Kommentar von Martin Albrecht:
Warum der Staat ins Mediageschäft eingreifen muss
In Frankreich werden Mediaagenturen reguliert. Die deutsche Politik zaudert - zum Schaden des Medienstandorts. Warum auch Deutschland zwingend eine Vorschrift wie das französische Anti-Kickback-Gesetz Loi Sapin braucht, kommentiert Martin Albrecht, Co-Geschäftsführer von Crossmedia.
In Frankreich werden Mediaagenturen reguliert. Die deutsche Politik zaudert - zum Schaden des Medienstandorts. Warum auch Deutschland zwingend eine Vorschrift wie das französische Anti-Kickback-Gesetz Loi Sapin braucht, kommentiert Martin Albrecht*, Co-Geschäftsführer von Crossmedia.
Warum der Mediamarkt reguliert gehört
Transparenz im Mediageschäft: Wer jetzt nicht gähnt, stöhnt oder weiterblättert, der ist neu in der Branche. Das Thema ist nicht totzukriegen, weil das Problem ungelöst bleibt, solange der Staat nicht eingreift. Zum Einstieg keine fünf Thesen, sondern fünf Zahlen:
- Salär von Herrn Sorrell 2014: 56 Millionen Euro
- Weltmarktanteil der sechs Holding Groups am Mediakuchen: 90 Prozent
- Anteil der Fortune 500 Pitches, die nicht mit Fair-Share, sondern Above-Share gewonnen wurden: 100 Prozent
- Geschrei zum Geschäftsmodell der Mediaagenturen von Kreativgeschäftsführern, Media CEO-Pensionären und Verbandsbossen seit 2007 in Dezibel: 93
- Chance für eine Lösung aus dem Markt: 0 Prozent
Man muss weder Sozialist noch Moralapostel sein, um einzusehen, dass ein sich selbst überlassener Mediamarkt kleinere Kunden, Qualitätsmedien und differenziertere Agenturen systematisch benachteiligt und sich selbst langsam zugrunde richtet. Das vielbeschworene konzertierte Agieren von Werbekunden, Mediaagenturen und Medien ist eine Illusion. Auf dem Mediamarkt handeln alle Akteure des traditionellen Dreiecks im Blick auf ihre Eigeninteressen rational, ruinieren aber auf mittlere Sicht den Markt. Wer das nicht glaubt, der schaue sich als warnendes Beispiel den Markt in Japan an, in dem zwei Mediaagenturen den bettelnden Kunden die Werbeplätze und –zeiten zu mehr oder weniger beliebigen Konditionen verkaufen.
Was läuft eigentlich schief?
1. Der Wettbewerb unter den Agenturen wird vom Preis der Medien bestimmt, nicht von der Qualität der Beratung. Die Mediaberatung und –planung wird kaum honoriert und ist auch deutlich schwerer zu vergleichen, deshalb sind schiefe, im Agenturinteresse liegende Mediapläne eher die Norm als die Ausnahme.
2. Große Kunden haben kein Interesse an einem Fair-share der Konditionen, welche die Agenturen kundenübergreifend mit den Medien vereinbaren: der größte Gorilla will keinen gerechten Anteil, sondern die meisten Bananen. Pitches werden aber natürlich nur mit überproportionalen Konditionen gewonnen, die die Agenturen im Interesse des Agenturwachstums von den kleineren an die größeren Kunden umverteilen. Weil kleineren Kunden aber nicht nur die Marktmacht, sondern meist auch das Know-how fehlt, erleiden sie systembedingte und unfaire Wettbewerbsnachteile im Kampf um mediale Präsenz.
3. Schließlich können die Medien im Markt nur bestehen, wenn sie den Rabattforderungen der Agenturen stattgeben. Gerade Medien, die ihre Zielgruppen durch Qualität überzeugen, können in diesem System nur verlieren, weil die Incentivierung für die Agenturen naturgemäß gerade bei denjenigen Medien hoch ist, die es nicht von allein auf den Mediaplan schaffen. Medien stehen vor einer ausweglosen Entscheidung: Entweder sie verzichten direkt auf Werbekunden oder sie geben die Preishoheit an die Agenturen ab. In beiden Fällen müssen sie Qualitätsabstriche machen, um die Kosten ihrer Redaktion oder ihres Programms den reduzierten Werbeeinnahmen bzw. erhöhten Agenturkonditionen anzupassen. Verkürzt bedeutet das: Die Shareholder der Agentur-Networks entscheiden, ob wir in Deutschland weiterhin den Spiegel lesen können.
Allerdings: es geht hier nicht um Redlichkeit. Man kann fordernden Großkunden, umverteilenden Agenturen oder incentivierenden Medien kaum die Schuld geben. Sie alle handeln rational in einem System, in dem mittelfristig der Erhalt der Medienvielfalt und damit der Informationsfreiheit auf dem Spiel steht. Ansätze einer staatlichen Regulierung bestehen:
– in der Trennung zwischen der unsinnigen Einheit von Mediaplanung und -einkauf, der dazu führt, dass ein guter Arzt nur dann eine Chance hat, wenn er billige Medizin im Köfferchen hat.
– in einer rigoroseren Wettbewerbsüberwachung: wenn die Preishoheit für Medien bei den Agenturen liegt, ist das entweder Erpressung oder Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung.
– einem verpflichtenden Nachweis durch unabhängige Wirtschaftsprüfer, dass in der Beratung die Neutralität der Planung gewährleistet ist.
Transparenz im Mediageschäft mit Hilfe staatlicher Regulierung: Ein Siegel „Media Made in Germany“ wäre ein erhellendes und zukunftssicherndes Zeichen aus dem immer noch viertgrößten Mediamarkt der Welt.
*Über den Autoren: Martin Albrecht ist Co-Geschäftsführer der unabhängigen Mediaagentur Crossmedia. Er arbeitete zuvor für Ogilvy und gründete 2000 den Crossmedia-Ableger in New York.
In einer neuen Serie befasst sich W&V intensiv mit der Media-Debatte. Die Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe informiert über das französische Anti-Kickback-Gesetz Loi Sapin und die aktuelle, medienpolitische Diskussion in Deutschland. Probeabo?
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