Nur ein Dutzend chinesischer Fonts:
Tencent bekommt kursive Hausschrift - Novum für China
Eine eigene Hausschrift und dann noch in kursiv. Damit fällt der chinesische Internet-Konzern Tencent sicher auf.
Der chinesische Internet-Riese Tencent bekommt eine eigene Hausschrift. Etwas, das in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert ist: Zum einen haben die Kreativen von Monotype eine kursive Schrift entwickelt, die per se heraussticht. Zum anderen gibt es für die chinesischen Zeichen nur eine überschaubare Anzahl an Fonts.
Selbst Monotype als Weltmarktführer in Sachen Fonts hat bestenfalls ein Dutzend kompletter chinesischer Schriftenfamilien im Angebot. Dabei stehen rund 50.000 Schriften in den Font-Shops von Monotype. Das verdeutlicht den Effekt, den sich Tencent verspricht: "Eine Schrift ist ein wichtiger Teil der Kommunikation, um die Stimme und das Versprechen einer Marke an ihre Kunden zu vermitteln", so das Unternehmen.
Der Aufwand für chinesische Fonts ist enorm. Ideogramme (in China Hànzì genannt) sind vereinfacht ausgedrückt Bilder – damit ist die theoretische Anzahl enorm groß. Bekannt sind etwa 87.000 Zeichen. In der Praxis reichen jedoch 3000 bis 5000 aus für den alltäglichen Gebrauch aus.
Die Tencent-Schrift enthält in der ersten Version 6763 Hànzì-Zeichen. Gut ein Jahr hat das Team um Type-Designer Julius Hui vom Monotype Atelier in Shanghai an der Umsetzung gearbeitet. Laut Monotype liegen die Kosten für derartige Projekte nicht selten im siebenstelligen Bereich.
Tencent hat den globalen Markt im Visier
Was noch fehlt ist der Ausbau auf 7765 chinesische Zeichen, damit der Adobe-GB1-4-Standard erreicht wird. Dann gibt es auch für die gängigen Schrift- und Grafik-Programme keine Einschränkungen. Tencent erhält daneben schon jetzt Zeichensätze in Latin, Greek, Kana (Japanische Zeichen) und das kyrillische Alphabet, die jeweils im Schriftbild zusammenpassen - der Konzern will vor allem international wachsen.
Neben diversen Kommunikationsportalen wie WeChat betätigt sich der Konzern in diversen anderen Bereichen. Bekannt sind beispielsweise der Bezahldienst Tenpay und diverse internationalen Spielefirmen. Dazu gehören Riot Games und vor allem Supercell. Für die finnische Firma hinter "Clash of Clans" hatte Tencent 2016 stolze 8,6 Milliarden Dollar gezahlt.
Die Größe von Tencent ist am Börsenwert abzulesen: Unlängst lag die Bewertung des chinesischen Konzerns sogar über dem von Facebook (aktuell: Tencent: 469 Mrd. Dollar, Facebook: 515 Mrd. Dollar).
Welche Hausaufgaben Tencent erledigen muss
Nur was das Marketing betrifft, muss der Konzern genauso wie alle chinesischen Unternehmen noch aufholen. "In China ist das Branding mit Hilfe von Schrift bei weitem nicht so ausgebildet wie in den westlichen Industriemärkten", sagt Jürgen Siebert, Marketing Director von Monotype in Berlin. Er vergleicht die Lage mit den 50er Jahren in Deutschland. Angesichts der überschaubaren Zahl unterschiedlicher Schriften arbeiten Grafiker in China vor allem mit Farbe und Zeichengrößen.
Es besteht Aufholbedarf, und dementsprechend groß könnte der Markt für neue Schriften bald werden. "Da die Schriftentwicklung inzwischen hochgradig technologisiert ist, lassen sich auch chinesische Schriften mit 8000 und mehr Zeichen schneller produzieren als früher", sagt Siebert, der einst die Design-Zeitschrift Page mitgegründet hat.
Monotype setzt auf China
Für Monotype steht China ganz oben auf der Prioritätenliste. Erfahrung hat das Unternehmen genug. In der Vergangenheit entstand unter anderem die japanische und lateinische Hausschrift für Sony. Sie ist inzwischen frei verfügbar. Auch Mercedes-Benz und der Volkswagen-Konzern haben ihre Hausschriften irgendwann freigegeben. Ob auch die Tencent-Schrift irgendwann von Dritten genutzt werden kann, ist aber noch offen.
Das Interesse an der Einführung der Tencent-Schrift ist groß. Dafür sorgt allein schon die Tatsache, dass es sich um eine Kursive handelt. Etwas, das selbst Schriftenexperte Siebert von seinen Kollegen nicht erwartet habe. "Kursive Schriftformen sind in der Schreibkultur des Landes unbekannt." Hui und sein Designteam hatten daher lange mit diversen Steigungen und Graden experimentiert. Am Ende half eine schräge Box, in die sie die kursiven chinesische Schriftzeichen hineinkonstruierten.
"Um die grafischen Probleme zu minimieren, die bei der Verschrägung chinesischer Schriftzeichen lauern, haben wir an jedem Zeichen mehrere optische Korrekturen vorgenommen, um den Kursiv-Effekt für unsere Augen so angenehm wie möglich zu machen", sagt Monotype-Designer Hui. Dabei halfen Typoregeln für die Harmonisierungen, die sich das Team aus dem lateinischen Type-Design entlieh.
Wie komplex dieses Vorgehen ist, verdeutlicht das Making-of.