
"Die Mutter aller Virals ist Madonna"
Warum virale Werbung ein alter Hut ist, was Apple damit zu tun hat und wie zufällig die großen Viral-Erfolge wirklich sind: Das W&V-Online-Interview mit ADC-Vorstand Hans-Peter Albrecht.
Warum virale Werbung ein alter Hut ist, was Apple damit zu tun hat und wie zufällig die großen Viral-Erfolge wirklich sind: Das W&V-Online-Interview mit ADC-Vorstand Hans-Peter Albrecht.
Herr Albrecht, Sie sprechen auf den Audiovisual Media Days 2011 über die Geschichte des Virals, ist es dafür nicht etwas früh?
Nein, die Frage ist, wie man "viral" definiert. Ich würde sagen, etwas ist viral, wenn ein "Angesteckter" etwas weiterverbreitet. Eigentlich geht es schon los mit der Geschichte aus dem Neuen Testament, als jemand angefangen hat, von der wundersamen Brot- und Fisch-Vermehrung zu erzählen. Märchen, die Hexenverbrennung, das sind weitere Beispiele.
Aber das ist doch schon ein sehr weit gefasster Begriff, haben nicht Youtube, Facebook oder Twitter den Virals erst zu ihrer Bedeutung verholfen?
Ja, das ist heute natürlich extrem wichtig. Das erste technisch unterstützte Viral gab es übrigens schon 1938 in der USA. Damals kam ein Hörspiel im Radio, "Krieg der Welten", das ja dann später auch verfilmt wurde. Angeblich haben die Hörer die Geschichte wörtlich genommen und dachten, in New Jersey seien die Marsmännchen gelandet. Es soll Massenpaniken gegeben haben, Staus auf den Ausfallstraßen und so weiter. Alle Zeitungen haben damals darüber berichtet. Aber es war ein Fake.
Und alle haben die Ente übernommen?
Ja, alle wollten die falsche Geschichte glauben, weil die einfach viel geiler war als die echte.
Das war aber noch kein Marketing. Wann haben die Unternehmen das Viral für sich entdeckt?
Das erste Viral im Marketing war ein Spot von Apple 1984. Der lief nur beim Superbowl damals, nur ein einziges Mal, trotzdem haben ihn alle technikaffinen Leute gesehen, die ihn sehen sollten. Der wurde damals noch auf VHS herunterge…
…aufgenommen nannte man das damals wohl?
Genau, der wurde aufgenommen und als Videokassette weitergereicht. Und das war kein Zufall, kein Chaos, sondern von langer Hand geplant. Der Spot hat etwa 800.000 Dollar gekostet und wurde dann letztlich auch von der Zielgruppe gesehen, für den er gemacht war.
Apple hat dem Viral also zum Durchbruch verholfen?
Nein, das war zwar das erste, aber den Durchbruch schaffte Madonna: Die Mutter aller Virals ist Madonna. 2001 gab es die BMW-Filme, sehr aufwändig gedreht, BMW hat 10 Millionen Dollar dafür ausgegeben und eine Reihe von Filmen drehen lassen. Und der beste Film war der mit Madonna. Die Dinger wurden nicht ausgestrahlt, man konnte sie sich nur runterladen. Zwölf, vierzehn Stunden dauerte es damals noch, so einen Clip herunterzuladen. Wer das getan hat, war informationsmäßig voraus. Alle technikaffinen Leute damals waren wahnsinnig scharf auf diese Filme und genau die wollte BMW ja auch erreichen.
Auch hier hat also gute Planung den Erfolg gebracht?
Ja, das war von langer Hand geplant, dass sich so ein Erfolg zufällig einstellt, ist Quatsch mit Soße. Natürlich spielt auch mal der Zufall eine Rolle, viel wichtiger ist aber die Planung und das Seeding. Nehmen Sie Evian! Wenn die Nummer mit den Roller Babies ein Zufall war, fresse ich einen Besenstiel. Mit Putzfrau.
Manche Unternehmen greifen da aber auch zu unlauteren Mitteln und kaufen sich die Klicks.
Das sind die Graubereiche des Seedings. Aber wenn eine Sache nicht so gut ist, dass sie rumgeschickt wird, nutzen auch keine gekauften Klicks aus Indien. Ganz im Gegenteil, ein schlecht gemachter Spot kann einem Unternehmen richtig um die Ohren fliegen. Viel besser ist es, wenn die Geschichte so gut ist, dass sie von Medien aufgegriffen wird. Marc Ecko, der Mann hinter der Modemarke, hat vor fünf Jahren ein Viral gedreht, bei dem Graffiti Sprayer eine Air Force One besprüht haben. Das war natürlich gefaked, hat aber hohe Wellen geschlagen. Wir lassen uns einfach gerne Geschichten erzählen.
Wie ist denn die "virale Kreativität" in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern?
Erstaunlich gut, das haben wir beim ADC wieder gesehen. Zum Beispiel die Entega-Kampagne, die ist ja knapp am Grand Prix vorbeigeschrammt. Da ist gar nix klassisch. Aber irre mutig. Gerade für die Tochter eines Konzerns, der mit Atomstrom Geld verdient. Und für Entega zum Beispiel einen Typen mit einem Fass Atommüll per Autostrom durch Deutschland schickt. Im knallgelben Schutzanzug. Um auf das Problem fehlender Endlager hinzuweisen. Eine von vielen viralen Ideen, über die die Medien berichteten und die sich zur gesamten Entega-Kampagne aufreiht. Da ist auch unserm ADC-Jury-Präsidenten Chuck Porter der Mund offen gestanden, als wir die Grand-Prix-Kandidaten diskutierten. Und Chuck ist ja nun nicht gerade ein Waisenknabe, was Virales angeht.