Daniela Strasser über die WPP-Krise:
Die Werbe-Autokraten sind aus der Mode
Mehr als 30 Jahre lang regierte Martin Sorrell WPP mit strenger Hand und zeigte sich gegenüber Kritik immun. Die Aktionäre ließen ihn mit Blick auf die guten Zahlen gewähren. Dabei hat Sorrell übersehen, dass die Entwicklung in der Werbebranche gegen ihn arbeitet.
Gespräche mit Martin Sorrell können unangenehm sein. Der scheidende WPP-CEO ist bekannt dafür, es mit der Höflichkeit nicht immer ganz genau zu nehmen. Bevorzugt definiert sich der 73-Jährige über Zahlen - Jahresergebnisse und Aktienkurse kann er in Sekundenschnelle bis auf die letzte Kommastelle runterbeten. Passt ihm etwas nicht, reagiert er im Zweifel allerdings übellaunig und aufbrausend. Sorrell war bis vor Kurzem der mit Abstand bestverdienende Unternehmenschef in der britischen Geschäftswelt. Er hat aus der kleinen Firma "Wire and Plastic Products", die Einkaufswagen herstellte, den größten Werbekonzern der Welt geformt. WPP vereinigt heute Firmen wie Ogilvy & Mather, Saatchi & Saatchi, JWT, Grey, den Marktforscher TNS und Mediaagenturen wie die GroupM unter sich, in Deutschland gehören außerdem Scholz & Friends und seit 2017 auch die Agentur Thjnk zu WPP.
In seiner mehr als 30 Jahre währenden Regentschaft hat sich Sorrell - der sich wegen seiner geringen Körpergröße auch gerne mit Napoleon verglich - mit WPP ein einzigartiges Reich erschaffen, das nach seinen Regeln funktioniert. Seine Rolle als Gründer hat ihn in seinen Augen auch dazu legitimiert, Dinge zu tun, die für andere CEOs nicht in Frage kommen würden: So äußerte er sich beispielsweise schlecht über direkte Konkurrenten, darunter Omnicom und Publicis.
Er stellte sich zudem mit überheblich klingenden Aussagen in den Mittelpunkt. „Wenn Großbritannien Weltklasse-Champions in der privaten Wirtschaft haben will, dann müssen wir wettbewerbsfähige Gehälter zahlen“, sagte er beispielsweise über sein Rekord-Einkommen. Im Jahr 2015 verdiente Sorrell rund 90 Mio. Euro, im vergangenen Jahr bekam er deutlich weniger, aber immer noch zehn Mio. Euro Jahresgehalt. Vielen WPP-Anteilseignern passte der Superlativ-CEO wohl schon länger nicht mehr, die britische Presse spekuliert auch über mögliche Feinde von Sorrell, die ihn zu Fall bringen wollten. Denn bislang haben weder WPP noch Sorrell konkrete Gründe für den Ausstieg des CEO genannt. Es gab Ermittlungen gegen ihn, die mittlerweile aber abgeschlossen sein sollen.
Für Sorrell war lange alles in bester Ordnung
"Sie müssen mich schon erschießen, damit ich gehe", sagte Sorrell einst in einem W&V-Interview. Es kam anders. Das Spiel nach Sorrells Regeln hat nur so lange gut funktioniert, wie WPP glänzend da stand. Seit WPP strauchelt, wackelte auch Sorrell. Die Frage ist auch, ob Sorrell möglicherweise zu lange übersehen hat, dass die Zeit gegen ihn arbeitet. Charismatische Führungsfiguren sind gefragt, autokratische Herrscher an der Spitze sind dagegen besonders in der Werbebranche Auslaufware.
Sorrell hat als Branchenfremder in der Werbung alles geschafft, was möglich war.
2009 wurde er von der Queen zum Ritter geschlagen, im vergangenen Jahr ist er mit 72 Jahren zum vierten Mal Vater geworden. Während andere Konzerne die Stabsübergabe geregelt und sich dem digitalen Umbau verschrieben haben, war für Sorrell alles stets in bester Ordnung. Digital sei WPP bestens aufgestellt. Er war einer der ersten, der in der Branche maßgeschneiderte Agenturen für Kunden, sogenannte "Customzied Agencies" baute, darunter etwa "Blue Hive" für Ford und andere Einheiten für Procter & Gamble und Unilever. Doch im vergangenen Jahr hat WPP alle Umsatzziele verfehlt. Anfang dieses Jahres gab Sorrell erstmal unumwunden zu, dass auch 2018 "kein schönes Jahr" für WPP werde.
Schlechteste Umsatzentwicklung seit 2009
Die Umsatzentwicklung 2017 war das schlechteste nach dem Krisenjahr 2009, an der Börse wird mittlerweile auch gegen WPP spekuliert. Sorrell machte vorübergehende zyklische Probleme und grundlegende strukturelle Schwierigkeiten dafür verantwortlich. Vor allem aber seien die Kunden schuld. Procter & Gamble und Unilever beispielsweise kürzen die Marketingbudgets. Im Wesentlichen steckt allerdings eine ganz andere Frage dahinter: Ist das Modell der Werbeholdings überhaupt noch zeitgemäß? Diese Frage kann derzeit noch niemand beantworten. Die Holdings müssen ihre Position als Vermittler zwischen Kunden und Medien behaupten und begründen, wollen sie mit Facebook und Google weiter mithalten. In Beratungsfragen greifen einige Konzerne mittlerweile lieber auf die Dienste klassischer Unternehmensberatungen wie Accenture oder externe Digitalberater zurück. Konzerne wie Omnicom und Publicis scheinen darauf besser vorbereitet.
Die Aktie von WPP hat mittlerweile ein Drittel ihres Werts verloren. Erst jetzt, zu seinem Ausstieg, gibt sich Sorrell demütiger. Er sei traurig, teilte er zum Ende seiner CEO-Funktion mit, handele aber im Geschäftsinteresse. Für die weltweit 200.000 WPP-Mitarbeiter wäre es unter Umständen besser gewesen, wenn Sorrell nicht bis zum Ende auf seiner angestammten Linie beharrt und vorausschauender gehandelt hätte. Noch verwaltete WPP immerhin Werbegelder in Höhe von rund 64 Mrd. Euro.