ARD-Talks fallen beim Experten durch
Medienexperte Bernd Gäbler hat die Talkshow-Schwemme im Ersten durchleuchtet. Fazit: Die ARD-Offensive mit ihrer "Vervielfachung des Ähnlichen" hat sich - noch - nicht bewährt.
Die ARD kann mit ihrer neuen Talkshow-Struktur am späten Abend weder beim Publikum noch bei Experten bisher punkten. Aus Sicht des Medienexperten Bernd Gäbler sind die Profile der einzelnen Sendungen "verwässert" worden. Vor allem die Sendungen "Hart aber fair", "Anne Will" und "Beckmann" seien noch in der "Such- und Erprobungsphase", wie Gäbler in seiner neuen Studie "Talkshows auf dem Prüfstand" feststellt und damit erneut durchleuchtet, was er im Sommer schon geahnt hat. Gäbler ist Professor im Fachbereich Medien der Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld. Er hat zu diesem Zweck - erneut im Auftrag der Otto Brenner Stiftung - im September und Oktober 32 Sendungen in der neuen ARD-Talkshow-Schiene analysiert.
Die Formate sind nach Günther Jauchs neu hinzugenommenem Sonntagstalk auf fünf angewachsen. Es gebe aber keine schärfere Abgrenzung der Formate und klarere Profilierung, sondern eine "Vervielfachung des Ähnlichen", schreibt Gäbler, der einen neuerlichen Schub weg von der Politik und hin zur Unterhaltung verzeichnet. Im untersuchten Zeitraum ist das alles überragende, nahezu monothematisch dominante Talk-Thema laut Studie die Euro-Krise gewesen. Gäbler moniert: "Nie ist es da gelungen, den verantwortlichen Finanzminister, einen noch aktiven Banker oder operativ verantwortliche EU-Politiker zu vernehmen. In immer ähnlichen Konstellationen wurde vor allem mit Frank Lehmann, Anja Kohl oder ‚Mister Dax‘, Dirk Müller, debattiert. Als Unternehmer tauchten bevorzugt Wolfgang Grupp (Trigema) oder Ernst Prost (Liqui Moly) auf." Mit großem Abstand nach dem Euro folgen als häufige Talk-Themen: Burn-out, die Kombination Alter/Rente/Pflege und der Papst-Besuch.
Die Politiker sind laut Gäbler als eingeladene Gäste fast zur Randgruppe geworden. Von den 152 Gästen in den ersten 32 Sendungen seien gerade einmal 30 aktive Politiker gewesen. "Die größte Gästegruppe sind Medienfiguren, vor allem Menschen, die bereits aus dem Fernsehen bekannt sind: Journalisten, Moderatoren, Köche, Big-Brother-Teilnehmer, Schauspieler etc.", hält der Medienexperte fest. Er nennt Dieter Thomas Heck, Peter Kraus, Howard Carpendale, Jürgen Milski aus "Big Brother", RTL-Moderatorin Nazan Eckes, Tim Mälzer, Tim Raue oder Veronica Ferres.
ARD-Neuzugang Jauch habe beispielsweise sein Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel souverän gemeistert. Aber er stellt auch einen gravierenden Nachteil fest. "Es ist die Haltung, respektive die Frageperspektive, die Günther Jauch eingenommen hat: Ich will verstehen, bitte erklär mir die Welt. Jauch macht sich zum Anwalt der Zuschauer, indem er deren einfache Fragen stellte. So etwas kann immer wieder erhellend sein. Es beschränkt aber auch die eigene Aktionsmöglichkeit. Er kann nicht zum Wissenden wechseln, der Kanzlerin nicht Zahlen, Daten oder frühere Beschlüsse vorhalten. Er kann nicht eine radikale Gegenposition beziehen."
Bernd Gäbler gilt nicht als Freund der neuen ARD-Strategie. Schon vor Beginn der neuen Programmierung hat er die Strategie bemängelt, verstärkt auf Talk zu setzen. In seiner Otto-Brenner-Untersuchung "...und unseren täglichen Talk gib uns heute!" hat er unter anderem die mangelnde Vielfalt der Sendungen, oft wiederkehrende Gäste und den Talk als Ersatzparlament kritisiert. Nach Marktanteilen hat sich die Reform nicht ausgezahlt: Alle Talkmaster, die bereits im Herbst 2010 im Ersten zu sehen gewesen sind, haben an Zuschauern sowie Marktanteilen verloren. Einzig Günther Jauch bringt mal mehr, mal weniger stabile Quoten - mit der starken Vorlage durch den Sonntags-"Tatort".