Shanghai Corona Days Teil 2: :
Die Corona-Ampel: Ohne Gesundheits-App kein Zutritt
Stefan Justl hat 45 Tage Corona-Schockstarre in Shanghai hinter sich. Der General Manager von Storymaker China schreibt in Teil 2 seiner Kolumne, warum ihm sein Supermarkt plötzlich den Zugang verweigerte.
Heute war ich mal wieder mit einigen Kollegen zum Mittagessen im Restaurant, direkt neben unserem Büro. Mittlerweile bewegen wir uns wieder viel freier. Aber ohne Maske und ohne Fieber messen mit Angabe der Telefonnummer kommt man immer noch nicht in öffentliche Gebäude. Gesteuert wird das über die Gesundheits-App, die aktuell in 100 Städten Chinas eingesetzt ist und für Personen ab 18 Jahren gilt. Wer sie nicht hat, erhält an vielen Orten keinen Zutritt.
China hat weltweit die größte Dichte an mobilen Geräten und Services. Statistisch gesehen hat fast jeder Chinese ein Smartphone. Im Jahr 2018 waren es in der Volksrepublik rund 1,3 Milliarden Smartphone-Besitzer bei etwa 1,4 Milliarden Einwohnern. Das entspricht rund 93 Prozent. Beide Super-Apps, WeChat von Tencent und und Alipay von Alibaba haben jeweils über 1 Milliarde monatlich aktive Nutzer (MAU), die beim Chatten, Shoppen, Bezahlen permanent Daten hinterlassen.
Allmächtige Gesundheits-App: Kein QR-Code, kein Einritt
Vom Jugendlichen bis zum Greis, auf dem Land wie in der Stadt nutzen Chinesen diese Dienste. Wenngleich es immer noch ein Gefälle beim Zugang zum mobilen Internet zwischen den Großstädten und dem ländlichen Raum gibt, verfügt China dennoch über eine weitreichende digitale mobile Infrastruktur, die in Corona-Zeiten einen effektiven Big Data-Ansatz ermöglichte.
Die persönliche Telefonnummer ist mit der ID verknüpft, bei mir mit dem Reisepass. So kann ich jederzeit identifiziert werden, sofern ich meine Daten richtig angebe. Dieses Kontrollprinzip kennen wir schon seit vielen Wochen. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Seit Anfang Februar gibt es einen QR-Code, der darüber entscheidet, ob ich mich draußen bewegen darf oder nicht.
Informiert darüber haben uns die lokalen Behörden, aber auch die AHK oder die Europäische Kammer. Ziel der App ist es, durch Digitalisierung genaue Daten über individuelle Bewegungsmuster und Kontaktpunkte zu erhalten und auf diesem Weg durch eine verbesserte Kontrolle Neuansteckungen einzudämmen. So richtig auf dem Schirm hatte ich diese App längere Zeit nicht, bis mir Anfang März der Zutritt zu unserem Supermarkt verweigert wurde. Also habe ich mich registriert.
Bei Grün gehen, bei Rot …
Wie bekomme ich diese App? Ich habe mich über Alipay, das Bezahl- und Shopping Ökosystem des Technologieriesen Alibaba, registriert. Mein Kollege Adam nutzt die Plattform des großen Gegenspielers Tencent und gelangt über ein WeChat-Miniprogramm zum Gesundheitssystem. Egal wie, wir beide sind erfasst und unser aktueller Status wird über die Big-Data-Ressourcenplattform der nationalen und lokalen Behörden angezeigt.
Das Sammeln der Daten ist nicht neu. Internet und soziale Medien machen es möglich. Neu in China ist, dass unsere persönlichen Daten jetzt für einen Gesundheitscheck auch für Dritte an jedem beliebigen Ort sichtbar gemacht werden – über den QR-Code.
An jedem Eingang stehen Sicherheitspersonen, denen ich auf Anforderung meinen persönlichen QR-Code zeigen muss. Dieser wird vom System durch Aktivieren live generiert wird. Es gibt drei Risikokategorien, die meinen aktuellen Status anzeigen: grün, rot und gelb. Grün bedeutet alles ok. Bei gelb läuft aktuell eine gesundheitliche Beobachtung, zum Beispiel Quarantäne, und bei rot ist man ein bestätigter Fall von Covid-19.
In den beiden letzteren Fällen heißt es dann: kein Zutritt. Wenn ich Zweifel an der Richtigkeit der Farbe meines QR-Codes habe, kann ich über die Feedback-Funktion meine Daten überprüfen lassen und werde über das Ergebnis informiert. Getestet habe ich es aber noch nicht.
Theoretisch kann man sich den QR-Code als Screenshot zusenden, also versuchen, mit einem fremden QR-Code an den Kontrollen vorbeizukommen. Allerdings ist der Code mit Datum versehen, bei meinem Kollegen ist das Passbild integriert und zudem verliert der Code nach 30 Minuten seine Gültigkeit und muss neu generiert werden. Wenn die Kontrolleure genau hinschauen, lässt sich das System schwer umgehen.
Smartphone besser immer dabei
Was passiert eigentlich, wenn ich mein Smartphone nicht bei mir habe und den digitalen QR-Code auf Verlangen nicht vorzeigen kann? Ich bleibe draußen. So einfach ist das. Das kann die Shopping Mall sein, ein Wohnkomplex oder das Bürogebäude. Am Storymaker-Standort im Zentrum von Shanghai wird übrigens nicht nach dem QR-Code gefragt. Das wird von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich gehandhabt. Ich persönlich musste den QR-Code bislang wirklich selten vorzeigen. Die meisten Kontrollen beschränken sich auf Temperarturmessen mit Namenslisten und Mobilnummer.
Ob und wann die App wieder verschwindet, wissen wir nicht. Das ist aktuell auch kein Thema. Der QR-Code erweist sich als effektives Mittel und von Entwarnung sind wir noch weit entfernt. Unsere Masken tragen wir übrigens auch noch. Aber davon berichte ich beim nächsten Mal. Bleibt gesund und entspannt!
Stefan Justl verantwortet als General Manager das Geschäft von Storymaker in China. Die Kommunikationsagentur sitzt in Tübingen, München, Berlin, Beijing und Shanghai. Direkt vom Shanghai-Homeoffice aus berichtet er nun zweimal pro Woche auf wuv.de über die Auswirkungen von Corona in China, den Umgang mit der Krise und wie es dort jetzt weitergeh. Den Pilot der Miniserie "Arbeiten in Shanghai: 45 Tage Corona-Schockstarre" lesen Sie hier.