Prominente Abgänge:
Warum Verlage um Digitalexperten kämpfen müssen
Die Printbranche ist für Digitalspezialisten wenig attraktiv. Ein Grund dafür, dass gerade viele Wechsel stattfinden.
Printhäuser benötigen Digitalexperten dringender denn je, um ihre Geschäftsmodelle fit für die Zukunft zu machen. Ausgelöst unter anderem durch den Vermarkter Ströer ist gerade ein Personalkarussell in Gang gekommen. Das jüngste Beispiel: Stefan Plöchinger, aktuell noch Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung" für digitale Projekte und Chefredakteur von SZ.de, zieht es ab 2018 nach Hamburg zum Spiegel – und zwar als Leiter der Produktentwicklung in der Geschäftsführung der Mediengruppe.
Plöchinger, Huffpost-Chef Sebastian Matthes (zukünftiger Head of Digital beim "Handelsblatt") oder der baldige FAZ-Chefredakteur Digitale Produkte, Carsten Knop – sie alle sind Vertreter der zweiten Digitaler-Generation in den großen Verlagen. Sie suchen eine wirkliche Aufgabe und nicht einfach nur mehr Kohle. "Viele Wechsel kommen zustande, da sich die Digitaler höhere Budgets für ihre jeweiligen Projekte wünschen oder mehr Verantwortung übernehmen wollen", sagt Digital-Headhunter Harald Fortmann, Geschäftsführender Gesellschafter der Personalberatung D-Level in Hamburg. Auf der Agenda dieser Digitalexperten steht gleich eine ganze Reihe von Aspekten: die Zusammenführung von Print und Online, neue Produkte, Paid Content oder die Mobil-Strategie.
Der Fall Plöchinger zeigt, dass solche Digital-Journalisten verstärkt als Produktentwickler auf Verlagsseite benötigt werden. Bei digitalen Medien-Innovationen geht es eben vor allem um inhaltliche Aspekte, die wesentlich direkter mit den Geschäftsmodellen verbunden sind als bei Print-Produkten. Anita Zielina, Chief Product Officer bei der Schweizer NZZ, gab ihrem Kollegen Plöchinger ein Lob für diesen Schritt auf den Weg: Die Österreicherin sieht diesen Seitenwechsel von Journalisten sogar als Trend in Europa und in den USA. "Wir brauchen Leute, die Journalismus verstehen und lieben", schreibt sie auf der Plattform Linkedin. Gleichzeitig müssten diese Digital-Chefs mit Journalistenherz einen echten Sinn für das Geschäftliche haben.
Die anstehenden Wechsel von Plöchinger oder Matthes zeigen: Hier bleiben Digital-Journalisten mit Print-Vergangenheit den Verlagen treu. Allerdings ist die Branche fast gezwungen, auf das Personal aus dem eigenen Haus zurückzugreifen oder sich bei der direkten Konkurrenz zu bedienen. "Es ist sehr schwer für die Verlage, Digitale aus anderen Branchen abzuwerben", so Personalberater Fortmann. Doch nicht nur das: Gerade diese digitalaffinen Journalisten und Manager suchen zunehmend ihr Glück abseits der klassischen Medienhäuser. Unternehmen wie die Deutsche Telekom, Daimler oder Agenturen profitieren von diesen Abgängen.
Ganz vorn mit dabei: Ströer. Der digitalverliebte Vermarkter wirbt offensiv Top-Personal aus Redaktionen ab. Bezeichnenderweise haben die Kölner beispielsweise Ex-Spiegel-Online-Chef Florian Harms zu T-Online nach Berlin gelockt, der momentan munter weitere Fachleute akquiriert. Der klare Vorteil für ihn: An seiner neuen Arbeitsstätte muss er nicht mehr ständig Rücksicht auf das Printgeschäft nehmen. In Verlagshäusern ist das Geld für Digital-Projekte meist knapp, innovative Ideen sind schwer durchzusetzen. Beim Spiegel musste sich Harms mit den anderen über die Digital-Strategie streiten, bei dem Vermarkter darf er sich jetzt als Leiter und Co-Geschäftsführer eines ambitionierten Projekts präsentieren. Harms und Ströer wollen T-Online zur echten Medienmarke aufpeppen – in Konkurrenz zu den Verlagsangeboten.
Bei T-Online dürfte es nicht bleiben: Weitere Online-Neugründungen ohne klassischen Verlagshintergrund könnten in den kommenden Jahren folgen – wie ein Blick in die USA zeigt. Potenzielle attraktive Arbeitgeber auch für Plöchinger & Co. (app/op)
Dieser Text stammt aus der aktuellen W&V 41/2017. Diese Ausgabe können Sie hier bestellen.