"Vor lauter Gier nicht zu Ende gedacht?" Joachim Steinhöfel und das Leistungsschutzrecht
Er ist Jurist, er ist Medienprofi und er versteht etwas von Abmahnungen: Anwalt und Ex-MediaMarkt-Testimonial Joachim Steinhöfel hat zum Leistungsschutzrecht eine ziemlich klare Meinung. Das Interview.
Noch immer schlägt die Diskussion ums Leistungsschutzrecht hohe Wellen, auch wenn die Bundesregierung eine Entscheidung erst einmal vertagt hat. Im Interview mit W&V Online rüffelt der streitbare Medien- und Markenanwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel die Gier der Verleger und die schlampige Gesetzesbegründung. Er rechnet mit einer neuer Abmahnwelle - sollte das Leistungsschutzrecht in Kraft treten.
Herr Steinhöfel, um das Leistungsschutzrecht wird zwischen Verlagen und freier Netzgemeinde ja erbittert gestritten. Wie beurteilen Sie persönlich das Leistungsschutzrecht für Verlage? Sehen Sie einen Bedarf der Verlage für dieses Gesetz?
Der Entwurf ist ein gesetzgeberisches Fiasko, beschämend, wie der pure Lobbyismus der Mehrwertsteuerermäßigung für Hoteliers oder das neue Meldegesetz. Das Gesetz ist auch völlig überflüssig und stellt darüber hinaus eine erhebliche, möglicherweise verfassungswidrige Bedrohung der Meinungsfreiheit dar.
Wie beurteilen Sie die Stimmen der Netzgemeinde?
Die Befürchtungen sind in weiten Teilen berechtigt. Das Gesetz will die Nutzung auch "kleiner“ Textbestandteile untersagen, wenn sie "gewerblich“ geschieht. Die Abgrenzung zwischen gewerblich und nicht gewerblich in der Gesetzesbegründung ist derart schlampig, dass völlige Rechtsunsicherheit besteht. Das Zitatrecht scheint mir gefährdet, Blogger werden eingeschüchtert.
Ein Verlag könnte dann ja theoretisch jeden Blogger und jeden Pressespiegel, der unerlaubt zitiert, abmahnen.
Nicht nur theoretisch: Genau diese Möglichkeit will die neue Regelung ja explizit. Und die weniger finanzkräftige Prozesspartei wird eher unter den juristischen Ungenauigkeiten des Gesetzes leiden. Ein Verlag kann sich den Instanzenweg zum Bundesgerichtshof weit eher erlauben, als ein "gewerblicher" Blogger, der dann, finanziell geschädigt, aufgibt.
Nach Ihrer bisherigen Erfahrung: Glauben Sie, das wird passieren?
Natürlich, wozu haben die Verlage sonst - mit Erfolg - ihre Lobbyisten auf die Regierung angesetzt.
Kommt es zu einer neuen Abmahn-Welle?
Das hier eine neue Klagewelle ansteht, nimmt der Gesetzgeber billigend in Kauf, auch wenn die Begründung das zu kaschieren sucht. Ein Ausmass wie in Sachen Filesharing sehe ich allerdings nicht. Andererseits sind die Auswirkungen auf einen, durch das Internet gerade erst möglich gewordenen, lebhaften Diskurs in einer Zivilgesellschaft dramatisch. Unverzichtbare Blogs wie die "Achse des Guten" und viele andere mehr stehen vor einer enormen Herausforderung, wenn sämtliche Texte der letzten zwölf Monate - davor greift die Verjährung - komplett auf mögliche Verstöße untersucht und geändert werden müssen.
Werden sich die Verlage eher mit den "großen Fischen" wie Google und Yahoo herumschlagen?
Eindeutig nein! Google streicht den Verlag eher aus den Suchergebnissen. Das sieht man doch auch bei Youtube: Wenn die Gema mäkelt, ist der Titel in Deutschland eben nicht mehr abrufbar. Google verlinkt dann eben nicht mehr. Das kostet enormen Traffic, das riskieren die Verlage nicht. Es sei denn, die Herren in der Chefetage haben vor lauter Gier nicht zu Ende gedacht und glauben ernstlich, sie könnten ein wenig bei Google mitkassieren.
Was könnten die "kleinen Fische" entsprechend gegen eine Abmahnwelle tun?
Zunächst Abschalten, d.h. alle Texte der letzten zwölf Monate offline stellen, wenn man "gewerblich" tätig ist. Außerdem sollten sie in den Texten der letzten 12 Monate Links oder Textzteilen entfernen, soweit diese auch nur mehrere Worte des Original-Artikels enthalten. zudem sollten sie Links ändern auf neutrale Worte wie "hier" sowie Zitate vorerst, je nach Risikobereitschaft, vorsichtshalber streichen.