David Montgomery:
"Paywalls funktionieren nicht in einem lokalen Kontext"
Der ehemalige Mecom-CEO David Montgomery hat in Großbritannien mit Local World einen neuen Regionalzeitungsverlag an den Start gebracht. Für die Zukunft setzt Montgomery vor allem auf Online und Mobile. Welche Chancen er für die Lokalpresse sieht, erzählt er im Interview mit "Kontakter"-Redakteur Franz Scheele.
Der ehemalige Mecom-CEO David Montgomery hat in Großbritannien mit Local World einen neuen Regionalzeitungsverlag an den Start gebracht. Partner sind die Verlage Northcliffe Media, Iliffe News & Media sowie die Trinity Mirror Group. Insgesamt verfügt das neue Joint Venture über 110 Lokalblätter. Für die Zukunft setzt Montgomery vor allem auf Online und Mobile. Über sein Projekt sprach er mit "Kontakter"-Redakteur Franz Scheele.
Mr. Montgomery, was ist die Idee hinter Ihrem neuen Projekt Local World?
Das Leben der meisten Menschen hat einen klaren örtlichen Mittelpunkt, ihre Aktivitäten finden in einem Radius von zehn bis 15 Kilometern statt. Das betrifft die Freizeit, aber auch den Arbeitsplatz. Die lokale Presse in Großbritannien hat bislang nicht begriffen, dass sie in einer einzigartigen, oftmals sogar monopolistischen Situation ist, was die Beschaffung von lokalen Informationen und Nachrichten betrifft. Da kann kein nationaler oder internationaler Player mithalten. Unser Konzept ist es daher, diese lokale Infrastruktur bei der News-Beschaffung zu nutzen und die Nachrichten und Informationen energischer als bisher über alle Plattformen anzubieten.
Was läuft bei der Lokalpresse schief?
Die lokalen Verlage, nicht nur in Großbritannien, sondern in ganz Europa und vielleicht überall auf der Welt, tendieren dazu, ihr Printprodukt einfach ins Internet zu verlängern. Notwendig ist aber ein radikales Umdenken, das Online als völlig anderes Medium erkennt. Websites von Tageszeitungen sind meist leicht zu identifizieren, sie sehen aus wie die Titelseite der Printausgabe. Die meisten Lokalzeitungen in Großbritannien stellen lediglich ihre Print-Geschichten online und hoffen, dass das funktioniert. Das ist aber nicht gerade aufregend. Und es geht an den Möglichkeiten von Online-Medien vorbei. Insgesamt ist es kein erfolgversprechendes Rezept.
Was muss stattdessen geschehen?
Lokalverlage haben die Möglichkeit, ihren Content für die lokale Community anzureichern, zu veredeln und nutzwertiger zu machen. Natürlich werden darunter auch viele alltägliche Informationen und Meldungen sein. Die Verlage müssen aber zum One-stop-Shop für Inhalte über alle Plattformen werden. Nur die Lokalverlage, die dies umsetzen können, werden erfolgreich sein. Das ist bislang aber noch nicht geschehen, die meisten Verlage definieren „Nachrichten“ noch in einem Print-Kontext.
Was bedeutet das für den Digitalbereich?
Meiner Meinung nach muss der Digitalbereich gleichberechtigt neben dem Printbereich stehen. Hier werden wir auch die Priorität setzen. Lokaler Content muss von den Leuten vor Ort geschaffen und in adäquater Form angeboten werden, sowohl von professionellen Journalisten als auch von Zulieferern aus der Bevölkerung. Deshalb glaube ich, dass die lokalen Inhalte online sehr viel reichhaltiger sein werden als in der gedruckten Zeitung. Es gibt eigentlich keine Grenze dafür, was man online anbieten kann. Und man kann jederzeit aktualisieren. Es gibt auch keine Grenze für die Partizipation der Leserschaft. Der Schwerpunkt der Berichterstattung wird sich in den nächsten Jahren gewaltig in Richtung Online verschieben. Ich erwarte, dass sich das Wachstum bei der Nutzerschaft schon in den nächsten zwei Jahren verdoppeln oder sogar vervierfachen wird.
Müssen sich Lokalzeitungen also neu erfinden?
Wenn sie sich nicht neu erfinden, werden sie weiter an Bedeutung verlieren. Print ist nur ein Moment eines Content-Angebots für die Community. Notwendig ist eine ernsthafte Umstrukturierung der Arbeitsabläufe, um diese neuen Aufgaben zu ermöglichen. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, dass die Leserschaft, die Community, versteht, dass das Print-Produkt nur ein Element des Inhalte-Angebots und des kommerziellen Marktes darstellt und dass ein großer Teil des Angebots online und mobile genutzt werden kann.
Wie soll das konkret umgesetzt werden?
Es muss eine deutliche Steigerung bei der Produktivität des einzelnen Journalisten geben. Das bedeutet Dezentralisierung. Der einzelne Journalist auf lokaler Ebene muss mit mehr Verantwortung betraut werden.
Rechnen Sie mit einer Konsolidierung des Lokalzeitungsmarktes?
Was wir gerade machen ist ja gewissermaßen eine Konsolidierung, nämlich der Verlage Northcliffe und Iliffe, wobei einer, nämlich Northcliffe, sehr viel größer ist als der andere. Trotzdem gibt es einige Konsolidierungs-Vorteile. Eine größere Konsolidierung des britischen Lokalzeitungsmarktes ist tatsächlich möglich und sogar wünschenswert. Allerdings gibt es da wettbewerbsrechtliche Grenzen. Letztlich ist Konsolidierung aber auch nicht die Antwort. Konsolidierung ist eine gute Sache im Sinne von Kostenreduzierung. Das ist aber nur ein vorübergehender Aufschub. Was wir im Markt der Lokalzeitungen brauchen, ist ein fundamentaler Wechsel des Geschäftsmodells.
Den meisten Lokal- und Regionalverlagen fällt aber wenig mehr als Kostenreduzierungen ein, sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland. Sie haben bei der Präsentation von Local World vor Kurzem gesagt, dass Sie weitere Kostensenkungsprogramme vermeiden wollen. Das ist erstaunlich. Die britische Tageszeitung The Guardian schrieb einmal, Sie hätten sich in Ihrer Zeit als CEO der Mirror Group in den Neunzigerjahren den Ruf eines brutalen Verfechters von Kostensenkungsmaßnahmen erworben.
Der Guardian tendiert nicht gerade zu Kostensenkungen. Deswegen macht er ja auch Riesenverluste. Mit Kostensenkungsmaßnahmen stößt man aber irgendwann an Grenzen. Natürlich konnten einige Zeitungen durch Kostensenkungen in einer Phase, in der die Anzeigenerlöse wegbrachen, weiterhin profitabel arbeiten. Aber diese Maßnahmen waren oftmals nicht chirurgisch präzise. Das Geschäftsmodell blieb wie es war ¬– und sieht nun ziemlich überholt aus. Was Local World betrifft, so wollen wir so viel Mitarbeiter an Bord behalten wie irgendwie möglich. Allerdings wird es Umstrukturierungen geben. Wir werden ineffiziente Hierarchien abschaffen und die einzelnen Mitarbeiter produktiver machen. Alle künftigen Effizienz-Vorteile kommen damit durch Umorganisation, nicht durch Kostensenkungsmaßnahmen. Überhaupt: Die Kostensenkungen sind in den meisten Lokalverlagen ohnehin abgeschlossen. Es gibt nur noch sehr begrenzte Möglichkeiten für weitere Einsparungen.
Ist Paid Content eine Option?
Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Die ganze Idee hinter einem lokalen Angebot ist es, dass die gesamte Bevölkerung Zugang zu den Inhalten hat. Und sie selbst soll zu diesem Content beitragen. Uns geht es darum, so viel Traffic und so viel Engagement der Bevölkerung wie nur möglich zu erreichen. Ich denke, Paywalls funktionieren in einem lokalen Kontext nicht.
Glauben Sie, dass ein Projekt wie Local World auch in Deutschland funktionieren könnte?
Absolut. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die lokalen und regionalen Verlage in Deutschland Wege finden werden, ihren Content online und mobil sehr viel effektiver zu nutzen. Was in einem Land geschieht, wird sehr schnell in anderen Ländern aufgegriffen. Niemand hat bisher den Königsweg gefunden, um das Schicksal der Tageszeitungen zu wenden. Aber es gibt in vielen Ländern entsprechende Versuche. Und die Verleger beobachten sich untereinander recht genau.