Bundestagswahl:
So werben die Hirschen für die Grünen
Die Grünen machen der SPD vor, wie Wahlkampf geht. Kernthema der Plakatkampagne ist Gerechtigkeit. Die Kampagne bricht mit einigen Tabus in der politischen Kommunikation.
Wo die Sozialdemokraten sich in Selbstzerfledderung üben statt der Regierungskoalition im Wahlkampf einzuheizen, sorgen die kraftstrotzenden Grünen mit kreativen Wahlkampfideen für Aufmerksamkeit und machen der SPD vor, wie Wahlkampf geht.
Mit frechen Merkel-Angriffsplakaten auf Bauzäunen haben die Grünen vergangene Woche schon einen Vorgeschmack gegeben. Sie gingen bewusst das Risiko ein, eine Kanzlerin, die wegen ihrer Beliebtheit nahezu unangreifbar scheint, dennoch frisch und auf ironische Weise zu attackieren. "Gegen Laufzeitverlängerung", heißt es zum Beispiel auf einem Plakat, auf dem Westerwelle, Rösler und Merkel vor sich hin zu schlafen scheinen. Ein grüner Button fragt den Betrachter: "Und du?"
"Wer nicht angreift und polarisiert, wird im Merkel-Bei-Schlaf weggerafft", sagt Hans Langguth, der die Grünen-Kampagne bei der Agentur Zum goldenen Hirschen steuert. Diskussionen um politische Programme sind erwünscht, um Deutschland aus dem Merkel-Wohlfühl-Dämmer zu reißen. Nun legt die Partei nach und zeigt, dass sie nicht nur attackieren kann: Die Grünen präsentierten in Berlin die Motive der Themenkampagne, mit der sie im Anschluss an die derzeitige Attacken- und Mobilisierungsphase in den letzten Wochen vor dem Wahltag beim Wähler punkten wollen.
Als wären sie die bessere SPD, legen die Grünen ihren Schwerpunkt auf das Thema Gerechtigkeit. Fünf von zehn Themenplakaten beschäftigen sich damit, allerdings mit einem weiter gefassten Gerechtigkeitsbegriff. Die Plakate zeigen ganz normale Menschen Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Ältere. Sie plädieren für faire Mieten, faire Löhne, gegen Nahrungsmittelspekulation ("Mit Essen spekulier ich nicht"), für Mutti im Chefsessel. "Eure Schulden will ich nicht", sagt etwa ein Jugendlicher. Der grüne "Und du?"-Button fordert den Betrachter auf, sich selbst zum Thema zu positionieren.
Weitere Themen drehen sich um Zukunft ("Ich sag: Hello Kita", "Ich werd mal Energieriese"), Europa ("Mensch vor Bank") oder Essen (Kuh:"Was der Bauer nicht kennt, fress ich nicht"). Ein Plakat zum Thema Freiheit gibt sich besonders pfiffig: Motiv und Typo stehen auf dem Kopf. "Ich seh das anders", heißt der Spruch, der am Laternenpfahl mit den Parolen der anderen Parteien spielen soll. Dazu gibt es zwei Kandidatenplakate mit den Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt, die nach dem gleichen Schema funktionieren. Vermutlich wird es auch auf den Wesselmännern in der letzten Wahlkampfphase ähnlich bunt zugehen.
Das Thema Steuern findet sich dagegen nicht auf den Plakaten wieder. Die grüne Basis hat das Thema "mehr Steuern für Reiche" im Mitgliederentscheid über die Wahlkampfthemen nicht so weit oben auf die Prioritätenliste gesetzt wie den Kita-Ausbau oder die Energiewende. Hatte dies Einfluss auf die Kampagnenmotive oder musste die Kampagne deswegen gar geändert werden? Nein, sagt Grünen-Kampagnero Langguth, es sei von Anfang an geplant gewesen, auf den Plakaten darzustellen, für welche Projekte man die Steuererhöhungen verwenden will: "Steuererhöhungen oder Steuersenkungen sind nur ein Mittel zum Zweck. Und diesen Zweck stellen wir auf unseren Plakaten dar. Das war tatsächlich von Anfang an so konzipiert."
Die plakativen, reduzierten Motive sind in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich: Sie kommen völlig ohne Wahlslogan aus - der Entscheidungsbutton "Und du?" übernimmt die Claim-Funktion, die alle Motive verbindet. Auch das Grünen-Logo erscheint nur als Andeutung - in Form der stilisierten Sonnenblume. Nur die Zeile Gruene.de/Gerechtigkeit verweist auf die jeweils mit den Themenplakaten verknüpften Themenboxen auf der Grünen-Webseite. Auch die thematische Vielfalt widerspricht der gängigen These, wonach man sich im Wahlkampf auf zwei, drei Themen konzentrieren soll.
5,5 Millionen Euro Wahlkampfetat haben die Grünen, davon 800.000 Euro Mediabudget (Agentur: Die Mediafabrik) Fernsehspots und Zeitungsanzeigen soll es diesmal nicht geben, Kino- und Radiospots schon. Die Masse des Geldes wird allerdings im Internet ausgegeben. Bannerkampagnen und Aktionen auf thematisch passenden Portalen sollen bei der internetaffinen grünen Klientel für Aufmerksamkeit sorgen und auf die Themenboxen der grünen Webseite lenken (Agentur: Ressourcenmangel).