Männermagazin:
Wie viel Mut braucht ein Matador?
In neuem Verlag erscheint das Männermagazin Matador. Runderneuert und frecher als früher. W&V-Autorin Susanne Herrmann hat sich den Titel und das Segment genauer angesehen.
Mehr als neun Jahre nach der Einstellung des Hefts bringt ein neuer Verlag das Männermagazin Matador noch einmal heraus (EVT 12. Oktober). Die Marke wanderte von Bauer (2004 bis 2008) zu Ocean Global in Kiel. Der Verlag gibt überwiegend Objekte zu Outdoor- und Wassersport heraus (unter anderem Kitelife, Silent World, Windsurfing), außerdem den Anleger-Lifestyle-Titel Materialist sowie Unternehmens- und Kundenmagazine.
Und nun einen Männerlifestyletitel. Aus Sicht eines Journalisten ist der erste Reflex bei einem neuen (oder neuen alten) Printtitel stets: Gut, dass es immer noch Menschen gibt, die sich das trauen. Daumen drücken! Gefolgt von Zweifeln: Wird das gutgehen? Darum zuerst ein Blick auf den Markt.
Wie geht's dem Segment?
Denn gerade den Männerlifestyletiteln geht es gar nicht gut. Es ist ein Printsegment, das seit 2014 nicht mehr nur bröckelt, sondern erodiert. So hat etwa der Playboy (Burda) seine verkaufte Auflage von 2007 bis 2017 von gut 273.000 verkauften Exemplaren (Jahresdurchschnitt) auf gut 133.000 mehr als halbiert, GQ (Condé Nast) auf niedrigerem Niveau beinahe auch (von 151.000 im Jahr 2007 auf 87.000 in diesem Jahr), Men's Health (Motor Presse) hatte 2007 eine durchschnittliche Verkaufsauflage von 239.000; heute sind es immerhin noch 154.000.
Titel wie Penthouse gibt es mal, dann wieder nicht, dabei wandern sie von Verlag zu Verlag; zuletzt wurde das Heft wiederbelebt 2015 von Carsten Borgmeier. Die Druckauflage pendelt zwischen 40.000 und 70.000 – zweimonatlich. Die US-Printausgabe wurde 2016 eingestellt.
Erst dahingesiecht, dann gestorben sind in Deutschland FHM (Attic Futura, dann Egmont Ehapa; 2000 bis 2010)
und Maxim (Springer, dann MVG; 2001 bis 2012). Nicht nur die Abonnenten, auch die Werbekunden blieben weg.
Für Matador kam das Aus 2008. Mit einer Auflage von zuletzt 163.000. Nun kommt es wieder: als Zweimonatsheft in einer Auflage von 130.000 gedruckten Heften, von denen Herausgeber Alexander Lehmann 90.000 in den Handel gibt (Vertrieb: Bauer). Die übrigen 30.000 gehen als Leseprobe an die männlichen Abonnenten der anderen Titel von Ocean Global.
Warum Matador jetzt kommt
Die Frage beantwortet Herausgeber und Verlagschef Lehmann nüchtern: "Es ist eine Frage des Betrachters, ob es dem Segment gut geht oder nicht. Für einen kleinen Verlag wie unseren sind die Erfolgsaussichten ganz andere als für einen der großen."
Matador hat sich was vorgenommen. Klein oben links auf dem Titel verkündet das optisch und haptisch gut gemachte Remake "Besser als je zuvor". Das schaffen die Macher. So viel sei verraten. Denn - es mag zynisch sein, aber: Die Latte hing vor zehn Jahren nicht mehr sehr hoch. Im Wettbewerb mit GQ (Hochglanz), Playboy (Blankziehen und ja, die Interviews), FHM (für Rotzlöffel) fand der Titel in den frühen 2000ern keine ideale Position.
Das soll ja nun anders werden. Mit GQ für die "Gentlemen" unter den Lesern will man sich nicht messen, wie es aussieht, den Waschbrettbäuchen von Men's Health keine Konkurrenz machen. Am ehesten hat Ocean Global wohl noch den Playboy im Visier. Der hat mit seiner Erneuerung vom Spaß zur Liebe ein bisschen Platz gemacht an dem Ende, an dem FHM einst die Nische "Rock'n'Roll" besetzt hatte: ein bisschen rauer, ein bisschen schonungsloser, weniger politisch korrekt als die großen genannten Titel wollte FHM sein. War es auch, ist damit aber am Ende grandios gescheitert.
Alexander Lehmann sagt zur Position auf dem Markt: "Es gibt für mich nur ein richtiges Männermagazin in Deutschland. Das ist der Playboy und ich mag ihn sehr. Mit Matador möchten wir frischen Wind in das Segment bringen, uns hinsichtlich des Alters der Leserschaft eine Generation unter der des Playboy positionieren und so eher Ergänzung als Konkurrent sein." Unsere Vermutungen bestätigt er also.
Überschneidungen mit dem Playboy-Konzept gibt es natürlich trotzdem: Authentisch und vielfältig ist das Männerbild derzeit, so auch der eigene Anspruch an die Magazine. Und die Themenmischung: Sex, Schauspieler, Männerspielzeug (inklusive Autos) und Nervenkitzel (Extremsport, Krieg). Der Unterschied: Wo der Playboy von "Spaß" auf "Alles, was Männer lieben" umgestellt hat, grätscht Matador rein. Claim: "Erlaubt ist, was Spaß macht."
Was Matador bietet
Chefredakteur Florian Spieth (führt auch Kitelife) stellt den Matador im Editorial der ersten Ausgabe vor. "Schlussmachen mit Weichspülen" wollen er und sein Team, mit "Schubladendenken", "einen Gegenentwurf zum Mainstream" bieten. Aber nicht umerziehen oder Anleitung zur "Selbstfindung" geben. Spieth: "Wir geben dem gebrochenen und überstrapazierten Wort Authentizität ... seine Würde und Bedeutung zurück. Schonungslos. Extrem. Kontrovers."
Das ist ein Ansatz, der uns sehr gefällt. Und den das Magazin trotz vieler erwartbarer Formate* an einigen Stellen einlöst.
Zum Beispiel ist das Interview mit dem "El Matador" des Heftes, dem Schauspieler Christoph Letkowski, ein Männergespräch über Soaps, Musik und Antifa mit einem wirklich interessanten Typen, der noch nicht in allen Gazetten durchgenudelt wurde.
"Kiffer-Nonnen" auf den Titel zu heben ist erfrischend. Ebenso die Reportage dazu über die ungewöhnlichen selbsternannten Nonnen in Kalifornien, die vor allem für medizinische Zwecke Gras anbauen.
Oder ein Artikel über Blowjobs. Von erheblicher Relevanz. Geschrieben - wie einige Texte im Heft - von einer Frau. Was dem Text gut tut und dem Leser die hilfreichere Perspektive liefert.**
Positiv überraschend: Wie Matador mit Pflegeprodukten umgeht. Hier finden Leser (bei Frauen- wie Männertiteln gleichermaßen) meist verlustfrei überblätterbare Strecken, mit denen Redaktionen versuchen, potenzielle Anzeigenkunden milde zu stimmen. Was man hin und wieder auch merkt.
Matador wirft zwar einen Blick in den "Kulturbeutel", verspricht aber, die Produkte unabhängig getestet zu haben.*** Was man der Redaktion tatsächlich abnimmt. Lesebeispiel zu Colgate Max White: "Sie macht deine Zähne vielleicht nicht so weiß, wie es die Werbung verspricht, aber sie entfernt tatsächlich Spuren von Kaffee, Rotwein oder Nikotin."
Wo der Matador ausweicht
Umso bedauerlicher, dass es einige Stellen gibt, an denen Matador den selbst formulierten Anspruch nicht nur nicht einlöst, sondern geradezu konterkariert. Erinnert sei noch einmal an die Stichworte "schonungslos, extrem, kontrovers". Den Mut, das Konzept radikal durchzuziehen, vermisse ich an der einen oder anderen Stelle.
Da wird auf Seite 28 "Spielkram" vorgestellt. Eine nette charmante Kleinigkeit, mit der sich die Korken konsumierter Weinflaschen zum Spielzeug umbauen lassen. Der Text endet so: "Und sollte die Feier trotz allem stinklangweilig bleiben, piekst man den Gastgeber mit einem der Pins einfach in den Allerwertesten." 1) Was für ein gewagter Partyknaller! (Ironie aus) 2) Allerwertester - echt jetzt? Die Stelle ist symptomatisch dafür, dass den neuen Matador an manchen Stellen der Mut verlässt. Was so schade ist.
Auf Seite 20 werden Flüche aus verschiedenen Sprachen und Kulturen gesammelt - das ist 2017 kein Schocker mehr, und dass der Matador es als wissenswert präsentiert, zeigt, wo die Schmerzgrenze der "Schonungslosen" liegt: nicht hoch genug. Kleinigkeiten, ja. Aber Kleinigkeiten, die Grenzüberschreitungen suggerieren, die keine sind.
Nicht zuletzt will sich Matador dem Schubladendenken verweigern - der Anspruch wird im Editorial ebenso formuliert wie in der abschließenden Kolumne "Das könnt ihr euch stecken!". Und widmet sich dann auf einer Seite "Geschmacksverirrungen", die so "schlecht" sind, dass hier ein Freiluftübernachtungsangebot, getrocknetes Haifleisch aus Grönland und ausgefallen bedruckte Shirts (Matador: "untragbar!") skandalisiert werden.
"Erlaubt ist, was Spaß macht" - solange es den Matadoren gefällt? Die doch nicht vorgeben wollten, was geht und was nicht ...**** Das ist etwa so mutig und kontrovers, als würde ein Halbstarker den mageren 11-jährigen Brillenträger auf dem Schulhof schubsen.
Traut euch!
Wir sind gespannt, ob es Matador gelingt, in der nächsten Ausgabe (EVT 7.12.17) den Adrenalinspiegel zu halten und dabei das letzte Quäntchen Mut zusammenzukratzen, um seinen Weg konsequent zu gehen. Dass dabei der Respekt vor Schwächeren und die Liebe zu Frauen***** erhalten bleiben.
Die Chancen dafür, dass der Matador eine Weile in der Arena bleibt, stehen nicht so schlecht.
Zum einen ist, wie Herausgeber Alexander Lehmann eingangs sagte, die Erwartungshaltung des kleineren Kieler Verlags Ocean Global nicht so hoch wie die eines Hauses Bauer, Burda, Springer.
Zum anderen wartet die Erstausgabe mit einer ansehnlichen Kundenliste auf: Anzeigen gebucht haben Audi, Warsteiner, Landrover, Condor, Corum für seine Uhren, Microsoft für sein Surface, Panasonic mit Rasierern, der Fernsehkanal Comedy Central und der Schuhhersteller Florian van Bommel. Die Resonanz der Kunden, berichtet Lehmann, der selbst Sales & Marketing leitet, sei "interessiert" gewesen. Er ist optimistisch.
Und erfrischend offen, was ein dritter Punkt ist, der für eine gewisse Lebensdauer des Magazins spricht. Lehmann ist selbst ein Matador, nimmt nicht alles bierernst und wirkt authentisch. "Kein Mensch wartet heute noch auf die Einführung von was für einem Printtitel auch immer", sagte er auf W&V-Anfrage zur Resonanz auf dem Anzeigenmarkt. Gebucht wurde trotzdem (siehe oben).
Genauso offen spricht er, wenn es um die Web-Präsenz von Matador geht. Es gibt keine. "Ich sehe für uns hier keine Monetarisierungsmöglichkeiten, und so werden wir in den kommenden Wochen über Kooperationen mit bestehenden Plattformen verhandeln. Etwas Eigenes wird es wahrscheinlich nur im Social-Media-Bereich geben. Auch wenn ich nicht einmal dazu Lust habe", sagt Lehmann.
Für ein Printmagazin, das von hochwertiger Haptik lebt und keine schnelldrehenden Nachrichtenknaller verbreiten muss, mag das kein schlechter Plan sein.
Matador erscheint zweimonatlich im Kieler Verlag Ocean Global. Copypreis 5,80 Euro. Das Jahresabo (sechs Ausgaben) kostet 29,90 Euro.
* Erwartbar bedeutet weder im positiven noch im negativen Sinne: Matador bietet Reportagen aus Extremsituationen (Kriegsfotografie, Tatoos, Wakeboard), Promi-Interviews, Typen im Fußball, Kolumnen, dazu begehrenswerte Frauen, Autos und Produkte. Was fehlt (zum Glück): Modestrecken.
** Der Artikel liefert einige Tipps, die man vielleicht reflexhaft als Binsenweisheiten abtun möchte. An die aber vielleicht der eine oder andere (und eventuell jüngere) Leser gut noch einmal erinnert werden darf. Und: Er unterstreicht die Haltung des Heftes, dass es Frauen ernst nimmt. Ohne deshalb langweilig-angepasst sein zu müssen.
*** Leider wirkt die Barkeeper-Geschichte auf S. 30/31 wie das genaue Gegenteil. Oder ist als Advertorial nicht gekennzeichnet.
**** Ähnliches passiert der Redaktion noch einmal bei Produkt-"Flops" auf Seite 78/79.
***** Zitat aus dem Editorial über die Zielgruppe der Männer, die "Frauen für die reizvollsten Geschöpfe unter dem Himmel halten und ihnen mit Respekt begegnen". Das spürt man übrigens im Artikel zur Erotikstrecke mit Melanie Paul.