Print-Krise:
"Die Verlage sind an ihrer Misere selber schuld"
Sterben statt werben: Nicht nur in der Redaktion, sondern auch beim Marketing kann man eine Printmarke zu Tode sparen. Die These von W&V-Chefredakteur Jochen Kalka sorgt weiter für Diskussionen. Die Reaktionen aus der Branche.
Vor wenigen Tagen hat W&V-Chefredakteur Jochen Kalka mit Blick auf das Ende von Zeitungsmarken wie "Financial Times Deutschland" (FTD) die These aufgestellt, dass in vielen Fällen Mut und Marketing fehlen würden – ja die Verlag regelrecht "Sterbehilfe“ betreiben würden, wenn sie nicht mehr in Werbung für ihre Printprodukte investieren würden.“Kein Titel ist ein Selbstläufer, jeder muss kontinuierlich gepflegt werden – und vermarktet“, so Kalka.
W&V Online hat sich bei Mediakennern umgehört. Grundtenor: Im Fall der "FTD" mag die Lage anders sein. Aber generell werben die Verlage zu wenig für ihre Medienmarken.
So betont etwa Media-Experte Thomas Koch: "Während früher jede Neuerscheinung und jeder Relaunch von einer groß angelegten Werbekampagne begleitet wurde, verzichten Verlage heute darauf, sich zu positionieren und sich wie eine Marke im Markt zu bewegen. Dass das fatale Folgen hat, weiß jeder Erstsemestler.“ Hier gibt der Chef der Beratungsfirm tk-one Kalka Recht. Koch holt noch weiter aus – es kommt aus seiner Sicht in den Verlagen noch schlimmer: "Mit dem Verzicht auf Werbung zeigen sie dem Markt, dass sie diesem Instrument selbst nicht vertrauen. Sie zeigen, dass dieses Instrument für sie ein Kostenblock ist, den man sich sparen kann - und nicht eine Investition. Und wundern sich darüber, dass ihre Werbekunden Gleiches tun: Sie verzichten auf Printwerbung." Sein hartes Resümée: "Es zeigt sich immer wieder: Die Verlage sind an ihrer Misere selber schuld." Die "FTD" nimmt Koch indes ein wenig aus der Schusslinie; die "FTD" habe tatsächlich Marketing betrieben. Allerdings sei sie damit auch eine der wenigen Verlagsobjekte, die sich des Marketings noch bedient hätten. Im größeren Stil hat etwa KNSK im vergangenen Herbst eine Kampagne für den lachsrosa Titel eingetütet.
Der Urheber - KNSK-Geschäftsführer Detmar Karpinski – wehrt sich indes gegen den Eindruck, dass es bei der "FTD" am Marketing gemangelt habe. Karpinski gegenüber W&V Online: "Ob andere Verlage ihre Marken nicht pflegen, vermag ich nicht zu beurteilen. Im Falle der ‘ FTD‘ jedenfalls ist wenig falsch gemacht worden." Die Marke sei über viele Jahre hinweg mit großer Kontinuität gepflegt worden.KNSK-Kreationen für die "FTD" würden sogar zu den wenigen, wirklich sichtbaren Medienkampagnen im Markt zählen, "ausgezeichnet übrigens mit nahezu allen Awards, inklusive eines Effies in Gold". Der KNSK-Mann, der seit dem Sommer auch die werbliche Kommunikation des ZDF steuert, sieht das Sterben des Wirtschaftstitels in anderen Ursachen begründet: "Dass die ‚FTD‘ in den letzten Jahren nicht mehr mit den Spendings unterstützt wurde wie in den Anfangsjahren, ist angesichts der gewaltigen Gesamtinvestitionen von Gruner + Jahr in diese Zeitung nur allzu verständlich". Nichts desto trotz gibt es Beobachter, die der fehlenden Unterstützung durch Kreative eine Teilschuld an der Zeitungsmisere zuschieben.
Vom Ansatz her sei vieles bei der "FTD" falsch gemacht worden, ist immer wieder in der Branche zu hören. Die Kostenlos-Mentalität der begleitenden Online-Offerten etwa hat für Unverständnis gesorgt – beispielsweise bei Börsen-Guru Dirk Müller. Ins selbe Horn stößt Jörg Blumtritt von Mediagnosis. Der ehemalige Mediacom-Chef geht sogar noch weiter und greift die Printstrategie des Hamburger Verlags an: "Die ‚FTD‘ habe ich mir nie gekauft - warum auch? In jeder DB- oder Lufthansa-Lounge lag sie sowieso kostenlos aus. Ich bin, denke ich, ein ziemlich typischer potenzieller Leser der ‚FTD‘, der auf diese Weise als Käufer verloren wurde." Diese "Kostenlos-Mentalität" sei in der Verlagsbranche leider weit verbreitet. Dabei sei die dahinterliegende Hoffnung auf mehr Werbeumsätze durch die künstlich vergrößerte Reichweite völlig umsonst: "Keine Agentur lässt sich dadurch blenden", so Blumtritt.
Wer nun glaubt, dass der Tod der "FTD" das Überleben anderer Wirtschaftstitel sichert, den enttäuschen Beobachter wie Ex-"Capital"-Chefredakteur Ralf-Dieter Brunowsky, der heute den Wirtschafts-Blog Brunowsky’s Business Monitor betreibt. "Das ‚Handelsblatt‘ wird keine einzige zusätzliche Anzeige durch die Schließung und nur wenige zusätzliche Abonnenten gewinnen", zitiert ihn die aktuelle Printausgabe der W&V (EVT: 29.11.), die sich umfassend mit dem Segment der Wirtschaftstitel auseinandersetzt. Brunowsky fügt hinzu, dass die meisten Werbungtreibenden ohnehin in beiden Blättern geschaltet hätten. Der ehemalige Mediaplus-Chef Andreas Bahr geht noch weiter: "Das ‚Handelsblatt‘ wird eher darum kämpfen müssen, dass es nicht eines Tages das Schicksal der ‚FTD‘ teilt."