Steinhausers Kempter Kalender:
250 Jahre ohne Relaunch: Der Print-Dauerbrenner aus dem Allgäu
"Steinhausers Kempter Kalender" gehört zum Allgäu wie Neuschwanstein und die Kässpatzen. Seit 250 Jahren begleitet er die dortige Landbevölkerung durch den Alltag. Und: Kein Printtitel in Deutschland verzichtet derart beständig auf Änderungen am Layout.
Ein Allgäuer Streich geht so. "Ich bin leidenschaftlicher Sammler: Falls du mir auch nur einen alten Schreibkalender auftreiben kannst, sollst du meine beste Kuh im Stall bekommen."
Der Landwirt muss sich keine Sorgen machen: Die Kuh wird niemals ihren Besitzer wechseln. Denn selbst auf den ältesten Ausgaben dieses in der Region sehr bekannten Volkskalenders steht immer groß vorne drauf: "Neuer Schreibkalender".
Herausgegeben wird das 100-seitige Periodikum, das weit mehr ist als nur ein Terminplaner, vom Kalenderverlag Steinhauser in Kempten. Der Schreibkalender (nachweisbar seit 1692) ist dessen einzige Publikation. Er ist seit 1773 im Familienbesitz.
Nutzwert, Nutzwert, Nutzwert - und ja keine Änderungen am Layout: So ungefähr lautet seit fast 250 Jahren die Strategie bei Steinhausers Kempter Kalender. Und genau das macht diesen Buchkalender so besonders. Als "Anreißer" lesen wir auf der Titelseite:
"Enthält eine kurze Practica, die vier Jahreszeiten, die monatlichen Mondsbrüche, den Planetenlauf, die Finsternisse, die Witterung, ein Märkteverzeichnis, einen Mondkalender und einen Unterhaltungsteil."
Außerdem finden wir im Innenteil einen "Trächtigkeits- und Brutkalender" für Pferde, Kühe, Schafe, Schweine und Kaninchen; eine Zins-Berechnungstabelle; eine Anleitung zur Berechnung der genauen Sonnen- und Mondaufgangs- bzw. -untergangszeiten für jeden beliebigen Ort; Tipps zur Aussaat und zur Veredelung von Gehölzen; dazu das große Einmaleins auf der Buchrückseite; sogar einen Jüdischen Kalender. Und natürlich das große "Märkteverzeichnis für Süddeutschland und den Kanton Graubünden".
Der 50 Seiten umfasssende "Unterhaltungsteil" (mit Vier-Farb-Bildern!) besteht hauptsächlich aus Autorenbeiträgen zur regionalen Historie.
Ein Blick auf die zweite Umschlagseite des "Neuen Schreibkalenders":
Und hier das große Einmaleins auf der Rückseite des Buchkalenders:
Wer im Allgäu groß geworden ist, kennt diesen Kultkalender. Auch jetzt liegt er wieder als Mitnahmeartikel an vielen Supermarktkassen aus - zu Stapeln aufgetürmt. Rund 20.000 Exemplare davon verkauft Ottmar Steinhauser derzeit noch pro Jahr. Aber der Inhaber des gleichnamigen Kalenderverlags hat schon bessere Zeiten gesehen. Nach dem Krieg gingen 70.000 Exemplare des Neuen Schreibkalenders ("Deutschlands ältester Volkskalender von Bedeutung") über den Ladentisch.
Der Kalender findet seine Abnehmer traditionell auch im benachbarten Österreich und in Teilen der Ostschweiz. Dennoch erscheint seine Zukunft mehr als ungewiss. Ob es den Kalender in ein paar Jahren noch geben wird, ist zweifelhaft. Es gibt zwar (noch) treue Leser, doch die Käuferschaft stirbt buchstäblich weg. Die Verkaufszahlen gehen dramatisch zurück.
Er werde den Kalender nur so lange weiterführen, solange er noch Gewinn abwerfe, sagt Steinhauser: "Den Schreibkalender als reines Hobby weiterzuführen, das ist eine unrealistische Vorstellung", so der Kleinverleger gegenüber W&V Online.
Der Schreibkalender vor dem Aus? Das mag man sich gar nicht vorstellen. Dabei liegen nostalgisch angehauchte (Print-)Produkte derzeit doch stark im Trend. Und das Landleben sowieso.
Steinhausers Kempter Kalender gehört zum Allgäu so wie Neuschwanstein, Kommissar Kluftinger und die Kässpatzen. Er hat die Allgäuer Landbevölkerung durch ihren Alltag begleitet schon lange, bevor der Märchenkönig überhaupt geboren wurde.
Hier ein Beitrag des Bayerischen Fernsehens über den Kalender (vom 7.1.2015)