Kommentar:
Wie mein Opa das Grundprinzip der digitalen Transformation formulierte
Was unseren Markt antreibt, ist nicht Innovationsfreude, sondern der Wunsch nach Bequemlichkeit. Das liegt in der Natur des Menschen. Der Großvater unseres Kommentators wusste das schon in den 70er Jahren. Ein Jahresrückblick von Frank Zimmer.
Eine der Weisheiten meines rheinischen Großvaters lautete: "Vom Faulen kannst Du lernen". Opa Wilhelm hatte zwar nie eine Universiät und schon gar nicht das Silicon Valley besucht, dafür aber Menschen studiert und Disruptionen rund um zwei Weltkriege erlebt. Das reichte, um als Rentner in den 70er Jahren beim "Dämmerschoppen" (Riesling vor dem Abendessen) quasi die zentrale These der digitalen Transformation vorwegzunehmen: User machen nicht das, was sie sollen, sondern das, was bequemer und einfacher für sie ist. Es ist das Prinzip des geringsten Widerstandes. Wer den Mechanismus versteht, kann im Internet viel verändern.
Im zu Ende gehenden Jahr fallen mir da vor allem zwei Dinge ein. Trends, die unsere Branche auch im kommenden Jahr prägen werden.
Erstens: Es muss nicht immer Video sein
Jahrelang ist uns gepredigt worden, dass Bewegtbild alles verändern wird. Dass beispielsweise journalistische Inhalte irgendwann nur noch als Video funktionieren. Eine Botschaft, die Publisher nur zu gerne hören wollten, denn sie verhieß ein unentdecktes Eldorado an Werbeumsatz. Es gab interessante Experimente. Vor ziemlich genau einem Jahr versuchte die Huffington Post, eine Woche lang nur noch Videos und keine Texte mehr zu veröffentlichen.
Eine Umfrage hatte zuvor ergeben, dass 60 Prozent der Huffpo-Nutzer mehr Videos wollten und sich 40 Prozent sogar ein reines Videos-Portal wünschten. Blöderweise können Umfragen ziemlich geduldig sein. Es geht viel schneller, "Videos sind cool" anzukreuzen, als sich in in der U-Bahn eine dreiminütiges Interview auf dem Smartphone anzuschauen, das man in einem Bruchteil der Zeit auch einfach nur lesen könnte.
Wenn Sie sich heute die Homepage der Huffpo anschauen, wissen Sie, wie das Experiment ausgegangen ist.
Online-Videos sind wichtig und werden noch wichtiger werden. Aber keine Marke und kein Medium wird User zu Dauerglotzern umerziehen können, wenn Texte oder Audio in bestimmten Nutzungssituationen einfach besser passen und bequemer sind. Ja, Video kann mehr. Aber Menschen brauchen nicht immer und überall mehr. Menschen brauchen das, was sie gerade brauchen. So einfach ist das.
TV kann mehr als Radio, und trotzdem hat die Verbreitung des Fernsehens in den 50er und 60er Jahren nicht zum Untergang des Hörfunks geführt. Denn wenn Sie Auto fahren, joggen, kochen oder den Rasen mähen, können Sie nicht zugleich auf Bildschirme mit Videos von Netflix oder Youtube starren. Sie können aber Radio oder Podcasts hören. Genau darum haben wir in diesem Jahr die Renaissance von Audio-Formaten erlebt - und damit meine ich nicht nur Amazon Echo.
Zweitens: Owned Media - ich mach mir die Medienwelt, wie sie mir gefällt
2017 markiert für mich den Anfang vom Ende der klassischen PR. Die beruhte auf dem geheimnisvollen Prinzip, dass "Pressemitteilungen" in redaktionelle Medien "platziert" werden, sich also in journalistischer Berichterstattung wiederfinden. Für alle Beteiligten ein ziemlich mühsames Geschäft. Kommunikationschefs und PR-Agenturen müssen versuchen, Redaktionen zu überreden, und Redaktionen müssen sich mit Dingen beschäftigen, die sehr oft weder sie noch ihre Leser interessieren. Ich persönlich bekomme pro Tag mehrere Hundert "Pressemitteilungen", Anfragen und Angebote für Gastkommentare.
Für Unternehmen ist es viel einfacher, selbst zum Medium zu werden. Warum einen Redakteur um Berücksichtigung einer Pressemitteilung bitten, wenn man sie selbst veröffentlichen kann? Nicht nur im Corporate Blog oder dem digitalen Kundenmagazin, sondern auch auf Facebook, Twitter, Youtube, Linkedin oder Xing.
Als sich Dieter Zetsche im vergangenen Sommer erstmals öffentlich über Dieselgate-Vorwürfe gegen Daimler äußerte, tat er es nicht auf einer Pressekonferenz oder in einem eigens zu diesem Zweck arrangierten Interview in einem der großen Leitmedien. Er ließ noch nicht einmal eine Pressemitteilung verschicken. Er postete einfach auf Linkedin. So funktioniert Owned Media.
Nun können Sie einwenden, dass einem Zetsche sowieso jeder zuhört und er die Plattform diktieren kann. Dann müssten Sie aber auch den umgekehrten Fall erklären: Warum eine Unternehmensnachricht, die niemanden interessiert, in einem klassischen Medium spannender sein soll. Gute Geschichten finden im Netz ihren Weg. Und langweilige werden nicht dadurch besser, dass sie jemand abdruckt.
Owned Media ist aus meiner Sicht einer der großen Trends für die kommenden Jahre. Er wird beide Seiten des klassischen Medienmodells noch auf eine harte Probe stellen, die PR ebenso wie den Journalismus. Besonders die Wirtschafts- und Fachmedien, W&V inklusive. Aber am Ende geht es um unser Kerngeschäft: Content. Und wer sollte das besser beherrschen als die Content-Experten?
Zum Thema Owned Media startet W&V demnächst eine Experten-Gruppe auf Facebook. Wir möchten das spannende Thema mit kompetenten Branchenköpfen diskutieren. Die ersten Einladungen gehen demnächst raus. Wir freuen uns uns auf engagierte Mitglieder und inspirierende Beiträge.