Kommentar:
Homeoffice: "Ich verliere das Wir-Gefühl"
Isolation ist Gift, sagt Karsten Gessulat mit Blick aufs Homeoffice. Remote zu arbeiten, das mag zwar funktionieren, so der Kreative. Aber vieles von dem, was eine Agentur ausmacht, geht so verloren.
Natürlich meistern wir die Krise irgendwie. Werber sind ja kreativ. Das ist ihr Wesen. Und deshalb finden sie auch in dieser Zeit Wege, mit der Krise kreativ umzugehen. Manche von uns haben sogar ganz gut zu tun, es gibt – wie immer – Gewinner und Verlierer. Nur im Zeitraffer. Das eigentlich schädliche für das kreative Miteinander aber ist die Isolation. Natürlich funktioniert das alles technisch und wir sind komplett vernetzt. Bla, bla, bla. Auch mag es viele Kollegen geben, die im Homeoffice sehr produktiv sind und starke Ideen ausbrüten. Aber wir sind eben nicht zusammen.
Jede Agentur hat ihren Stallgeruch und ihren Stolz
Der Werber ist kein Einzelgänger. Er funktioniert besser im Team, braucht den Diskurs, muss sich reiben können. Und er braucht auch mal Gegenwind und ein Gegenüber. Vor allem braucht man als Werber auch immer ein bisschen Identifikation. Früher war es toll, Teil einer außergewöhnlichen Agentur zu sein. Und das ging über das reine To-do auf dem Schreibtisch weit hinaus. Es war eben ein gutes Gefühl, morgens eine coole Agentur zu betreten und dort den ersten Espresso zu trinken. Man war so etwas wie ein Teil einer Gang. Und jede Agentur hatte ihren Stallgeruch und ihren Stolz, völlig unabhängig von ihrer Größe. Es war schön, sich auf dem Gang zu begegnen und zu quatschen. Und es war inspirierend, mit Kollegen in Meetings Zeit zu verbringen und zu spinnen oder zu streiten. Natürlich hat es Spaß gemacht, mittags das Brainstorming beim Lunch zu verlängern. Und danach ein bisschen Gossip zu teilen. Manchmal war allein schon der Blick aus dem Bürofenster inspirierend. Und es war irgendwie auch schön, ‚doofe‘ Kollegen zu treffen. Da hatte man hinterher wenigstens was zu lästern.
All das geht in diesen Zeiten für meinen Geschmack langsam aber sicher verloren. Im Homeoffice fühlt es sich nicht an wie in der Agentur. Es fühlt sich an wie im Homeoffice. Die Agentur, für die man sein Gehirn anstrengt, wird austauschbarer. Vor dem Laptop auf dem Sofa sind sie doch alle irgendwie gleich. Und das ist traurig. Denn ich denke an viele wilde Agenturpartys (ja, da gab es auch peinliche Ausfälle) zurück. Oder an konspirative Zusammenkünfte nach Feierabend rund um den Schreibtisch mit einem Bierchen in der Hand. An Geburtstagsständchen von netten Kollegen. Oder an den Plausch im Fahrstuhl. Und an die langen Nächte, in denen wir gemeinsam Pitches vorbereitet haben. Natürlich auch an die rauschende Feier, wenn der Pitch gewonnen war. Mir fehlt das alles.
Die Normalität in Agenturen, sie ist etwas Besonderes
Ich bin nicht für die Isolation gemacht, und damit stelle ich sie gar nicht infrage. Ich mag sie nur einfach nicht. Denn ich verliere das Wir-Gefühl. Und ich bin davon überzeugt, dass wir gemeinsam stärker sind. Stärker für das kreative Produkt einer Agentur. Das gilt übrigens nicht nur für Texter und Arter. Ich war oft überrascht von der Kreativität vieler Berater, Strategen, Programmierer und Buchhalter. Nur auf die Distanz spüre ich davon einfach viel weniger. Und das ist ein Verlust für unser gesamtes Business. Denn es waren gerade die leisen Zwischentöne und verrückten Nebengeräusche, die unsere Branche stark und einzigartig gemacht haben. In der Zoom-Konferenz bleibt davon leider wenig übrig. Der Programmierer erzählt dir seine Kampagnen-Idee eben nur, wenn du zufällig an seinem Büro vorbeikommst.
Wie gesagt, ich glaube nicht an den Untergang unserer Branche. Überhaupt nicht. Kreative Ideen haben immer Konjunktur. Aber solche Thesen entstehen, wenn jemand alleine vor seinem Rechner hockt und ihm der Austausch fehlt. Ich glaube an unserer Stärke, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Am liebsten eben physisch. Und gerne auch gegeneinander im Wettbewerb. Ich hoffe nur, dass wir bald wieder etwas mehr Normalität haben werden. Ich mochte diese Normalität, denn in Agenturen ist sie etwas ganz Besonderes.
Zum Autor: Karsten Gessulat kennt die Agenturwelt wie nur wenige andere. Nach Stationen bei Springer & Jacoby, TBWA, BBDO, Scholz & Friends und Serviceplan gründete er 2011 gemeinsam mit seinem Bruder in München die Agentur Gessulat / Gessulat. Seit gut einem Jahr ist der Creative Director mit seiner Firma Average Sucks auf dem Markt.