
Shanghai Corona Days:
"Lass' niemals eine Krise ungenutzt verstreichen"
Stefan Justl von Storymaker China hat 45 Tage Corona-Schockstarre in Shanghai hinter sich. In Teil 16 der Kolumne spricht er mit Evelyn Engesser von Unicepta über Corona-Berichterstattung und Krise als Chance.

Foto: Unternehmen
Am Samstag war ich bei M Talks China in Shanghai. Dort präsentierten Evelyn Engesser und Rong Wang Ergebnisse einer aktuellen Studie von Unicepta zum Thema Medienberichterstattung in der Corona-Krise. Mit welchen Themen haben es Unternehmen geschafft, in die Medien zu kommen, wie wurden sie dargestellt?
Für mich erstaunlich war die Tatsache, dass es Fälle gab, in denen Unternehmen spendeten und darüber negativ berichtet wurde. Das war nicht die einzige Überraschung. Ich habe mit Evelyn Engesser über die Studie und die Learnings gesprochen.
Evelyn, was genau habt Ihr untersucht?
Krisenmonitoring gehört bei Unicepta ja zum Tagesgeschäft. Aber dass eine Krise gleichzeitig alle Unternehmen aus allen Branchen betrifft, ist äußerst selten. Alle sind plötzlich im Krisenmodus und müssen auch in der Kommunikation mit dieser Situation fertig werden. Wir fanden es daher spannend, Vergleiche zu ziehen, und haben dafür die Berichterstattung über 15 Unternehmen aus fünf Branchen herangezogen: Automobil, Luftfahrt, Chemie, IT und Pharma.
Mittels einer systematischen Medieninhaltsanalyse haben wir Medienpräsenz, Tonalität und die Hauptthemen der Berichterstattung untersucht. Insgesamt waren es 4.770 Artikel, veröffentlicht vom 20. Januar bis 19. Februar 2020 in chinesischen Print- und Online-Medien. Vorher wurde zwar über das neuartige Coronavirus berichtet, aber nicht im Zusammenhang mit den untersuchten Firmen. Die Unternehmensberichterstattung zur Krise setzte erst ein, als sich Staatspräsident Xi Jinping am 20. Januar mit Instruktionen zur Eindämmung des Ausbruchs an die Öffentlichkeit wandte.
Gab es Unterschiede in der Darstellung der Branchen?
Ja, sowohl bei Medienpräsenz als auch bei Tonalität. Über Automobil- und IT-Firmen wurde besonders häufig berichtet, und zumeist positiv. Für Fluggesellschaften gab es in den ersten zwei Wochen viel mediale Aufmerksamkeit – kein Wunder, stand doch mit Beginn des Frühlingsfests am 24. Januar die Hauptreisezeit an. Oft waren es schlechte Neuigkeiten: gestrichene Flüge bis zur völligen Einstellung des Flugbetriebs. Chemie- und Pharmaunternehmen kamen besser weg, waren aber insgesamt weniger präsent als die anderen Branchen.
Welche Themen waren prominent in den Medien?
Das Wort Krise besteht im Chinesischen aus zwei Schriftzeichen, eines steht für Gefahr, das andere für Chance. Natürlich wurde viel über die negativen wirtschaftlichen Folgen der Krise berichtet, über Umsatzrückgang, fallende Aktienkurse, Probleme mit Logistik und Supply Chain usw. Noch häufiger aber waren Beiträge über Reaktionen der Firmen darauf.
Viele Firmen haben es geschafft, in Rekordzeit ihre Serviceangebote den geänderten Bedingungen anzupassen, oder haben sogar die Chance ergriffen, völlig neue Produkte oder Services zu entwickeln. IT-Unternehmen waren hier besonders rege, aber auch andere Unternehmen, die Prozesse und Services digitalisieren und damit von offline nach online verlagern konnten. Online Shopping, Online Entertainment, E-Commerce waren ja schon lange populär in China, aber jetzt wurden auch vermehrt Nutzergruppen erreicht, die online bisher weniger aktiv waren, also ältere Nutzer und Bewohner aus kleineren Städten und Dörfern.
Schulkinder gingen online zur Schule, Mitarbeiter wurden online weitergebildet, große Teile der Bevölkerung arbeiteten von zuhause. Die entsprechenden Plattformen und Apps genossen viel Medienaufmerksamkeit, ebenso wie Serviceangebote zum Thema Gesundheit, also beispielsweise Apps für den Arztbesuch online oder Plattformen zur Beschaffung von medizinischen Hilfsgütern.
Ein weiteres großen Thema war Corporate Social Responsibility. Manche Firmen haben allein in den ersten vier Wochen bis zu dreimal gespendet. Während es anfangs vor allem darum ging, medizinisches Personal in Wuhan zu versorgen, wurden später auch andere Zielgruppen und Regionen mit Unterstützung bedacht.
Für Aufmerksamkeit sorgten etwa Rückholflüge für gestrandete Urlauber, die Übernahme von Personal aus der Gastronomie für Supermärkte und Lieferdienste und natürlich auch Großspenden mit Beträgen von einer Milliarde RMB und mehr. Kontrovers diskutiert wurde hingegen, dass Besitzer eines Elektroautos der Luxusklasse ihren Wagen kostenlos aufladen konnten – diese Unterstützung richtete sich weder an Bedürftige, noch ist kostenlose Mobilität während eines Lockdowns eine sonderlich passende Maßnahme.
Weniger präsent waren die Sicherheitsmaßnahmen, die Unternehmen zum Schutz ihres Personals getroffen haben. Das war natürlich ein wichtiges Thema für die interne Kommunikation, fand aber nur wenig Niederschlag in den Medien. Auch die Kooperation mit den Behörden war unternehmensintern absolut essenziell, aber kein Thema für die Nachrichten.
Was sind die Lehren, die wir vielleicht auch für Deutschland ableiten können?
Es gibt kein einheitliches Erfolgsrezept für Krisen aller Arten. Für Covid-19 aber gilt, und sicherlich nicht nur für China: Kommunikation ist ein ganz wesentliches Mittel zur Bewältigung einer Krise. Ein Zuviel an Information ist auf jeden Fall besser als ein Mangel, der dazu führt, dass sich interne und externe Bezugsgruppen anderen Quellen zuwenden. Gelingt es, auf die sich ändernden Stimmungen und Bedürfnisse der verschiedenen Zielgruppen richtig zu reagieren, Empathie zu zeigen, kann Krisenkommunikation zu mehr Rückhalt und Bindung führen. In der Krise ist auch die richtige Zeit, Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft zu demonstrieren.
Wie unsere Studie gezeigt hat, kann man die Berichterstattung über wirtschaftliche Einbußen durch einen positiven Ausblick und mit Verweis auf neue Geschäftsmöglichkeiten und Services durchaus günstig beeinflussen. Der CEO trägt dabei besondere Verantwortung und kann durch gute Führung und Kommunikation Ängste mildern, Verlässlichkeit demonstrieren und vielleicht sogar ein wenig Hoffnung geben.
Und schließlich ist es wichtig, eine Krise auch als Chance zu begreifen. Eine Krise kann ein Katalysator sein, der Entwicklungen und Entscheidungen beschleunigt. Digitalisierung, Umstrukturierung, neue Produkte und Services – aus einer Krise kann man gestärkt herausgehen. Krisenberichterstattung ist selten positiv, aber wie unsere Studie belegt, muss sie keine negativen Auswirkungen auf das Unternehmensimage haben.
Im Gegenteil. Gerade in der Krise bietet sich die Chance für Unternehmen, Kundennähe, soziale Verantwortung und Verantwortung gegenüber Mitarbeitern zu demonstrieren. "Lass‘ niemals eine Krise ungenutzt verstreichen" – ob dieser Ausspruch wirklich von Winston Churchill stammt, ist umstritten. Wer immer es aber war: Recht hat er.
Wie sieht die Rückkehr der Unternehmen aus, die vom Shutdown besonders betroffen waren? Wie werben und kommunizieren sie jetzt, um den Konsum wieder anzukurbeln. Darum geht es in der nächsten Folge. Bis dahin. Bleibt gesund.
Stefan Justl verantwortet als General Manager das Geschäft von Storymaker in China. Die Kommunikationsagentur sitzt in Tübingen, München, Berlin, Beijing und Shanghai. Direkt vom Shanghai-Homeoffice aus berichtet er nun zweimal pro Woche auf wuv.de über die Auswirkungen von Corona in China, den Umgang mit der Krise und wie es dort jetzt weitergeht.
Den Pilot der Serie "Arbeiten in Shanghai: 45 Tage Corona-Schockstarre" lesen Sie hier. Hier geht's zu den Beiträgen über Einkaufen, die Gesundheits-App , Schutzmasken, Homeschooling, hilfreiche Apps, saubere Luft, Teleshopping, deutsche Unternehmen in China, Humor, Büroalltag, Marketing, Urlaub, Messen, Medien und virtuelle Kommunikation.
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