"Lügenpresse" ist ein Lieblingswort rechter Ideologen

Und jetzt skandieren Tausende Pegida-Demonstranten "Lügenpresse, halt die Fresse". Unsere Branche wird mit absurden Beschuldigungen konfrontiert: Haarsträubende Theorien über eine Steuerung der Medien durch die Bundesregierung sind im Umlauf, Journalisten werden als Teil einer verschworenen Elite angesehen, die einer vorgegebenen Agenda folgt und den Bürgern die Wahrheit verschweigt.

Was viele Mitläufer dieser Demonstrationen nicht wissen: "Lügenpresse" war ein Lieblingswort von Joseph Goebbels. Es war und ist bis heute ein Lieblingswort aller rechten Ideologen. Wer ihre Meinung nicht teilt, lügt halt und darf beschimpft werden. Wer sich ihrer Ideologie nicht anschließt, ist ein Lügner und für jede Form der Beleidigung freigegeben. Diese Botschaft ist ausgesprochen einfach zu verstehen und zu vervielfältigen.

Alle, die eine Haltung haben, dürfen die Journalisten mit dieser Denunziation heute nicht alleine lassen. Wir alle profitieren von der Meinungsvielfalt und erinnern uns mit großem Grausen an die Gleichschaltung der Presse. Erst wird denunziert, dann gibt es tätliche Angriffe. Beides geschieht bereits bei Pegida-Demonstrationen. Und wie wir uns erinnern, gibt es auch noch Steigerungen hierzu. Was ist also zu tun?

Gemeinsam gegen geistige und tatsächliche Brandstifter

Demokratische Politiker, Journalisten, Meinungsführer, wir alle sitzen in einem Boot und müssen die Boshaftigkeit und Verlogenheit dieses Unwortes mit Argumenten bloßstellen, dieses Unwortes, das seine Hochzeit in der Nazidiktatur hatte. Wir dürfen auch nicht müde werden, auf Art. 1 des Grundgesetzes, "Die Würde des Menschen ist unantastbar", hinzuweisen. Dieses Ur-Grundrecht gilt für alle im Wirkungskreis des deutschen Grundgesetzes und besonders auch für die, die außer ihrem Leben nichts gerettet haben.

Wer in der heutigen von Rechtsextremen aufgeheizten Situation abfällig über Flüchtlinge redet oder gar hetzt, weil er nach Lesern oder Wählern schielt, bereitet Pegida und AfD einen hervorragenden Nährboden. Weshalb die Nachahmer wählen? Dann doch lieber gleich das Original.

Und alle Journalisten sind gefordert, besonders in diesen rauen Zeiten, in denen so viel Orientierung von ihnen erwartet wird, immer wieder zu prüfen, ob sie ihr Handwerk ordentlich ausführen. Da hat es in den letzten Jahren einige offene Flanken gegeben: die Tendenz zu Skandalisierung, dann der Hang voneinander abzuschreiben, beides exemplarisch in der Causa Christian Wulff zu beobachten; oder das Nicht-ernstnehmen von Lesern und Zuschauern, wie es regelmäßig in Trash-Formaten im privaten TV passiert.

Eine unabhängige, kritische Berichterstattung gehört zur Basis unserer demokratischen Gesellschaft. Hierfür brauchen wir starke Redaktionen, die ihrem Handwerk mit Leidenschaft und Sorgfalt nachgehen können. Wir brauchen Journalisten, die sauber recherchieren, unaufgeregt analysieren und unterschiedliche Perspektiven beleuchten, die sich selbst quälen und nicht den Leser. Journalisten, die den Mächtigen auf die Finger schauen, die sich einmischen und wehren, insbesondere auch ganz aktuell gegen geistige und tatsächliche Brandstifter.

*) Dieser Beitrag von Rainer Esser ist aus dem Jahrbuch des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger VDZ, das voraussichtlich Ende Mai erscheinen wird. 


Autor: W&V Gastautor:in

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