Interview:
Warum Unternehmen jetzt weiter pitchen sollten
GWA-Präsident Benjamin Minack und Oliver Klein von Cherrypicker rufen Werbungtreibende dazu auf, ihre laufenden Auswahlprozesse nicht zu stoppen. Wer zum Pitch lädt, habe am Ende der Krise einen Vorteil.
Agenturen sind arbeitsfähig und haben Kapazitäten frei. Und die meisten Agenturen zeigen sich durchaus offen für Online-Pitches. Warum also sollten Kunden sie derzeit nicht zum Präsentationswettbewerb auffordern, wenn sie das ohnehin vorhatten? Klar, die Zeiten sind nicht danach. Unternehmen kämpfen ums Überleben, die Agenturen brauchen die Jobs der Kunden. Wenn nun also der GWA und die Agenturmanagement-Beratung Cherrypicker dazu aufrufen, in der Krise Auswahlprozesse nicht auszusetzen, klingt das wie eine Durchhalteparole.
Aber es steckt auch Kalkül dahinter, das sich für Unternehmen auszahlen könnte. Unser Interview mit Benjamin Minack, Präsident des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen, Frankfurt/Berlin, und Oliver Klein, Inhaber von Cherrpicker in Hamburg.
Herr Minack, Herr Klein, Corona und kein Ende absehbar. Marketingbudgets werden eingefroren, Kampagnen gestoppt. Warum raten Sie Unternehmen ausgerechnet jetzt, ihre geplanten Auswahlprozesse nicht auch auszusetzen, sondern auf die Suche zu gehen?
Benjamin Minack Gegenfrage: Warum sollten Unternehmen aussetzen? Dafür gibt es aus meiner Sicht keinen Grund. Agenturen sind ja keine Restaurants oder Clubs, sie haben geöffnet und sind voll arbeits- und lieferfähig. Es kommt ihnen in der Krise zugute, dass sie das Thema New Work schon früh erkannt und umgesetzt haben. Mobiles Arbeiten, Flexibilität, agile Prozesse, digitale Organisation, all das ist in Agenturen in hohem Maße seit langem gelebte Praxis.
Auch große Agenturen mussten sich dafür in den letzten Wochen erst rüsten. Auf Kundenseite scheint die Situation aber noch schlimmer, wie zu hören ist. Vor allem im Mittelstand.
Benjamin Minack Es gibt hier kein einheitliches Bild. Wir treffen auf sehr gut organisierte Kunden wie auf echte Problemfälle. Und wie so oft: Überraschend sind die Outperformer. Ich habe inzwischen drei Wettbewerbspräsentationen via Teams hinter mir und muss sagen: Beachtlich, wie gut sich die Kunden darauf eingestellt haben.
Auswahlverfahren in Zeiten der Krise. Wie kommen Agenturen und Kunden da überhaupt zusammen?
Benjamin Minack Es haben sich virtuelle Auswahlverfahren etabliert, die funktionieren. Und es trifft auch beim Thema Agenturauswahl zu, was für Geschäftsreisen gilt: Unternehmen haben die Chance, ihr übliches Verfahren zu hinterfragen und neue, häufig deutlich weniger kostspielige Wege auszuprobieren. Die hier gemachten Erfahrungen sind sicher auch nach der Krise nützlich.
Oliver Klein Wir könnten an dieser Stelle von der Systemrelevanz von Agenturen und der Verantwortung der Kunden gegenüber ihren Agenturpartnern sprechen. Ich befürchte aber, dass das in der aktuellen Zeit auf wenig Gegenliebe stößt.
Stimmt, alle wissen, dass Marken gerade jetzt weiter präsent bleiben sollten, trotzdem frieren die Marketingabteilungen ihre Budgets ein.
Benjamin Minack Nun, viele laufende Projekte müssen sie als Unternehmen natürlich momentan auf den Prüfstand stellen. Die passen einfach nicht mehr.
Oliver Klein Aber auch wenn wir alle heute nicht wissen, wie lange diese Situation noch anhält und wie es dann weitergeht, ist eines ganz klar: Sobald die Ausgangsbeschränkungen gelockert oder aufgehoben werden, wird weiter konsumiert, gekauft und folglich auch geworben werden.
Ich kann nur jedem Kunden raten, der derzeit nicht die besten Partner dafür hat, so schnell wie möglich mit der Suche und Auswahl zu beginnen. Denn sonst hat der Wettbewerb in diesem Punkt einen entscheidenden Zeitvorsprung nach der Krise.
Es ist klar, dass Sie aus eigenem Interesse sprechen. Aber ist das denn wirklich so? Fährt der Markt nach der Pandemie nicht langsam wieder hoch? Zumal sich bis dahin auch das Verbraucherverhalten verändert haben könnte: Die Leute konsumieren bewusster, nachhaltiger und vielleicht maßvoller.
Benjamin Minack Sobald wir, wann auch immer das sein wird, aus der Krise herausstarten, wird nach meiner Erwartung der Kampf um Kunden und Marktanteile mit Vollgas wieder aufgenommen. Schon in normalen Zeiten lehnen Agenturen gut ein Fünftel der Pitch-Anfragen mit der Begründung ab, sie seien ausgelastet. In der Hochfahrphase dürfte sich dies noch verschärfen.
"Kunden, die jetzt pitchen, dürften auf begeisterte Agenturen treffen"
Zudem senden die Auftraggeber damit positive Signale in die Branche und nehmen den Agenturen Unsicherheit. Es ist leichter, eine Durststrecke durchzustehen, wenn es zwischendurch Hinweise auf eine künftige Normalisierung gibt.
Mag sein, aber viele Unternehmen kämpfen derzeit einfach um ihre Existenz. Da ist es nicht so leicht, weiterzumachen wie bisher. Auch Agenturen sparen ja, zum Beispiel die Kosten für Awards, von denen auch viele Menschen leben.
Oliver Klein Ich habe in den letzten Wochen mit sehr vielen Agenturchefs gesprochen und alle bestätigen mir, dass im Augenblick viele Kunden ihre Aufgaben aufgrund der Lage aussetzen oder gar streichen. Gleichzeitig stehen die Teams in den Agenturen weiterhin zur Verfügung. Dies führt zu einer großen Verunsicherung über den Umsatz bis Jahresende und der hohen Motivation, etwaige Ausfälle schnellstmöglich zu ersetzen. Und sie haben Zeit, weil Reisetätigkeiten und Meetings wegfallen.
Darin besteht aber auch eine Chance: Kunden, die jetzt eine Agentur suchen, werden sehr hohe Aufmerksamkeit und Begeisterung für eine Anfrage bekommen. Ein Kunde, der wartet, bis die Lage sich bessert, wird wahrscheinlich das Gegenteil erfahren.
BMW hat seinen jüngsten Pitch komplett online gemacht. Wie führt man einen Auswahlprozess virtuell am besten durch?
Oliver Klein Zum Anfang ist in einem Auswahlprozess vieles genauso wie vor Corona. Der Kunde muss erarbeiten und festlegen, was er überhaupt sucht, welche Aufgaben er vergeben möchte, welches Profil die zukünftige Agentur haben soll, wieviel Geld er zur Verfügung hat und schließlich den Agenturmarkt durchforsten. Das alles funktioniert im digitalen Austausch mit den Kollegen genauso gut wie in der Firma, vielleicht sogar besser. Für alle Situationen, in denen man sich bisher persönlich traf, muss man neue, digitale Formate entwickeln. Wir machen das derzeit sehr häufig und es funktioniert mit ein wenig Planung erstaunlich gut. Da muss man nicht zuviel Angst davor haben.
Benjamin Minack So furchtbar groß sind aus meiner Sicht die Unterschiede auch nicht. Die ergeben sich ja eigentlich nur in den letzten Schritten eines Auswahlprozesses; alle vorgelagerten Schritte kann man auch remote erledigen. Agenturwebsites und Berichte können Sie für das Screening heranziehen, damit haben Sie schon mal einen sehr guten ersten Eindruck. Neue Wege muss man dort gehen, wo bisher der persönliche Austausch im Vordergrund stand. Aber auch das lässt sich virtuell darstellen und digital organisieren. Ich höre von unseren Mitgliedern, dass das tatsächlich auch schon täglich passiert.
Ja, wenn sich Kunde und Agentur kennen, geht das.
Oliver Klein Das kommt darauf an. Kunden suchen ja auch neue Agenturen und Teams, die sie noch nicht kennen. Da ist es natürlich sehr wichtig, dass das Kunden- und das Agenturteam sich im Verlauf des Auswahlprozesses irgendwann persönlich treffen. Da das aber derzeit leider nicht geht, braucht es sinnvolle digitale Alternativen für einen intensiven Austausch, bis es wieder möglich ist.
Benjamin Minack Kann sein, dass persönliche Chemistry-Meetings besser sind, vielleicht aber auch nicht in dem Maße, dass sie den damit verbundenen Aufwand rechtfertigen. Genau das können beziehungsweise müssen wir derzeit herausfinden. Man darf dabei auch nicht außer Acht lassen, dass sowohl auf Unternehmens- als auch auf Agenturseite in sehr kurzer Zeit gezwungenermaßen viele neue Skills, etwa was die Moderation digitaler Prozesse angeht, erworben werden. Beide Seiten sind in kurzer Zeit schlicht viel schlauer geworden, was die Machbarkeit virtueller Prozessschritte angeht. Daher wird man künftig auch viel besser einschätzen können, wann physische Meetings wirklich nötig sind.
Was raten Sie?
Benjamin Minack Ich glaube, der Vorbereitungsaufwand für virtuelle Chemistry-Meetings und Pitches muss aus Kundensicht höher sein. Virtuelle Treffen kann man nicht wie ein physisches Meeting einfach mal so laufen lassen. Meiner Erfahrung nach lassen sie im Vergleich zu physischen Treffen weniger Raum für Geplänkel, sie sind deutlich zielgerichteter.
"Die Ware ist nicht schlechter als vor der Krise"
Oliver Klein Wichtig ist, dass alles vorher gut organisiert und dann moderiert wird. Die eigentlichen Pitchpräsentationen planen wir derzeit alle für einen Zeitpunkt, an dem man sich voraussichtlich wieder treffen kann. Das ist schon sehr wichtig. Wer heute einen Auswahlprozess beginnt, wird die Entscheidungsphase wahrscheinlich zu einem Zeitpunkt haben, an dem Treffen in irgendeiner Form wieder möglich sind. Und wenn nicht, geht dies zur Not auch digital.
Das eigentliche Problem für Agenturen danach ist der virtuelle Ideenfindungsprozess. Kann das befriedigend gelöst werden? Viele Kreative sagen: Es ist kompliziert.
Benjamin Minack Sicher ist das kompliziert und ungewohnt ist es auch noch. Aber was ist das nicht in unserer Branche? Wir transformieren uns und unsere Angebote fortwährend und seit Jahren in einer hohen Geschwindigkeit. Das schaffen wir auch. Ich habe vom Küchentisch aus jetzt einige Kreativprozesse begleitet und kann sagen: Die Ware ist nicht schlechter als vor der Krise.
Das klingt ja recht optimistisch.
Benjamin Minack Wir sind in einer Zeit, die wir alle so noch nicht hatten. Aber hierin liegen auch eine Menge Chancen für diejenigen, die sie erkennen und nutzen. Und ganz nebenbei werden wir dabei neue Arbeitsformen erleben, bei denen wir uns später alle fragen werden, warum wir nicht schon früher so gearbeitet haben.