
Shanghai Corona Days::
Quarantäne-Humor: Socken-Seeing und Topf-Curling
Stefan Justl von Storymaker China hat 45 Tage Corona-Schockstarre in Shanghai hinter sich. In Teil 9 seiner exklusiven Kolumne tritt er den Beweis an, dass Chinesen ziemlich viel Humor und Selbstironie haben.

Foto: Stefan Justl
Heute habe ich ein Video gesehen, das zeigt, was die Deutschen in Heimquarantäne so alles anstellen. Das war ein Zusammenschnitt von ziemlich sinnfreien Aktionen, aber echt witzig und super kreativ. Soll bitte niemand behaupten, wir Deutschen hätten keinen Humor. Ich fand es wirklich klasse. Ganz ähnliche Videos habe ich – das wird Euch erstaunen - vor etlichen Wochen in den chinesischen Gruppen und Social-Media-Kanälen gesehen, teilweise sogar fast identisch. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, wir hätten bei den Chinesen kopiert. Doch vielleicht ist auch Humor in Corona-Zeiten global – er hilft, die schwierige Quarantänephase zu überstehen.
Die meisten Videos finden sich hierzulande auf Douyin. Dort tummeln sich zumeist junge Netizens, die extrem originelle selbstgemachte Videos einstellen. Über 400 Millionen monatlich aktive Nutzer verzeichnet die Plattform. Besonders in Lockdown-Zeiten waren sie aktiv und kreativ. In Deutschland haben wir mit TikTok die westliche Version, und im Prinzip auch ähnliche Inhalte wie das chinesische Original.
ByteDance, der Internetgigant hinter beiden Plattformen, hat diese übrigens streng voneinander getrennt. Im chinesischen App-Store findet sich kein TikTok mit westlichen Inhalten, im deutschen App-Store sucht man Douyin mit chinesischen Inhalten vergeblich. Das hängt aus meiner Sicht mit rechtlichen Regelungen zusammen, denn Plattformen sind hier für die Inhalte ihrer User haftbar, und die Regulierungen sind in China deutlich strenger als in der westlichen Welt.
Sightseeing mit Socken und Duschkopf
Zur Quarantänezeit schwirrten unzählige im wahrsten Sinne des Wortes hausgemachte Videos durch die Social-Media-Landschaften. Mein absoluter Favorit ist bis heute die fachkundige Reiseleiterin, die ihren Mann durch die eigene Wohnung führt. Das ist zum einen eine komische Idee, was soll man sich in häuslicher Quarantäne auch schon ansehen? Viel komischer jedoch ist die Umsetzung. Statt Strand in Sanya oder Terrakotta-Armee in Xi’an bekommt der in Quarantäne gesetzte Reiselustige nun die zum Trocknen aufgehängte Wäsche oder die Duschbrause als Sehenswürdigkeit als Highlight beim Sightseeing angepriesen.
Das Foto-Shooting darf natürlich nicht fehlen. Aus allen Perspektiven – die Socken von unten, oben, Blick nach Innen …. Wie das halt so ist, wenn Chinesen reisen. Mit herrlicher Selbstironie nimmt das Video Verhalten in Reisegruppen auf die Schippe.
Haussport einmal anders
Chinesen haben in Zeiten der Heimquarantäne den Sport zu Hause entdeckt. Es gibt Ranglisten, in denen Yoga-Matten als zweitmeistgekaufter Artikel ausgewiesen werden, gleich nach dem Handrührgerät. Neben den ernsthaften sportlichen Übungen haben Chinesen auch zahlreiche Disziplinen neu entdeckt, oder besser gesagt, einfach neu definiert. Je länger die Heimquarantäne dauerte, desto irrer wurden die Ideen.
Auf Douyin kann man etliche Hobbyfischer sehen, die geduldig vor ihrem eigenen Aquarium sitzen und warten, bis ein Fisch anbeißt. Was sie mit dem Fang dann anstellen, keine Ahnung. Curling, bisher eigentlich keine ausgemachte Disziplin der Chinesen, hat es auch in das Sportprogramm der Heimsportler geschafft – zumindest die Version des Küchen-Curlings auf glattem Fliesenboden mit Kochtöpfen als Curlingstein und Wischmopp als Curlingbesen.
Auch Schwimmen stand auf dem heimischen Sportprogramm. Trockenschwimmen im Bett, auf dem Boden, auf dem Tisch oder sonst irgendwo – in einem Video wollte ein Schwimmer nicht auf das Unterwasseratmen verzichten und hat sich kurzerhand eine Wasserschüssel unter die Nase gestellt. Alles eben ein wenig anders.
Allein und doch gemeinsam
Chinesen lieben und leben die Kultur des Teilens. Auch in Zeiten der Heimquarantäne wollten viele nicht auf Gemeinschaftserlebnisse verzichten. Das Glas Wein zu Hause wurde per Screen und Gruppenchat mit den Freunden getrunken. So etwas habe ich auch in westlichen Videos gesehen. In einem anderen Clip reicht sich eine Gruppe von Männern über die Bildschirme hinweg Zigaretten, bis jeder eine in der Hand hält, um dann gemeinsam zu rauchen. Witzig gemacht, aber doch mit einem ernsthaften Kern.
Humor hilft uns offensichtlich, auch schwierige Situationen und Zeiten besser zu ertragen und zu überstehen. Und vor allem möchten wir dabei nicht allein sein. Auch das eint uns. Wir Menschen sind soziale Wesen, wir brauchen die anderen für unser Lebensgefühl: ob in China, Deutschland oder anderswo auf der Welt. Auch das zeigt sich in Zeiten von Corona deutlich.
In der nächsten Folge wird es dann wieder ernster. Ich blicke zurück auf die ersten Schritte Richtung Büroalltag. Das war schon ein wenig surreal. In Deutschland haben wir diesen Schritt ja noch vor uns. Bis dahin. Bleibt gesund.
Stefan Justl verantwortet als General Manager das Geschäft von Storymaker in China. Die Kommunikationsagentur sitzt in Tübingen, München, Berlin, Beijing und Shanghai. Direkt vom Shanghai-Homeoffice aus berichtet er nun zweimal pro Woche auf wuv.de über die Auswirkungen von Corona in China, den Umgang mit der Krise und wie es dort jetzt weitergeht. Den Pilot der Miniserie "Arbeiten in Shanghai: 45 Tage Corona-Schockstarre" lesen Sie hier. Hier geht's zu den Beiträgen über Einkaufen, die Gesundheits-App , Schutzmasken Homeschooling, hilfreiche Apps, saubere Luft, Teleshopping und deutsche Unternehmen in China.