Apple-Analyse:
2018: Das Jahr, in dem der Siegeszug des iPhones zu Ende ging
Über ein Jahrzehnt dominierte Apple die Techbranche nach Belieben – dank des iPhones. Doch ausgerechnet das Kultsmartphone scheint inzwischen seinen Zenit überschritten zu haben.
Wenn es einen Moment im Leben von Tim Cook gibt, in dem sich der 58-Jährige auf dem Olymp seiner inzwischen siebenjährigen Amtszeit als Apple-CEO fühlen konnte, dann diesen, als er Anfang September die alljährliche iPhone-Keynote im Steve Jobs Theater wie ein Popstar eröffnete.
Alles war angerichtet: Apple war so wertvoll wie nie und hatte erst einen Monat zuvor als erstes privat geführtes Unternehmen der Welt die magische Bewertungsmarke von einer Billion Dollar durchbrochen – zehnmal wertvoller als noch eine Dekade zuvor.
Glaubte man der Wall Street, sollte es noch besser kommen, denn nun würde Tim Cook vor den Augen von tausend Fanboys und -girls gleich drei brandneue iPhone-Modelle enthüllen, die einen Superzyklus mit neuen Verkaufsrekorden entfachen würden. Was konnte schon schiefgehen?
Dramatischer Börsenabsturz
Keine drei Monate später ist klar: so ziemlich alles. In nicht einmal zehn Wochen hat Apple an der Wall Street das eigentlich unverlierbare Kursplus von 39 Prozent, das den Techpionier bis Anfang Oktober auf Kurse von 233 Dollar befördert hatte, wieder verspielt und notierte Mitte der Woche bei nur noch 145 Dollar – und damit im Vergleich zum Jahresbeginn sogar im Minus.
Den unfassbaren Börsenwert von in der Spitze 300 Milliarden Dollar – so viel wie 18 Dax-Konzerne zusammen – hat Apple in zweieinhalb Monaten beim Sturz aus dem Börsenhimmel vernichtet –, und noch immer scheint unklar, wo der Kurssturz eigentlich endet.
Die Suche nach den Gründen für den Apple-Absturz, die tagein, tagaus, von Analysten in neuen Kurzstudien auf die Spitze getrieben wird, führt am Ende auf jene sechs Buchstaben, die Apple zwischen 2011 und 2018 zum wertvollsten und dominerenden Konzern des Jahrzehnts gemacht haben: das iPhone.
"Wenn das iPhone niest, bekommt Apple eine Erkältung"
Doch was für Apple seit dem Launch 2007 ein einziger Wachstumsgarant war, hat sich über die Jahre in eine Belastung verwandelt. "Apple ist tatsächlich das iPhone und die Zwerge", witzelte Marketing-Professor Scott Galloway neulich in einem Podcast mit re/code-Gründerin Kara Swisher.
Was Galloway meint: Apple hat sich in eine iPhone-Company mit mehr oder weniger schmückendem Beiwerk verwandelt. Die Abhängigkeit vom erfolgreichsten Produkt in der Geschichte der Verbraucherelektronik, das seit 2012 für 60 Prozent von Apples Umsätzen verantwortlich ist, ist nämlich erdrückend.
"Wenn das iPhone niest, bekommt Apple eine Erkältung", brachte der Bestseller-Autor ("The Four") das Dilemma metaphorisch auf den Punkt. Aktuell sieht es so aus, als habe Apple zumindest mit einer schweren Grippe zu kämpfen.
Apples Hybris: Preisschraube bei neuen iPhones überdreht
Grund für die ungewohnte Schwächephase sind die neuen iPhone-Modelle, mit denen sich CEO Tim Cook wie nie in seiner siebenjährigen Amtszeit verzockt hat. Wie bei so vielen Imperien auf dem Zenit ihrer Macht scheint sich auch bei Apple Hybris breitgemacht zu haben: Tim Cook glaubte offenbar, seine treue Kundschaft kraft seiner ikonischen Marke immer weiter schröpfen zu können, um den unstillbaren Hunger der Wall Street nach immer neuem Gewinnwachstum zu befriedigen.
Das geht gut, bis es schiefgeht.
Schon im vergangenen Jahr, als Apple mit dem iPhone X das größte Redesign in der damals zehnjährigen Historie mit satten Preisaufschlägen verknüpfte, drohte der Trend zu kippen. Das randlose OLED-iPhone lockte kaum mehr Käufer als die Vorgängermodelle an, doch Apple verdiente so prächtig am seinerzeit bis zu 1320 Euro teuren Smartphone, dass Tim Cook in den vergangenen Quartalen neue Rekordgewinne ausweisen konnte.
Entsprechend muss sich der Apple-CEO ermutigt gefühlt haben, das Gewinde der Preisschraube nochmals anzuziehen. Die neuen Spitzenmodelle, das 5,8 Zoll große iPhone XS und das 6,5 Zoll große iPhone XS Max brachte Apple im Herbst in der Maxiausführung mit 512 GB Speicher nunmehr zu astronomischen Preisen von 1550 bzw. 1650 Euro auf den Markt – ein Niveau, das das neue MacBook Air, aber auch Pro-Modell übersteigt und für das Apple-Fans vier iPads oder vier Apple Watches erstehen könnten.
iPhone XR-Produktion 30 Prozent unter Erwartungen
Und auch das günstigste der neue iPhones zählt immer noch zu den hochpreisigen Flaggschiffen der Smartphone-Industrie: das iPhone XR, ein Smartphone mit Aluminiumrücken und LCD-Display, kostet zwischen 850 und 1030 Euro – ein hoher Preis für die dritte Wahl unter den neuen Modellen.
Dass die Hochpreiswette diesmal nicht aufgehen würde, war schon nach wenigen Wochen absehbar, als Zuliefererfirmen aus Asien drastische Bestellrückgänge von 30 Prozent zu beklagen hatten.
In welchen Panikmodus die ungewohnte Käuferzurückhaltung Apple tatsächlich gebracht hat, demonstrieren in diesen Tagen zahlreiche Marketingaktionen, die so gar nicht zur bisherigen Preisstabilität des stolzen Techpioniers aus Cupertino passen.
Apple im Panikmodus: Marktschreierische Marketingmaßnahmen
In Japan etwa reduzierte Apple das iPhone XR bereits einen Monat nach der Markteinführung über Mobilfunkbetreiber um 100 Dollar. Bei Amazon, wo Apple seit November erstmals direkt eigene Produkte listet, sind die neuen iPhones teilweise bereits mit zweistelligen Prozentabschlägen zu haben.
In den USA geht Apple noch einen Schritt weiter und versucht inzwischen Altkunden mit großzügigen Trade-In-Programmen zum Kauf eines iPhone XR zu bewegen. Wer sein zwei Jahre altes iPhone 7 Plus beim Kauf eines iPhone XR verrechnen lässt, bekommt dort etwa eine Gutschrift von 300 Dollar.
Mit großflächiger Werbung in den Apple Stores, im App Store, auf Apple.com, Push-Nachrichten, Promo-Emails und Twitter-Werbung versucht Apple zudem marktschreierisch wie eine Supermarktkette Kunden doch noch zum Verkauf seiner ungewollten Ladenhüter zu bewegen – es sieht inzwischen nach einer Verzweiflungstat aus.
Apple steht jahrelanger iPhone-Abwärtstrend bevor
Unterdessen versuchen Analysten seit Monaten einzupreisen, wie drastisch die Absatzeinbußen beim iPhone ausfallen. Dass Apple offenbar selbst mit Verkaufsrückgängen bei seiner wichtigsten Konzernsparte rechnet, macht die defensive neue Bilanzkommunikation deutlich, in der erstaunlicherweise ab sofort die verkauften Geräte-Stückzahlen verschwiegen werden.
Bis zur Verkündung des Weihnachtsquartals müssen Aktionäre bis Ende Januar warten, doch bereits jetzt steht für die Wall Street fest, dass eine ungewöhnliche Durststrecke auf den Techpionier zukommt.
Mit den neuen Modellen, die nach jeder Lesart das Käuferinteresse vermissen lassen, dürften die Absätze 2019 schrumpfen. Doch auch danach dürfte es kaum besser werden, weil Apple im nächsten Herbst wohl nur marginal modifizierte Geräte auf den Markt bringen dürfte. Erst 2020 könnte ein 5G-fähiges iPhone für die Trendwende sorgen.
Bis dahin könnte es ein langer Abstieg werden – nicht zuletzt, weil es Tim Cook bis heute nicht gelungen ist, neben dem iPhone einen neuen Wachstumstreiber aufzubauen, der einmal das iPhone beerben könnte. Die Apple Watch und AirPods verzeichnen zwar zweistelliges Absatzwachstum, bleiben am Ende aber Wearable-Accessoires zum iPhone.
Und die hochgejazzte Servicesparte, in der Apple seine Internetaktivitäten bündelt, wächst am Ende durch die Umsätze von Drittanbietern (App Store) oder zugekauften bzw. bald selbstproduzierten Content. (Apple Music). Innovationen im Sinne eines Steve Jobs’schen ‚One more things‘ sind Fehlanzeige.
Entsprechend hat die Wall Street ihr Urteil gefällt und Apple in den vergangenen Monaten wie einen in die Jahre gekommenen Ex-Champion fallen lassen. Nicht unerheblicher Nebeneffekt des Börsenabsturzes: Nach sieben Jahren ist Apple nicht mehr wertvollster Konzern der Welt. Auf dem Börsenthron nahm ausgerechnet Erzrivale Microsoft Platz, und sogar vom Internet-Schwergewicht Amazon musste sich Apple in der vergangenen Woche zeitweise überholen lassen.
Es sieht in diesen letzten Tagen des Jahres ganz danach aus, als wäre 2018 eine Ära zu Ende gegangen – die der langjährigen Apple-Dominanz.