
Shanghai Corona Days:
Dank Corona: Endlich wieder blauer Himmel über Shanghai
Stefan Justl von Storymaker China hat 45 Tage Corona-Schockstarre in Shanghai hinter sich. In Teil 6 seiner Kolumne schreibt er, warum man in der Stadt auf einmal wieder atmen kann – wenn da nicht die Maske wäre.

Foto: Stefan Justl
Heute war ich mal wieder im Xujiahui Park, eine der Parkanlagen im Zentrum von Shanghai, die von vielen Familien und Joggern besucht wird. Seit Mitte März ist er wieder geöffnet. Menschen treffen sich wieder zu Brettspielen, zu Tai Chi und zum Musizieren. Die schwarzen Schwäne sind DIE Attraktion dort. Irgendwas irritierte mich, schien anders: Die Kinder waren wieder da.
Zwischenzeitlich waren die rund 25 Parks und Grünanlagen Shanghais geschlossen, und auf den Straßen hat man fast nur Erwachsene gesehen, die das Nötigste erledigt haben. Langsam kommen auch die Jogger zurück – die Maske ist selbstverständlicher Teil des Sportoutfits, auch in den Gyms und Yogastudios, die jetzt wieder geöffnet sind.
Während des Lockdowns mussten die rund 3500 Fitness- und Yogastudios schließen und so hat mir vor allem der Sport gefehlt während der Quarantäne. Normalerweise gehe ich zwei bis drei Mal die Woche ins Fitnessstudio. Meine Frau hat sich kurzerhand selbst geholfen mit einer Yogamatte und der App „Down Dog“, nachdem ihr Yogastudio schließen musste. Mit den Kraftstationen und Trainern ist das schwieriger.
Die Natur atmet auf
Während sich das Leben der Menschen entschleunigt hat, hat sich die Natur erholt. Plötzlich habe ich Vogelgezwitscher gehört, das sonst vom Straßenlärm übertönt wird. Mir war gar nicht bewusst, dass hier so viele Vögel in den Bäumen leben. Auch die Luftwerte haben sich verbessert und die Umweltverschmutzung hat abgenommen. Diesen Trend erkennt man aber schon seit längerem.
Als ich vor sieben Jahren hier angekommen bin, war der Himmel auch bei gutem Wetter nie so schön blau wie in Deutschland. Fast alle meine Freunde haben wie ich eine App, die den aktuellen AQI (Air Quality Index) anzeigt. Werte von über 150, und damit als ungesund eingestuft, waren in Shanghai eher die Regel als die Ausnahme. Inzwischen liegen wir meistens unter 100 und damit im moderaten Bereich. Das ist ein großer Schritt für Shanghai. Unter 50 gilt als gut. Das erreichen wir immer noch eher selten.
Dennoch gibt es deutlich mehr Tage mit klarem Himmel und man sieht die Sonne. In der Quarantänezeit waren Produktionsanlagen stillgelegt und der Transport auf ein Minimum reduziert. Allein im Februar sind die Verschmutzungswerte um ein Viertel zurückgegangen. Der Gehalt an Stickstoffdioxid, der vor allem bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entsteht, ist laut NASA um bis zu 30% gesunken. Schade, dass wir jetzt durch die Masken nicht frei atmen und die saubere Frühlingsluft einsaugen können.
Keine Vorteile auf lange Sicht
Aus Venedig hört man, dass das Wasser in den Kanälen plötzlich klar ist, man bis auf ihren Grund sehen und sogar Fische erkennen kann. Das kann man hier vom Huangpu River, der Hauptwasserstraße der Stadt, der die Stadtteile Pudong und Puxi trennt, nicht behaupten. Während des Lockdowns wurde der Frachtverkehr auf ein Minimum reduziert, dennoch ist die Hauptwasserstraße der Stadt so schlammig braun wie eh und je.
Obwohl es keinen Zweifel gibt, dass das Coronavirus unseren Verbrauch und unsere Emissionen herunterfährt, wird es nach Ansicht der Wissenschaftler auf längere Sicht nicht viele Vorteile bringen, vor allem nicht für den Klimawandel. Der größte Anteil der Emissionen, die zurückgegangen sind, geht auf den Transport zurück.
Die Emissionen aus Elektrizität und Internet sind aber zum Beispiel noch genauso hoch wie vorher, wenn nicht sogar höher, weil sich die Welt auf die mit COVID-19 verbundenen Beschränkungen einstellt. Viele Chinesen waren im Home Office, deshalb wurde hier viel mehr Energie verbraucht als vorher. Und so werden die sinkenden Treibhausgasemissionen in bestimmten Sektoren durch steigende Werte in anderen Sektoren ausgeglichen.
Frühling in Shanghai
Umso schöner ist es, dass der Frühling in die Stadt zurückgekehrt ist und man endlich wieder entlang der berühmten Promenade „The Bund“ spazieren kann. Die 2,6km lange, berühmte Uferpromenade am westlichen Ufer des Huangpu-Flusses wird langsam wieder bevölkert, die Cafes sind offen und die Leute schießen ein Selfie, oft mit der mehrere Meter großen LED-Werbung im Hintergrund die weiterhin auf zu Corona-Schutzmaßnahmen ermahnt.
Hier gibt es unzählige Blumenbeete, in denen jetzt die Blumen blühen. Auch Shanghais Botanischer Garten ist jetzt einen Besuch wert. Mit einer Fläche von 81,86 Hektar ist dieser der größte in ganz China. Jetzt im April findet man hier eine schiere Blütenpracht in den schönsten Farben vor. Ich bin froh, dass man sich öfter draußen aufhalten kann. Unter Menschen zu sein, das habe ich doch am meisten vermisst.
Im nächsten Artikel schauen wir uns an, wie sich das Verhalten der Konsumenten verändert hat. Bleibt gesund.
Stefan Justl verantwortet als General Manager das Geschäft von Storymaker in China. Die Kommunikationsagentur sitzt in Tübingen, München, Berlin, Beijing und Shanghai. Direkt vom Shanghai-Homeoffice aus berichtet er nun zweimal pro Woche auf wuv.de über die Auswirkungen von Corona in China, den Umgang mit der Krise und wie es dort jetzt weitergeht. Den Pilot der Miniserie "Arbeiten in Shanghai: 45 Tage Corona-Schockstarre" lesen Sie hier. Hier geht's zu den Beiträgen über Einkaufen, die Gesundheits-App , Schutzmasken Homeschooling und hilfreiche Apps.