Recruiting:
Wie sich Agenturen dem Kampf um Talente beherzt stellen
Erstaunlich, was sich gerade kleinere Agenturen einfallen lassen, um Mitarbeiter zu finden und zu binden. Fünfstundentag bei vollem Gehalt, Personal Coach für alle sowie Work&Travel auf Mallorca sind nur ein paar von vielen innovativen Ideen
Das Virus grassiert bei vielen Agenturen: Sie haben ein ausgewachsenes Nachwuchsproblem. Doch gerade die Kleineren lass sich einiges einfallen, um Talente zu sich zu lotsen und auch zu halten.
So wie die Agentur Rheingans Digital Enabler, die mit dem Sitz in Bielefeld zusätzlich einen Standortnachteil hat. Der Agenturinhaber Lasse Rheingans hat ein sehr radikales Arbeitszeitmodell eingeführt und für alle Mitarbeiter den Fünfstundentag bei gleicher Bezahlung, gleichen Rechten und gleichem Urlaubsanspruch ermöglicht. Jeder arbeitet von acht bis 13 Uhr. Alle arbeiten gestrafft, weil sie ja wissen, sie können ihre persönlichen Belange nach 13 Uhr erledigen.
Was zunächst als Experiment begann, hat allen Beteiligten überwiegend Vorteile gebracht. "Wir leisten quantitativ gleich viel, qualitativ sind wir sogar noch besser", meint der Geschäftsführer der Digitalagentur. Diese Verkürzung hat allerdings auch offenbart, wo Prozesse nicht ganz rundliefen. Dort wurde dann nachjustiert. Das Projekt hat Vorbildcharakter: Vor kurzem haben auch HR-Experten eines großen Kommunikationskonzerns vorbeigeschaut, um sich ein Bild zu machen.
Arbeiten im Bauwagen
Ebenfalls interessant ist der Ansatz der Agentur Oseon in Hamburg, bei der jeder seine Arbeitszeit und seinen Arbeitsort frei wählen kann. So wie Trendscout Nicole Dau, die nur einen Tag in der Agentur verbringt.
Ansonsten arbeitet sie von einem Bauwagen aus, der im Wendland steht und mit dem Agenturserver verbunden ist. Das Arrangement verschafft Dau mehr Zeit für ihre privaten Interessen - wie dem Restaurieren von Möbeln oder Gartenarbeit.
Ebenfalls abseits der Agenturräumlichkeiten arbeiten Mitarbeiter von Diffferent. Jedes Jahr darf ein Team auf Kosten des Chefs verreisen. "Wirklich außergewöhnliche Ideen hat man selten am Arbeitsplatz, sondern in inspirierender Atmosphäre", sagt Geschäftsführer Jan Pechmann. Deshalb schickt die Agentur Kollegen zum Work & Travel - raus aus dem Alltag, weg vom Büro, hin zu neuen Impulsen und frischen Ideen.
Mehr Struktur, weniger Egozentrik
Ein großes Problem in vielen Agenturen stellen die chaotische Teamorganisation, schlechte Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Chefs mit übergroßem Ego dar. Um zu verhindern, dass Mitarbeiter wegen inkompetenter Chefs die Segel streichen, investiert die Fürther Agentur Gernbotschaft in die Ausbildung ihrer Führungskräfte.
"Wir sind vor zwei Jahren zu der Überzeugung gekommen, dass wir unsere Führung professionalisieren müssen", sagt Martina Kovarik-Nowak. Geschäftsführer, Gesellschafter sowie die zweite Führungsebene wurden in systemischer Führung geschult.
So was kostet, denn für die vier Schulungsmodelle waren pro Mitarbeiter im Laufe eines Jahres 12 Tage fällig. Nicht nur Zeit, auch Kraft muss investiert werden, denn Gespräche und Diskussionen mit den Mitarbeitern werden jetzt nicht mehr nur Top-Down, sondern auch Bottom-Up diskutiert. Das läuft nicht immer reibungslos. "Ja, das ist aufwändig", gibt Kovarik-Nowak zu, aber es gebe "kein besseres Aushängeschild für eine Agentur als zufriedene Mitarbeiter."
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