Kommentar:
"Ich kenne da einen": Norbert Lindhof über zu bequeme Agenturauswahl
Zu viele Unternehmen machen es sich bei der Agenturauswahl zu einfach, findet Norbert Lindhof. Der frühere Y&R-Chef wundert sich über die Fantasielosigkeit mancher Entscheider. Ein Gastkommentar.
Zu viele Unternehmen machen es sich bei der Agenturauswahl zu einfach, findet Norbert Lindhof. Der frühere Y&R-Chef wundert sich über die Fantasielosigkeit mancher Entscheider. Ein Gastkommentar.
Was Deutschlands Marketingentscheider über den Agentur-Markt wissen – oder besser, nicht wissen.
von Norbert Lindhof
"Man sollte nicht überschätzen in welchem Maße sich Marketingentscheider für den Agenturmarkt interessieren, der sich vor Eitelkeit spreizt", so die Einschätzung von Lothar Leonhard, Präsident des Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen GWA, über den aktuellen Ein- und Überblick deutscher Marketingverantwortlicher zum Agenturmarkt.
Die wohl seriöseste Studie "agentur images 2013", die das "Handelsblatt" gemeinsam mit der "Absatzwirtschaft" und dem Marktforschungsinstitut Innofact erstellt hat, zeigt einen erschreckenden Grad an Unkenntnis deutscher Marketingentscheider über den Markt ihrer potentiellen Partner im Bereich der Werbe- und Spezialagenturen.
Von den 455 befragten Marketingfachleuten aus Unternehmen mit den größten Werbespendings (ab 15 Millionen brutto bei einem "Klassik-Anteil" von mindestens 30 Prozent, laut Nielsen) kennen erschreckend wenige ihren Markt der Kommunikationsdienstleister. Kennen ganz wenige das wirklich umfassende Bild der deutschen Agenturlandschaft. Hier werden offensichtlich Investitionsentscheidungen in Millionenhöhe getroffen, ohne, dass das tatsächliche Angebot an Dienstleistern auch nur annähernd bekannt ist. Wie fahrlässig.
32 Agenturen wurden für die gestützte Abfrage ausgewählt. 32 Agenturen nach klaren Vorgaben aus einem annähernd 5.000 Anbietern umfassenden Markt, wenn alle Disziplinen der aktuellen Szene berücksichtigt werden. Wie viele dieser 5.000 Agenturen im "Mindset" der Etatverantwortlichen deutscher Top-Werbungtreibender bekannt oder verankert sind, lässt sich aus der Studie nicht ableiten. Nur so viel: Aus Erfahrung wissen wir, dass vergleichsweise wenige der Möglichkeiten bekannt sind oder genutzt werden, um das Beste aus jedem investierten Werbe-Euro herauszuholen. Was für eine Verschwendung von Möglichkeiten/Ressourcen.
Noch immer zählt das alte Muster: "Ich kenne da einen". Noch immer werden nur Bruchteile der Möglichkeiten genutzt und abgerufen, um für das jeweilige Unternehmen, die jeweilige Aufgabe, die wirklich beste Lösung zu finden. Alte Bekannte oder Verbindungen sind manchmal eine solide Grundlage für Entscheidungen. Aber eben nur manchmal. Das gilt auch für den "Kreis der üblichen Verdächtigen" im Agenturmarkt. Meist ist es besser den Markt und seine Anbieter in voller Breite zu kennen. Ist es besser, auch die echten "Geheimtipps" oder aufstrebende Agenturangebote zu kennen und diese mit zu bewerten.
Hier ließen sich viele hunderttausende Euro, wenn nicht gar noch größere Summen, deutlich zielgerichteter einsetzen.
Noch gravierender wird die mangelnde Marktkenntnis der Marketingentscheider wenn man nach ihren Urteilen zu Werberpersönlichkeiten fragt. "Sie nennen Namen, die in der Liste der 15 profiliertesten Werbepersönlichkeiten münden, von denen rund die Hälfte gar nicht mehr aktiv oder schon tot ist". So zu lesen in einem Beitrag von Thorsten Graber (Redakteur der Absatzwirtschaft). Und das grausame, die mangelnde Marktkenntnis ist seit Jahren – das zeigen die Ergebnisse der "agentur images"-Studie aus den Vorjahren – nicht besser geworden.
Natürlich kann man den Anbietern im Agenturgeschäft vorwerfen, sie tun nicht genug für sich, sind schlechte Eigendarsteller und Verkäufer ihrer eigenen Leistungen und Persönlichkeiten.
Genauso kann man den "Marketeer" auf Entscheiderseite aber auch vorhalten, dass sie nicht alle Möglichkeiten nutzen, sich wirklich seriös, umfassend und professionell über den Markt zu informieren. Millionen-Euro Entscheidungen treffen, ohne das zur Verfügung stehende Angebot des Marktes zu kennen, geschweige denn, es beurteilen zu können. Das gilt für die Werberpersönlickeiten ebenso wie für die Agenturszene. Wenn Jahre nach ihrer Auflösung immer noch die ehemalige Agenturikone Springer & Jacoby als potentieller Agenturpartner genannt wird, müsste das selbst den letzten Zweifler aufrütteln. Müsste spätestens jetzt die Frage gestellt werden, wie kann ich für mein Unternehmen eine wirkliche Markttransparenz bekommen, um dann Entscheidungen zu treffen, die "mir und meinem Unternehmen die gewünschten Kompetenzen sichern." So, wie es üblicherweise für andere Investitionsvorhaben auch gilt.
Norbert Lindhof war Deutschland-Chef von D`Arcy und Y&R, ehe er sich mit der Agenturberatung Aller Best in Hamburg selbstständig machte.