Universität Münster:
Roland-Berger-Prognose: TV-Sender verlieren gegen Netflix & Co
Gerade bei jungen Zuschauern sind Streaming-Sender sehr beliebt. Um mit den neuen Konkurrenten aus den USA mithalten zu können, müssen die Medienhäuser sich neue Geschäftsmodelle überlegen.
Filme sehen, wann und wo man will, das wollen immer mehr Zuschauer. Laut einer Studie von Roland Berger und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster wird ein Drittel des TV-Konsums in den kommenden zehn Jahren zum Streaming abwandern. Für die TV-Sender bedeutet das nichts Gutes: Die Studie "Quo Vadis, deutsche Medien? Zur Zukunft deutscher Fernsehanbieter in digitalen Streaming-Zeiten" prophezeit Verluste bei den linearen Werbeeinnahmen von bis zu neun Milliarden Euro.
Zum Vergleich: In den vergangenen zehn Jahren haben die beiden großen privaten TV-Häuser Werbeumsätze in Höhe von gut 50 Milliarden Euro sowie Gesamtumsätze von knapp 90 Milliarden Euro erwirtschaftet. "Diese Ergebnisse sollten die Manager deutscher Fernsehanstalten aufschrecken", sagt Niko Herborg, Medienexperte von Roland Berger im Competence Center Restructuring, Performance, Transformation & Transaction. "Im Streaming-Bereich haben die Sender in den vergangenen Jahren den Anschluss verloren: Amerikanische Dienste dominieren heute den deutschen Markt - und gefährden in Zukunft das Überleben der linearen TV-Sender."
Mit 54 Prozent fließt nur noch knapp die Hälfte der Sehzeit in traditionelles TV. Stattdessen verbringen die Deutschen mit 10,3 Prozent Sehanteil mehr Zeit auf Netflix als mit irgendeinem linearen TV-Sender. Die jungen Zuschauer sind besonders On-Demand-affin. Mehr noch: Unter den fünf führenden Anbietern von audiovisuellen Inhalten finden sich mit Youtube und Amazon zwei amerikanische Streaming-Dienste.
Die Studie bemisst die Anzahl der Streamer auf zwei Drittel. Besonders gerne sehen sie - mit 28 Prozent - Netflix. Dagegen kommen die Sender mit ihren eigenen Streaming- und TV-Angeboten nicht an. Inhalte, Image, Erlebnis und Vertrauen wird beim US-Portal im Vergleich weitaus besser bewertet. Gleich danach rechnet die Studie Disney gute Chancen aus, auf den zweiten Platz im deutschen Streaming-Markt zu rücken. Auch Warner/HBO hat beim hiesigen Publikum gute Chancen. Insbesondere die Eigenproduktionen der beiden Hollywood-Studios werden als sehr attraktiv angesehen. Bei Disney kommt eine ausgesprochen große Markensympathie hinzu.
Als strategische Optionen für die Zukunft der TV-Sender bieten sich aus Sicht der Studienmacher drei Szenarien an. Ein Rückzug aus dem Markt, bei dem das Geschäft sukzessive und mit Profit abgestoßen wird. Ein radikaler Wandel des Geschäftsmodells, bei dem ein völlig neuer Geschäftsbereich erschlossen werden müsste. Oder - Option Nummer drei - eine umfassende Transformation des Geschäfts. Der Weg würde allerdings große Investitionen erfordern.
Dabei empfiehlt Thorsten Hennig-Thurau, Professor für Marketing & Medien am Marketing Center der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, den Sendern sich an Netflix zu orientieren. "Netflix ist in Sachen Content die neue Benchmark für TV-Sender." Ein Vorteil des Streaming-Anbieters: Dank profunder Datenanalyse weiß er genau, was der Zuschauer gerne sieht und kann so punktgenaue Empfehlungen abgeben. Ein großer Vorteil. Bei Netflix etwa gehen mehr als sechs von zehn Sehstunden auf eine personalisierte Empfehlung zurück.