ADC-Wettbewerb:
Das sind die ADC-Gewinner
Qualität in der Breite, dafür weniger Highlights - das war der ADC 2019. Und wie immer: viele, viele Nägel und das, obwohl Jung von Matt und Thjnk dieses Jahr eine Awardpause einlegen. Wir zeigen die besten Arbeiten.
Heinrich Paravicini, Partner und CCO Mutabor Design, kann zufrieden sein. Den ersten ADC Award und -Kongress, den der Mann in seiner noch jungen Amtszeit als Präsident des Art Directors Club für Deutschland hinter sich gebracht hat, verlief weitgehend pannenfrei. Und eigentlich auch gut.
Die Qualität der Arbeiten, das sagen Juroren aller 27 Jurys, war 2019 in der Breite gut, wenn auch nicht in der Spitze herausragend. Aber vielleicht sind die Kreativen noch verwöhnt aus dem vergangenen Jahr, als wirklich große Kampagnen für Kunden wie Edeka, BVG, Mercedes etc. für Ausreißer nach oben sorgten. "Das gab es dieses Jahr nicht", sagt Paravicini. Aber ehrlich gesagt - das war schon ok so.
Der Art Directors Club für Deutschland hat im Wettbewerb 47 goldene (2018: 50), 104 silberne (92), 180 bronzene (200) Nägel sowie drei Grands Prix (5) verliehen (zur vollständigen Gewinnerliste). Drei Grands Prix statt sechs möglichen dieses Jahr, weniger Gold - für den ADC Zeugnis der "harten Tür", die man pflegen will. Aber auch nur nur einige Nägel weniger als beim letzten Mal, als Jung von Matt und Thjnk keine Awardpause einlegten und der Club doch dieses Jahr 12 Prozent weniger Einreichungen zu verzeichnen hat.
Was ist ein ADC-Nagel also noch wert? Die Frage stellen sich Kritiker seit Langem. Selbst Paravicini gibt zu: "Im Moment liegen wir bei einer Konversionsquote von 16 Prozent. Das ist mir zu hoch". Zehn seien das Ziel. Aber er hat ja jetzt auch erst angefangen.
Immerhin: Sie haben die Kategorien ausgeweitet, um Digitales ergänzt, um Designrubriken. Dann haben auch sehr viele kleine Agenturen zum ersten Mal eingereicht (plus 9 Prozent). Wir wissen: Der Club muss das Festival und seine Arbeit unterm Jahr auch monetär irgendwie stemmen. Paravicinis Vorgänger Stephan Vogel (Ogilvy) hat ihm solide Finanzen hinterlassen, dieses Erbe will der Neue auf jeden Fall in Ehren halten.
Das sind die ADC-Gewinner
Die Preisträger spiegeln in jedem Fall die Bandbreite der deutschen Kommunikation wider - und das muss alle Beteiligten freuen, denn so groß und bunt war der Club der Kreativen (nicht der Werber!) noch nie. Paravicini will das bekanntlich ausbauen, den Club nach innen stärken als "kreative Elite". Denn nur wer stolz auf seine Arbeit ist, wird nach außen als guter Botschafter einer Branche auftreten, die in den vergangenen Jahren etwas unter ihrem schlechten Ruf gelitten hat.
Aber jetzt: Die fünf bestdotierten Kampagnen 2019 sind ...
TOP 1: "The Uncensored Playlist", unter anderem aus Cannes und von vielen anderen Awards bekannt, mit einem Grand Prix im neuen Fachbereich Film & Ton (Agentur: DDB, erfolgreichste beim ADC 2019). Selbst in Ländern mit einer starken Medienzensur sind international bekannte Music-Streaming-Dienste wie Apple Music oder Spotify frei verfügbar. Aus diesem Insight hat Reporter ohne Grenzen am Welttag gegen Internetzensur (12. März 2018) ein "digitales Schlupfloch für die Wahrheit" geschaffen.
Im Rahmen des Projekts arbeiteten fünf Journalisten aus fünf Ländern mit dem Musical Director Lucas Mayer zusammen und so wurden aus zehn zensierten Artikeln zehn unzensierte Popsongs. Die dann auf frei verfügbare Streaming-Plattformen hochgeladen wurden.
TOP2: ist die Arbeit "UmOrdnung" der Berliner Philharmoniker von Scholz & Friends. "Eine sehr stille, berührende Arbeit", wie Paravicinis Vize Dörte Spengler-Ahrens sagt, Partner und Kreativchefin von Jung von Matt/Saga in Hamburg. Das Orchester der Stadt musste eine ganze Spielzeit ohne Chefdirigenten auskommen, nachdem Simon Rattle gegangen war, und da musste mensch sich für die Kommunikation schon was einfallen lassen. Siehe hier
TOP 3: 100 Jahre Bauhaus - "Das Totale Tanz Theater", Grand Prix im Fachbereich Digital für VR, ein neuer Trend? Inspiriert von Oskar Schlemmers Bühnenexperimenten und Gropius' Idee vom Totaltheater haben die Kreativen eine virtuelle Welt mit kostümierten Tanzmaschinen erdacht, die der Frage nach der Beziehung zwischen Mensch und Maschine im digitalen Zeitalter nachgeht (von Interactive Media Foundation, Artificial Rome). Mit über 200 Bleistiftskizzen haben sie digitale Kostüme erstellt, die in ihrer Form auf den Ausdruck des Tänzers reagieren.
Mittels VR-Brillen tauchen die Nutzer in einen gewaltigen, virtuellen Bühnenbau ein und durchlaufen mit ihrer Tanzmaschine eine interaktive Choreografie. Aus dem Ineinandergreifen von menschengemachter Choreografie, persönlicher Intervention sowie maschineller Algorithmen erstehen immer neue Formen der Bewegung.
TOP 4: ist eine altbekannte Kampagne der Deutschen Bahn von Ogilvy. Warum in die Ferne schweifen (oder fliegen), wenn das Gute so nah liegt? Mit dem Sommer-Ticket geht's billiger auch in Deuschland und hier ist die Welt ja offenbar zu Hause:
Die Kampagne war nicht nur einfach ein Hingucker, sondern datenbasiert. Erst mit dem Einsatz kluger Algorithmen ließen sich mehr und mehr Landschaften ausforschen auf der Welt, die so ähnlich auch in Deutschland zu finden waren, und gezielt unter die Leute bringen.
TOP 5: Die handwerklich und emotional wunderbar gemachte Kampagne (auch das ein Trend: gutes Craft) von Antoni für Mercedes' neuen GLE. "In the long run" heißt sie:
Schließlich hat die Jury unter den Goldgewinnern noch einen dritten Grand Prix ausgemacht, der es allerdings nicht in die Top 5 geschafft hat: The Macallan, "Visitor Experience", Grand Prix im Fachbereich Kommunikation im Raum von Atelier Brückner. In der Heimat des Whiskeys haben die Architekten Rogers Stirk Harbour + Partners ein lichtdurchflutetes Brennereigebäude in die Landschaft gebettet. Durch die 14.800 Quadratmeter große Destillerie leitet ein szenografisch durchdachter Parcours.
"Alle drei Grands Prix wurden an sehr spezialisierte, sehr innovative Arbeiten vergeben. Insgesamt zeigen die Ergebnisse die Innovationskraft, die wir in der Branche haben", sagt Heinrich Paravicini. Erfolgreichste Agentur des ADC-Jahrgangs 2019 ist übrigens DDB vor Heimat und Scholz Friends. Hier finden Sie alle Gewinner.
Die Grands Prix für den Nachwuchs (plus 20 Prozent Einreichungen!) gingen an die Semesterarbeit "Willkür & Drangsal" von Luise Thoma und Vernea Zirngibl nach Würzburg. Eine ausgezeichnete Abschlussarbeit lieferten Johannes Lörz und Jonathan Kopetzky von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Ravensburg mit der Kunstfigur Magnus Sander uns seiner globalen moralischen Bewegung "The Worldwide Moral Movement". Alle Gewinner des ADC Junior Wettbewerbs hier.
Sie befassten sich damit, wie Populismus und Fake-News Menschen und ihre Moralvorstellungen beeinflussen. Die gravierendsten Probleme unserer Gesellschaft erhalten entweder kein Gehör oder sind schwer lösbar. Ihre Idee: Sie nutzen provokante Mittel, um Lösungen für diese Probleme anzubieten und führen dabei den Populismus ad absurdum.
Junge Kreative in den ADC
Was Paravicini für 2020 vorhat? Der Nachwuchs liefert da das richtige Stichwort. Der ADC werde ja oft als Club der alten weißen Werber verschimpft, sagt Paravicini. Ab sofort aber säßen in den Jurys auch die Gold-Gewinner des ADC-Junior-Wettbewerbs. Dafür hat sich das Präsidium um Richard Jung vom Fachbereich Forschung und Lehre eigens das Format "Talent ADC" ausgedacht. Wer siegt, wird fünf Jahre lang automatisch Mitglied des Art Directors Club, darf an allen Events teilnehmen, den Sektions- und Fachbereichs- sowie den Jurysitzungen. Abstimmen sollen sie dort zwar nicht, aber es gehe auch mehr darum, "junge Leute an den ADC zu binden".
Und sonst? Will er offenbar auch an den Kongress ran, der dieses Jahr wieder ausverkauft war (Liveblog). Aber gut, dafür hat er ja noch ein bisschen Zeit. Heute Abend wird Heinrich Paravicini mit seinen Kollegen auf Kampnagel erstmal feiern - nach der Award Show.