"Wired": Die seltsam Unverdrahtete
Zum dritten Mal liegt eine deutsche Wired am Kiosk. Doch die Netzresonanz auf den vergangenes Jahr freudig begrüßten Titel fällt mau aus. Die dritte Wired, sie wirkt seltsam unverdrahtet, findet W&V-Redakteur Ralph Pfister.
Da ist sie nun, die dritte Ausgabe der deutschen "Wired". Vor rund einem Jahr, als die erste Ausgabe Premiere feierte, da ging die Aufregung quer durchs Netz: Blogs, Soziale Netzwerke, Medien-Sites: Endlich! Und jetzt? Jetzt fällt der Buzz, die freudige Erregung, die Mundpropaganda eher bescheiden aus. Die dritte Iteration des Digital-Magazins wirkt befremdlich unverdrahtet.
Das liegt nicht in erster Linie am Heft, das wie die zweite Ausgabe solide bis gut wirkt. Das Layout wirkt stimmig, die Themen vielfältig, die Optik bietet immer wieder nette Hingucker. Zwar hat gefühlt der Anteil der kurzen Artikel, nicht nur bei Start, wieder zugenommen im Vergleich zur Nummer Zwei. Aber weiter hinten kommen sie, die längeren Stücke, über das Soziale Netzwerk Weibo, über Tracking in der Online-Werbung, über den Darm als zweites Gehirn (Ja, ernsthaft. Und als Wissenschaftsthema mit Gesellschaftsbezug ist das absolut wired.) Und die großformatigen Infografiken sind erneut gelungen, auch wenn der Zweiseiter zur globalen Verteilung plastischer Chirurgie eher zum Rest des Condé-Nast-Portfolios passt als zur "Wired". (Silizium, nicht Silikon, als kleine Referenz an Steve Jobs‘ Biographie.) Und die gute Geschichte zu Troy Carter und Lady Gaga im Juni in der englischen Ausgabe gelaufen ist und auch frei im Netz steht.
Aber mit der dritten Ausgabe verstärkt sich ein Eindruck, der für die Marke befremdlich ist: Die deutsche "Wired", sie ist ein Printobjekt. Im Netz findet sie kaum statt. Der deutlich schwächere Buzz ist kein gutes Zeichen. Denn wenn das, was mal als Digital-Deutschland, mal als Netzgemeinde bezeichnet wird, nicht über die neue "Wired" spricht – wer tut es dann?
Sie bekommen allerdings auch bemerkenswert wenig an die Hand, um das zu tun. Das war bei der ersten "Wired" anders. Natürlich weckt eine Premiere immer mehr Interesse als Nachfolger, das liegt in der Natur menschlicher wie medialer Aufmerksamkeit. Natürlich ist ein Drittlingswerk, ein dritter Auftritt, was das angeht, immer undankbar. Könnten Sie spontan sagen, wer der dritte Mann auf dem Mond war?
Aber Thomas Knüwer hat als damaliger Chefredakteur im "Wired-Blog" und anderweitig einfach mehr losgetreten, mehr Einblicke gewährt. Jetzt? Jetzt gab es auf Wired.de außer Redaktionsfragebögen nicht viel. Die Einblicke in die Themen, in das, was die Redaktion bewegt hat: Sie bestanden aus dem leeren Cover, vier Fotos, einem kurzen Text zum Cover-Shooting. Nichts davon hat nach heutigem Stand große Resonanz bei Twitter oder Facebook ausgelöst. Wie auch? "Das ist die Hintergrundfarbe unseres Covers" ist eigentümlich inhaltsleer für einen Teaser. (Nebenbei bemerkt hätte ich es "Wired"-mäßiger gefunden, dann einfach den hexadezimalen Farbwert zu nennen statt die Farbe zu zeigen, aber gut.)
Das ist nicht die Schuld des Teams, nicht die von Chefredakteur Alexander von Streit. Es folgt aus Condé Nasts Konzept, mit freien Teams punktuell einzelne Ausgaben zu produzieren. Da ist es nicht vorgesehen, einen Entwicklungsprozess im Netz zu begleiten.
Und das ist schade. Denn mir fällt keine Marke ein, die sich – insbesondere dann, wenn man sie neu etablieren will – besser für einen offenen Multikanalprozess eignen würde als Wired. Für begleitende Einblicke in die Produktion, in Recherche, Diskussion und anschließendes Feedback. Durchaus in der Denkrichtung eines Open Journalism à la "Guardian".
Denn die Marke ist hochspannend. Und es gibt in der deutschen Medienlandschaft einen Bedarf für einen solchen Titel. Das zeigen die Debatten um Datenschutz, um das Leistungsschutzrecht, um Facebook, Google, Apple und Amazon. Deutschland wacht auf bei digitalen Themen. Und doch finden sie in Medientiteln nur auf einzelnen Seiten, einzelnen Bögen, einzelnen Ressorts statt. Ein Magazin für digitales Leben? Das Lesern Trends und Themen erklärt, sie unterhält, den Mediator und Expeditionsführer gibt? Das kann Deutschland gut brauchen.
Soll man sich die neue Wired also kaufen? Ja, natürlich.
Nicht, weil es ein zwingendes Heft wäre. (Aber was ist das schon?). Sondern weil sich für die Lücke, die Wired so noch nicht wirklich füllen kann, kein anderer abzeichnet, der sie überhaupt besetzen könnte.