Handelsblatt-Herausgeber geht:
Gabor Steingart: Die Bilanz
Der umtriebige Gabor Steingart muss die Verlagsgruppe Handelsblatt nach 7 Jahren verlassen. Er gründet eine Art alternatives Medium. Die Details und die Bilanz.
Seit Freitagnachmittag ist es offiziell: Gabor Steingart muss das Handelsblatt verlassen. Der Abgang des Herausgebers, Geschäftsführers und Miteigners der Handelsblatt Media Group wurde um 15 Uhr den Kollegen in Düsseldorf vom Verleger Dieter von Holtzbrinck verkündet, dem "Multitalent" (Zitat) wurden gegen 16 Uhr warme Worte in einer Pressemitteilung hinterhergeschickt. Zuvor hatten Steingarts Ex-Kollegen vom Spiegel über dessen Demission spekuliert.
Als ein Auslöser für das Ende der Ära Gabor Steingart wurde ein Passus aus dem Mittwochs-Morning Briefing des Ex-Spiegel-Journalisten über SPD-Mann Martin Schulz angeführt. Im reichweitenstarken Newsletter hatte der Omni-Strippenzieher der Marke Handelsbatt über den "perfekten Mord" in den Reihen der Partei fantasiert - was dem Verleger dem Vernehmen nach aufgestoßen sein soll. Nicht zum ersten Mal, ist zu hören, zumal sich Gabor Steingart bereits im Herbst 2016 heftig gegen Schulz eingeschossen hatte.
In der Pressemitteilung zum Weggang Steingarts heißt es jetzt:
"Nach sieben Jahren äußerst erfolgreicher und freundschaftlicher Zusammenarbeit haben sich Handelsblatt-Verleger Dieter von Holtzbrinck und der Vorsitzende der Handelsblatt-Geschäftsführung, Gabor Steingart, der zugleich auch Herausgeber des Handelsblatts war, auf eine Beendigung ihrer beruflichen Partnerschaft verständigt. Zwei Gründe sind hierfür entscheidend. 1. Differenzen in wesentlichen gesellschaftsrechtlichen Fragen. Hinzu kam 2. eine - nicht generell, aber im Einzelfall - unterschiedliche Beurteilung journalistischer Standards."
Beide Seiten würden die Trennung bedauern. Aber mal wolle den freundschaftlichen Kontakt aufrechterhalten und "eine andere Form der Zusammenarbeit in der Zukunft" nicht ausschließen. Eine Nachfolgeregelung wird nicht kommuniziert.
Die wichtigsten Veränderungen in der Steingart-Ära
Morning-Briefing
Mit seinem Handelsblatt-Morning-Briefing "Der perfekte Mord" gab Steingart seinen internen Gegnern weitere Munition, vor allem da er sich bereits zum zweiten Mal abfällig über Martin Schulz (SPD) äußerte.
Dennoch: Diese einleitenden Worte des Verlagmanagers am frühen Morgen haben sich viele Medien zum Vorbild genommen - und kopiert von den großen und kleinen Konkurrenten. Er schaffte es, sehr pointiert die Themen des Tages aufzugreifen, sorgte damit aber auch für Kontroversen und Aufmerksamkeit. Die Grußworte gingen um sechs Uhr morgens raus. Im November 2017 erschien das erste Buch: "Kopf hoch, Deutschland!" – Das Beste aus dem Handelsblatt Morning Briefing".
Das Handelsblatt Morning Briefing wird laut der Handelsblatt-Mitteilung vom Freitag "wie gewohnt weiter erscheinen". Darüber hinaus werde Gabor Steingart "in eigener Eigentümerschaft sein eigenes Morning Briefing an die mittlerweile rund 700.000 Abonnenten als unabhängige journalistische Stimme herausgeben". Will heißen: Ein Morning Briefing gehört weiter ihm, eine Art alternatives Medium.
Globalausgabe
Seit Herbst 2014 adressiert die Zeitung das internationale Publikum mit der englischsprachigen Digital-Ausgabe Handelsblatt Global Edition. Den Lesern in der Ferne bietet die Redaktion von Montag bis Freitag um sechs Uhr morgens in den USA (Ortszeit New York) Wirtschafts- und Finanzthemen - aus der europäischen Perspektive.
Die drei Büros in den USA, Berlin und Singapur sollen eine aktuelle Rund-um-die-Uhr-Berichterstattung gewährleisten. Das Jahresabo kostet 149,99 Euro. Studenten zahlen 74,99 Euro. Das Unternehmen spricht von "monatlich bis zu 400.000 Lesern". Auffällig ist: Der Verlag hat zuletzt zwei wichtige personelle Veränderungen vorgenommen. Andreas Kluth ist seit 2017 Chefredakteur der Truppe, Justine Powell seit Frühjahr 2017 CEO.
Clubs
In den vergangenen zwei Jahren versuchten das Handelsblatt und Schwestertitel WirtschaftsWoche, ihre Leser mit einen Wirtschaftsclub an die Marken zu binden: Laut dem Unternehmen sind es beim Handelsblatt inzwischen 120.000 Mitglieder, die Wiwo zählt 80.000. Zu Beginn des Jahres hat das Medienhaus den Manager Ivo Hoevel ins Haus geholt, der sich um den Handelsblatt Wirtschaftsclub kümmert.
Umbau des Sales
Die angesehene Media-Fachfrau Marianne Dölz (heute: Bullwinkel) verließ die Verlagsgruppe Anfang 2013. Sie hatte damals die Leitung des Vermarkters iq Media Marketing GmbH inne. Bei ihrem Abgang wurde über die wahren Gründe der "einvernehmlichen" Trennung spekuliert.
Steingart beauftragte im Oktober 2015 den Ex-Agentur-Mann Frank Dopheide, Sales auf Trab zu bringen. Kurze Zeit später bekam die Vermarktungstochter noch einen weitere Manager aus der Agenturbranche zur Seite gestellt. Seit Mitte 2016 führt Stefan Knieß zusammen mit Christian Herp den Ableger iq. Der frühere Chef der Agenturen Geometry Global und Argonauten 360 kümmert sich seitdem um den Bereich Print.
Verstärkung durch Digitalexperten
Viele Verlage tun sich schwer, Digitalexperten anzuwerben. Die Handelsblatt Gruppe versucht möglichst viele dieser Fachleute anzulocken: Seit Anfang 2017 dient beispielsweise Gerrit Schumann als Chief Digital Officer bei der Verlagsgruppe. Der frühere Deezer-Mann ist damit für den Ausbau aller digitalen Angebote verantwortlich.
Auch die Tageszeitung bekam digitalen Zuwachs: Wirtschaftsjournalist und Digitalexperte Sebastian Matthes hat der Verlag zum Stellvertreter von Handelsblatt-Chefredakteur Sven Afhüppe gemacht.
Die Auflage
Was die Auflage angeht: Die ist beim Handelsblatt über die vergangenen Steingart-Jahre recht stabil geblieben. Zuletzt meldete die IVW Ende 2017 knapp 126.000 Exemplare. Zehn Jahre zuvor waren es noch rund 10.000 Exemplare mehr.
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