Als Sie die FDP als Kunden 2014 gewonnen haben, war sie ganz unten, erstmals nicht im Bundestag vertreten. Worauf kam es da erst mal an, auch hinsichtlich einer langfristigen Strategie?

Mengele: Die FDP hat erst einmal intern diskutiert, woher die Niederlage kommt, Fehler analysiert, und aus dieser Beschäftigung mit dem eigenen Kern ist ein Leitbild entstanden. In dem gemeinsamen Prozess haben wir unangenehme Wahrheiten offen angesprochen und gemerkt, wenn wir wirklich Erneuerung wollen, brauchen wir bestimmte Maßnahmen, auch radikale. Sogar der Name wurde hinterfragt, das Kürzel, wofür steht das eigentlich. Und so wurde der Name wieder ausgeschrieben in Freie Demokraten.

Storath: Wir sind 2014 mit dem Ansatz angetreten, eine Marke nachhaltig zu betreuen - mit einem neuen Namen, neuen Farben, neuem Corporate Design. Es geht nicht nur um das, was in den sechs Wochen Wahlkampf passiert.

Mengele: Und wir waren uns als Agentur und auch mit der Partei einig darüber, dass die FDP Progressives zu bieten hat, was aber auch spürbar werden muss. Ihre Kernwerte wie Bildung, moderne Wirtschaftspolitik, Digitalisierung, das hat alles mit Fortschritt zu tun, mit Erneuerung. Auf dieser Grundlage haben wir angefangen, Kommunikation zu entwickeln, zum Beispiel German Mut 2015. Wir haben versucht, Lust zu machen auf das, was die FDP anzubieten hat.

Am Schluss haben Sie sich sehr konzentriert auf den Parteichef, Christian Lindner, und ihn quasi als  Popstar inszeniert. Welchen Platz hat das in dieser Markenstrategie?

Mengele: Sie können die Inhalte nicht von den Personen trennen. Wir haben zehn Wahlkämpfe mit der FDP geführt, in jedem stand der Spitzenkandidat im Mittelpunkt, der den Aufbruch ja auch verkörpert.

Storath: Die Herausforderung ist natürlich, wie stelle ich den Kandidaten dar ...

Mengele: ... und es ist toll, wenn man einen so leidenschaftlichen Kandidaten hat, der bis zur Selbstaufgabe mitmacht und keine Berührungsängste hat, keine Angst vor der Inszenierung seiner Person.

Trotzdem war das eine Steilvorlage, auch für Kritik. JvM-Vorstand und CDU-Werber Thomas Strerath etwa sprach in einem Kommentar vom "Posterboy Lindner". Erwies sich das am Ende als gut oder schlecht?

Mengele: Kann es sein, dass da bei Strerath etwas Neid und Missgunst mitschwingt? Uns ist jedenfalls etwas gelungen mit diesen Plakaten, obwohl sonst kaum jemand über Plakate redet. Darum geht es im Wahlkampf ist ja, dass sich die Menschen mit einem auseinandersetzen.

Storath: Ich verstehe, wie Thomas sich jetzt fühlen muss. Die CDU hat im 6-wöchigen Kampagnenzeitraum 6 Prozentpunkte verloren und am Ende das schlechteste Ergebnis seit 1949 erzielt. Dagegen hat der von ihm abfällig als "Posterboy" bezeichnete Christian Lindner das Ergebnis seiner Partei im Vergleich zu 2013 mehr als verdoppelt. Ich persönlich fand die CDU-Kampagne nicht so schlecht, wie so oft gemacht wurde, und sie ist sicher nicht der einzige Grund für das Abschneiden. Trotzdem: Sich an den erfolgreichen Kampagnen der anderen abzuarbeiten ist auch keine Lösung.
Zu unserer Kampagne: Die hatte eine einfache Idee. Das neue Denken im Wahlprogramm der FDP zu den Menschen zu bringen, vor allem Online. Das Programm war überall verfügbar, bei iTunes, Amazon, als Podcast, über Hörbücher, in Gebärdensprache, als fast zweistündiger Film. Die Kampagne setzte vor allem auf die Distribution des Parteiprogramms in diesen Onlinekanälen. Und die Plakate waren die konsequente Verlängerung. Mit sehr viel Text. Und natürlich dem Spitzenkandidaten, der dann leider gut aussieht.

Mengele: Dagegen ging die Idee der CDU-Kampagne komplett an der Realität vorbei, hat aktuelle Probleme ignoriert ... 

Storath: ... und war auch eher klassisch gedacht, Plakate, ein Film, und dann machen wir noch in Berlin etwas Digitales. 

Mit Problemen konfrontiert Werbung den Konsumenten aber auch nicht gern. Und in der FDP-Kampagne ging es ebenfalls nicht direkt um Probleme.

Mengele: Im Wahlprogramm hatte jeder die Chance, zu sehen: Was denkt die FDP über die wirklich akuten Herausforderungen, Einwanderungspolitik, Überwachung …  Es geht mir aber nicht darum, zu sagen, die CDU hätte Probleme thematisieren sollen. Aber eben auch nicht so tun, als wäre unser Land ein Hort der Glückseligkeit, "in dem wir gut und gerne leben".
Die Inszenierung muss natürlich aber auch zum Kandidaten passen, da haben wir es vielleicht auch ein bisschen leichter gehabt mit einem jungen, gut aussehenden, eloquenten und auch durchaus mutigen Kandidaten. Wir kennen uns aus drei Jahren Wahlkampf, wissen um unsere Stärken und Schwächen. Christian Lindner hat uns gefordert, auch weil er angstfrei ist, ein Überzeugungstäter.

Auftaktmotiv zum Bundestagswahlkampf der Liberalen mit Spitzenkandidat Lindner.

Auftaktmotiv zum Bundestagswahlkampf der Liberalen mit Spitzenkandidat Lindner.

Der Wahlkampfauftritt Lindners provozierte auch Netz-Aktionen wie #ThermiLindner. Hat das jetzt eher geschadet oder genutzt?

Mengele: Das war gut, denn so wurde eine wichtige Facette seiner Persönlichkeit sichtbar, und zwar Humor. Das macht Christian Lindner nahbar, ebenso wie das Video, das ihn als Schüler zeigte. Eigentlich ist so ein Video von früher jedem ein bisschen peinlich, aber entscheidend ist, wie man damit umgeht …

Storath: Wenn man damit selbstironisch umgeht, über sich selbst lachen kann, dann hilft es. Diejenigen, die das verbreiten und darüber lachen, einfach doof und gemein zu finden, das ist auch nicht die Haltung der FDP, sondern: Es liegt bei dir, was du daraus machst.

Mengele: Als das Video geteilt wurde, gab es ein Facebook Live von Christian Lindner. Er hat sich dann eine kuhfellähnliche Krawatte wie in dem 97er-Clip besorgt und sie genüsslich abgelegt.

Thomas Strerath deutet in seinem Gastbeitrag an, die AfD hätte auch kreativ den Bundestagswahlkampf gewonnen. Wie sehen Sie das?

Mengele: Die Mittel der AfD, Parolen und Provokationen, waren ja bekannt. Damit umzugehen, das ist auch eine Aufgabe im Wahlkampf. Im Nachhinein zu jammern, zum Beispiel über die Rolle der sozialen Medien, ist ganz schlapp.

Storath: Thomas bringt da ein paar Dinge durcheinander oder will sie durcheinanderbringen. Aber natürlich weiß er, dass 100-prozentig demokratische Parteien wie CDU, CSU, SPD, FDP oder die Grünen nie so radikal provozieren können wie die AfD. Die Awareness kommt hier aus dem Extremen des politischen Produktes. Hat aber nichts mit der Aufgabe von uns Agenturen oder was wir unter "Kreativität" verstehen zu tun.

Mengele: Da müssen sich alle Parteien fragen: Haben wir es geschafft, dieser Empörungskultur etwas entgegenzustellen? Kann man für etwas begeistern, Lust auf etwas machen? Das hat bei den großen Parteien jedenfalls nicht geklappt.

Wie beurteilen Sie denn die Auftritte der Wettbewerber?

Mengele: Wir haben uns tatsächlich mehr erwartet von den Kampagnen der großen Parteien, weil es der Demokratie gutgetan hätte, wenn die Parteien mitreißender und weniger 08/15 und defensiv gewesen wären.

Wie muss Parteienwerbung also heute aussehen?

Storath: Anders. Man kann keinen Wahlkampf mehr machen, indem man fünf Plakate designt und dann bisschen was Digitales und ein bisschen was Kreatives macht. Moderner Wahlkampf muss heute Online anfangen und dann beim Plakat enden. Bei der Kampagne in NRW haben wir für die Social-Media-Kanäle den Dokumentarfotografen Daniel Rosenthal auf die Reise mit Christian Lindner geschickt. Die Reportage wurde dann über Facebook, Instagram und so weiter publiziert. Am Ende wurden dann auch vier Plakate daraus gemacht. Damit haben wir den Menschen unseren Kandidaten unglaublich nahe gebracht, ohne ihn zu inszenieren.

Mengele:  Natürlich braucht es auch die Kandidatenplakate ...

Storath: ... ja,aber muss man nicht so wie die anderen machen. Politische Kommunikation hat normalerweise den Sex-Appeal von Stützstrümpfen. Das rührt auch daher, dass die Leute auf Plakaten wenig Mut zur Wahrheit haben, sondern versuchen, alles richtig zu machen. Bitte Lächeln, aber nicht zu viel. Make-up. Photoshop. Fertig.

Mengele: Wenn man schon einen jungen Kandidaten hat, einen modern denkenden, digitalaffinen, dann sollte das auch rüberkommen. Ein Wahlkampf, der nicht langweilig ist, ist schon mal der bessere Wahlkampf.

Storath: Ich sehe es außerdem als Staatsbürgeraufgabe, politische Kommunikation interessant zu machen. Denn wenn die Menschen sich langweilen, machen sie manchmal dumme Sachen. Kinder zünden Vorhänge an, Erwachsene wählen dann komische Parteien.

O.k., Parteienwerbung darf nicht langweilig sein. Aber worauf kommt es an?

Storath: Agilität. Man muss am Puls der Zeit sein. Darauf basiert zum Beispiel ein guter Teil unserer Onlinearbeit, wir durchforsten mit unseren Daten-Tools das Netz: Was ist da draußen los an Themen, die zur FDP passen. Beim Brexit wussten wir zum Beispiel durch Big-Data-Analyse, dass Londoner Startups wegziehen wollten. Also haben wir sie nach Berlin eingeladen.

Mengele: Die Grundvoraussetzung ist, dass man ein glaubwürdiges Lebensgefühl transportiert und versucht, Menschen dafür zu begeistern, also das Gegenteil von Auf-dem-Negativen-rumreiten und Probleme groß machen.

Storath: Das erfordert ein radikales Umdenken seitens der Werbeagentur. Moderne politische Kommunikation ist nicht typische Kampagnendenke, sondern eine Mischung aus vorher geplanter Kampagne und agilem Handeln im Wahlkampf. Am Ende geht es um die zehn Stunden am Sonntag, in denen die Leute ihre Stimme abgeben.

Mengele: Was einen im Wahlkampf nicht vor Probleme stellen sollte, ist das Verhalten des Gegners. Zum Beispiel, wie geht man als SPD damit um, wenn sich Frau Merkel der Auseinandersetzung entzieht? Man darf sich davon nicht überraschen lassen.
Früher hat man gesagt, die Parteien müssen sich was von den Marken abgucken. Das stimmt auch; was wir in den letzten drei Jahren gemacht haben zusammen mit der FDP, ist ja Markenführung. Es ist aber in der Art, wie kommuniziert wird, so, dass die Marken sich durchaus was abgucken können, wenn es um Mobilisierung geht.

Die FDP-Wahlwerbung gehörte zu den effektivsten: Im Verhältnis haben Sie pro Werbe-Euro (der etablierten Parteien) die meisten Wähler aktiviert. Aus geschätzt 5 Millionen Euro Budget haben Sie 10,5 Prozent Zustimmung gemacht - die CDU/CSU im Vergleich aus 29 Millionen knapp 33 Prozent. Worauf führen Sie das zurück?

Mengele: Das ist ein schöner Beweis dafür, dass dass man mit einem guten Plan, den richtigen Leuten und mutigen Ideen viel bewirken kann. Auch nach innen: Die Menschen, die für die FDP auf Marktplätzen standen, standen da wieder gerne, waren stolz darauf. Und das, nachdem sie nach dem Ausscheiden 2013 am Boden zerstört und mit Spott und Häme überschüttet worden waren.
Wir sind stolz darauf, aber wir wissen auch, das wäre ohne Lindner, Marco Buschmann und die vielen Menschen, die da mitgemacht haben, nicht möglich gewesen.

Und  vermutlich nicht zuletzt dank eines sehr digital geprägten Mediamix hat die FDP viele junge Wähler erreicht.* Können Sie zur Zusammensetzung schon etwas sagen? 

Mengele: Das war der digitalste Wahlkampf, den die FDP je gemacht hat. Vielleicht sogar der digitalste Wahlkampf aller Parteien. Ich glaube, wir haben es geschafft, junge Leute überproportional anzusprechen. Aus der Landtagswahl in NRW wissen wir: Wir hatten Zuwächse bei den Erstwählern, den Jungwählern, aber auch bei den Wählern 60 plus. Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass man seine Zielgruppe nie unterschätzen darf. Man darf keine Angst haben, jemand zu vergraulen, etwa die Älteren, mit einem schrillen Film oder dergleichen. Aber wir wussten auch: Selbst mit einem Produkt, das quer über alle Altersgruppen interessant ist, muss man es nicht allen recht machen.

Storath: Bei jedem der zehn Wahlkämpfe war auch unser eigenes Motto "Digital First. Bedenken Second". Zum Beispiel auch mit viralen Aktionen, die nicht an den Grenzen Berlins oder Baden-Württembergs haltmachen, etwa zum Unterrichtsausfall in Berghain 2016, und darüber hat nicht nur Berlin gesprochen. Wir haben viel früher angefangen, Leute zu gewinnen, die letzten sechs Wochen waren dann nur die Endmobilisierung.

Mengele: 2014 war die FDP auf der Nulllinie und hatte das Image einer Verliererpartei. Umso besser sieht man, was entstanden ist in diesen drei Jahren. Die FDP ist nicht nur wieder im Bundestag, sondern sie steht für eine moderne, zeitgemäße Politik und für Optimismus. Aber die Erneuerung ist noch nicht zu Ende. Wir sind weiter auf dem Weg, und deshalb haben wir die Zusammenarbeit auch schon vor der Wahl verlängert. 

Was kommt als Nächstes?

Mengele: Wir müssen erst mal alles zur Ruhe kommen lassen. Es gibt bereits einen Niedersachsenwahlkampf, im nächsten Jahr eine wichtige Wahl in Bayern. Wir waren drei Jahre lang im permanenten Wahlkampfmodus, und das wird weiterhin so sein. Man kann den Dialog nicht immer nur in den Wahlphasen aktivieren. Wir werden uns auch überlegen, wie wir die Fraktionsarbeit begleiten.

*) Laut "Süddeutscher Zeitung" vom 26. September 2017/Forschungsgruppe Wahlen kam die FDP bei Wählern unter 30 Jahren auf überproportionale 13 Prozent.


Autor: Susanne Herrmann

schreibt als freie Autorin für W&V. Die Lieblingsthemen von @DieRedakteurin reichen von abenteuerlustigen Gründern über Medien und Super Bowl bis Streaming. Marketinggeschichten und außergewöhnliche Werbekampagnen dürfen aber nicht zu kurz kommen.