäle dafür, dass Advertiser und Marketer nicht mehr mit den Unzulänglichkeiten von Offline-Kanälen leben müssen: Nie war die Datenerhebung zur Bewertung von Kampagnen so einfach, so umfassend und so genau. Eigentlich.
Denn jetzt zeigte sich Facebook bereit, einem Vergleich und einer Schadensersatzzahlung in Höhe von 40 Millionen Dollar zuzustimmen, um ein seit drei Jahren laufendes Gerichtsverfahren zu beenden. Das Geld würde an Werbekunden gehen, die zwischen 2015 und 2016 aufgrund verfälschter Metriken zusätzliches Budget in Video-Ads investiert haben: Durch die von Facebook viel zu hoch bezifferte Abspieldauer von Werbevideos ("Watch Time") haben unzählige Advertiser die Performance von Facebook-Videos als zu gut eingeschätzt und daraufhin viel mehr in Paid-Ads investiert, als sie es wohl sonst getan hätten.
Es ist nicht das erste Mal, dass Facebook aufgrund seines fehlerhaften Umgangs mit Daten vor Gericht stand – inzwischen nehmen viele Menschen diese Fälle sogar achselzuckend hin. Erstaunlich dagegen ist, dass ein Unternehmen, dessen Umsatz zu gut 95 Prozent aus Werbeeinnahmen besteht, mindestens fahrlässig, wenn nicht gar vorsätzlich, mit dem Wertvollsten spielt, das es besitzt: dem Vertrauen seiner Kunden.
Blindes Vertrauen wird teuer bezahlt
Die Frage ist nicht, ob Facebook die Metriken absichtlich gepusht hat, oder ob es nur ein kleiner, harmloser Rechenfehler war, wie es Facebook in der Gerichtsverhandlung zum aktuellen Schadensersatzfall dargestellt hat. Viel wichtiger ist: Wie wahrscheinlich ist es, dass es weitere, unentdeckte "Fehler" gibt? Denn jeder Fehler führt dazu, dass Werbekunden durch die Nutzung der Plattform Verluste fahren.
Dazu kommt, dass Facebook im Zuge der Läuterung nach dem Cambridge-Analytica-Skandal die Chance genutzt und die Möglichkeiten einer unabhängigen Performance-Messung weiter eingeschränkt hat – und das unter dem Deckmantel des Schutzes persönlicher Daten. Unter anderem wurde unabhängigen Measurement-Anbietern so die Möglichkeiten entzogen, durch eigene View-Tags die Effizienz von Facebook-Ads genauer zu messen.
Ähnliches passierte auch nach der Einführung der DSGVO: Advertisern und unabhängigen Bewertungsplattformen wird es seither erschwert, Daten zu bekommen – und dabei geht es nicht einmal um personenbezogene Daten, sondern solche auf Basis anonymisierter IDs. Diese ermöglichen bloß Rückschlüsse auf die Effizienz von Werbemaßnahmen, nicht auf eine einzelne Person.
Viele Marketer machen es Facebook zudem von sich aus zu einfach, weil sie sich auf die Plattform-Daten verlassen und keine neutrale Instanz – also etwa Tools zur Effizienzbewertung – prüfen lassen, ob die Kennzahlen die Realität der Customer Journeys abbilden. Im Angesicht der Strafzahlung braucht es also Antworten auf folgende Frage: Wie können Marketer kontrollieren, ob die ausgegebenen Zahlen und die Performance stimmen?
Werbetreibende müssen sich wehren
Das Problem: Die Marktmacht im Digitalen teilen sich Google und Facebook, mehr als die Hälfte des weltweit investierten Werbebudgets streichen die beiden US-Unternehmen ein. Sie bestimmen die Regeln, können den Begriff "Transparenz" fast beliebig dehnen. Man könnte nun appellieren, dass andere Plattformen an diesem Duopol rütteln oder Behörden den Markt regulieren sollten. Jeder Gründer will "das nächste Facebook" aus der Taufe heben, aber geschafft hat es bis jetzt (looking at you, TikTok!) noch keiner – zumindest nicht, ohne von Facebook selbst aufgekauft zu werden; und dass die Mühlen der Regulierung in Berlin, Brüssel und Washington langsam mahlen, ist auch weithin bekannt.
Viel naheliegender ist, dass sich die Werbetreibenden selbst den Weg aus den Walled Gardens suchen. Die Forderung, Daten an Werbekunden auszugeben, die dank anonymisierter IDs ohne mögliche Rückschlüsse auf den einzelnen User generiert werden, sollte dabei im Zentrum stehen. Am Ende könnten sich die Plattformen dann auch vor möglichen Strafzahlungen schützen, weil ihre Werbekunden die Validität der Messungen transparent und eigenständig nachvollziehen können.
Interessant ist übrigens auch die Tatsache, dass Facebook – wie Google zuvor auch – ein eigenes Attributionstool zur Bewertung der Ad-Performance entwickelt hat. Aber: Wer das als Werbekunde nutzt, der lässt zu, dass der Schüler seine eigenen Hausaufgaben bewertet.
Wenn es weiter nicht möglich ist, die Ad Views einzelner User unabhängig zu erfassen und zu bewerten, dann sollten Advertiser zumindest die aggregierten Werte – also die Anzahl der Views pro Kampagne und Tag – mit in die Bewertung ihrer Ad-Kampagnen einfließen lassen. Das funktioniert und ist allemal besser, als sich ausschließlich auf die Kennzahlen der Plattformen zu verlassen.
Mittel- bis langfristig sollte ein Weg gefunden werden, wie unabhängig und auf User-Level die Ad-Views in den Social Media erfasst und als Teil der User Journey bewertet werden können. In der Mobile-App-Welt funktioniert das teilweise schon ganz gut, da hier fast alle Ad-Touchpoints inklusive Facebook Ad-Views auf User Level mit berücksichtigt werden können, wenn man Mobile-App-Tracker wie Adjust oder Appsflyer nutzt. Wie auch immer: Die neue Transparenz würde die Services der großen Werbeplattformen besser und vertrauenswürdiger machen – und ihnen dazu noch Schadensersatzzahlungen ersparen.
János Moldvay ist Co-Gründer und CEO von Adtriba, einem SaaS-Anbieter für dynamisches Attribution Modeling und umfassende Customer-Journey-Analysen. Adtriba hilft Marketing-Managern dabei, mit Hilfe von Machine Learning bessere Entscheidungen zu treffen.