Uta Schwaner über den Eurobest:
Starke PR-Kampagnen können Gesetze ändern
Content Marketing, Storytelling, Earned Media: Vor lauter Buzzwords ist der Begriff PR fast schon altmodisch geworden. Dabei kann PR so viel bewirken wie noch nie. Uta Schwaner hat als Eurobest-Jurorin drei besonders starke Beispiele gesehen.
Eine schlaue ehemalige Kollegin, hat mir vor langer Zeit einen Schreibblock mit dem Aufdruck "We are in PR (Public Relations) and not in ER (Emergency room)" geschenkt. Und ja, es ist oft richtig, sich nicht so ernst zu nehmen. Natürlich operieren wir nicht am offenen Herzen, aber PR kann dennoch einen wichtigen Beitrag leisten, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Das klingt auf den ersten Blick pathetisch. Aber nachdem ich in der letzten Woche beim Eurobest-Wettbewerb fast 300 Einreichungen bewertet und noch viele weitere prämierte Arbeiten gesehen habe, sage ich das voller Überzeugung. Denn an den Einreichungen konnte man genau ablesen, welche Themen uns in Europa aktuell bewegen: Angst vor Terror, Rassismus, Diskriminierung, Cyberbullying.
Und die besten Arbeiten der PR-Kategorie haben einen messbaren Beitrag dazu geleistet, diese und andere relevante Themen in die öffentliche Diskussion zu bringen. Darüber hinaus haben sie Einstellungen und Verhalten positiv verändert sowie Politik mitgestaltet.
Das lag übrigens nicht nur daran, dass es die meisten Einreichungen in der Kategorie "Charities, Public Health & Safety & Public Awareness Messages" gab, die immerhin 10 Prozent aller Arbeiten ausgemacht haben. Vielmehr fanden sich neben den Kampagnen von NGOs auch hervorragende PR-Arbeiten von Marken und Unternehmen, die sich gesellschaftskritischen Aspekten annehmen.
So blieben in Frankreich beispielsweise nach den Terror-Anschlägen in 2015 viele Theater aus Angst leer und verursachten einen immensen wirtschaftlichen Schaden. Mal abgesehen davon, sind leere Theater auch ein kulturelles Desaster. Mit der PR-Kampagne "Ma place et dans la salle" wurden die Menschen in Paris mobilisiert, wieder ins Theater zu gehen. Mit dem Aufruf wurden sie Teil einer Bewegung, der sich 150 Shows innerhalb von nur einer Woche anschlossen, indem sie ihren Namen gegen den Slogan "Ma place et dans la salle" auf allen Kommunikationsmitteln austauschten:
Über 200 Künstler, Techniker, Theater-Direktoren und Celebrities wurden unentgeltlich zu Unterstützern. Der Aufruf wurde das Trending-Thema auf Twitter und in erziele Top-Coverage in klassischen Medien. Ausverkaufte Säle waren der grandiose Erfolg.
Besonders beeindruckend waren auch jene PR-Arbeiten, die es geschafft haben, nicht nur Aufmerksamkeit für ein Thema zu kreiieren, sondern sogar die Gesetzgebung zu verändern. "I am not asking to be a firefighter" aus Polen etwa ist ein Bespiel dafür. 78 Prozent aller Menschen mit Behinderung sind dort arbeitslos. Vorurteile und Vorbehalte abzubauen, war die Zielsetzung der Kampagne. Ein tabubrechender Film war dabei Ausgangspunkt. Darin wurden Menschen mit Behinderungen auf sehr unterhaltsame Art dabei gezeigt, wie sie erfolglos versuchten, als Feuerwehrleute zu arbeiten. Die Auflösung bestand anschließend darin, die Protagonisten mit ihren wirklichen Berufen vorzustellen. So wurde allen Skeptikern anschaulich vor Augen geführt, welche Berufe sie trotz Behinderung ausüben können. Das überzeugte nicht nur Medien. Aktuell wird darüber abgestimmt, die gesetzliche Regulierung beispielsweise von "Unable to work" zu "Able to work with limitations" zu ändern.
Mit dem PR-Grand Prix wurde "The Swedish Number" in der Kategorie Co-Creation ausgezeichnet. Denn Außenstehende glaubwürdig für sich sprechen zu lassen und die Kontrolle über Content bewusst abzugeben ist tief in der PR-Historie verankert. Es gehört zu den Ur-Aufgaben von PR, Stakeholder einzubinden, sie für eine Sache zu begeistern und die Inhalte so zu gestalten, dass sie weiter erzählt werden können. Und genau diese Aufgaben hat die Kampagne sehr kreativ und erfolgreich gelöst.
Anlass dieser PR-Kommunikation war das 250jährige Jubiläum zur Abschaffung der Zensur in Schweden. Als Demonstration der freien Rede richtete Schweden eine Telefonnummer für potentielle Touristen aus aller Welt ein. Beim Anruf wurde man per Zufallsprinzip mit einem schwedischen Einwohner verbunden und konnte sie zu Land, Leute und Kultur befragen. Selbst der schwedische Premierminister gehörte zu den über 32.000 Schweden, die sich als Botschafter für ihr Land zur Verfügung stellten. Die Kampagne hat schon so viel Aufmerksamkeit in Medien und in der Kommunikationsbranche durch Award-Auszeichnungen erhalten, dass sie wahrscheinlich kaum noch vorgestellt werden muss. (Wir tun es trotzdem nochmal und erinnern an den W&V-Selbstversuch).
Was wir aus PR-Perspektive daran als "Best in class" sehen: Jeder Anruf hat durch glaubwürdige Fürsprecher ein authentisches Bild von Schweden gezeichnet. Die Kontrolle wurde abgegeben, der Inhalt von ganz normalen Menschen wie du und ich gestaltet. Unzensiert, lebensecht und lebensnah – im Namen der freien Rede. Die Idee war so innovativ, dass sie selbst US-Präsident Obama erwähnenswert fand. Und so gut, dass sie völlig zu Recht den Grand Prix gewann. Denn besonders diese Arbeit hat gezeigt, wie einflussreich Public Relations nach wie vor sein kann.
Die Autorin: Uta Schwaner leitete lange das Hamburger Büro von Edelman und ist seit Frühjahr 2016 Gründungsgeschäftsführerin von Golin Deutschland. Sie gehörte in diesem Jahr der PR-Jury des Eurobest Award an. Hier ist das Video-Interview mit ihr: