Interview mit Carsten Matthäus:
"Content Marketing fordert den Journalismus heraus"
Carsten Matthäus war einer der wichtigsten Journalisten der Süddeutschen Zeitung, als er zur Agentur SZ Scala wechselte. Ein Gespräch über das Geheimnis und die Zukunft von Content Marketing.
Carsten Matthäus ist Mitglied der Geschäftsleitung von SZ Scala, der Content-Marketing-Agentur der Süddeutschen Zeitung. Im Interview verrät er, warum Content Marketing Teil der kommunikativen Demokratie sein kann, was gute Geschichten ausmacht und warum es sich lohnt, mit dem Kunden um die beste Story zu ringen.
Herr Matthäus, Content Marketing macht heute ja fast jeder. Und jeder meint damit etwas anderes. Was bedeutet Content Marketing für Sie?
Ich benutze den Begriff eigentlich nur sehr ungern, weil er so viel sein kann, aber manchmal so wenig ist. Ich halte aber die Grundidee für sehr wichtig: dass man nicht mehr mit simplen Marketingworten Reklame macht, sondern versucht, mit glaubwürdigen Inhalten zu überzeugen und den Umgang mit dem Leser nachhaltiger zu gestalten.
Was meinen Sie mit nachhaltig?
Wenn eine Geschichte hervorragend erzählt und nutzwertig ist, dem Leser bei seinen Fragen und Aufgaben hilft, ist sie nachhaltig – und dann ist es dem Leser egal, woher sie kommt.
Sie selbst haben eine lange journalistische Karriere hinter sich, unter anderem mit Stationen bei Spiegel Online und Süddeutscher Zeitung. Was ist denn der Unterschied zwischen Journalismus und Content Marketing?
Ich habe in den vergangenen Jahren sehr viel zwischen beiden Seiten hin- und hergewechselt und bin immer noch überrascht, wie wenige Unterschiede es gibt. Das Handwerk ist immer das gleiche: Wenn man eine These aufstellt, muss man sie belegen. Man muss Argumente mit belastbaren Informationen unterfüttern. Man muss sich sicher sein, dass das was man sagt, stimmt – und es dann in eine Dramaturgie bringen, die dem Leser Freude bereitet.
Ist Content Marketing also Unternehmensjournalismus, wie immer wieder gesagt wird?
Sie benötigen im Content Marketing zumindest die ganze Klaviatur der journalistischen Arbeit. Vor allem eine präzise Sprache, um Ideen, Menschen, Ereignisse, Dinge genau beschreiben zu können.
SZ Scala ist die Content-Marketing-Agentur der Süddeutschen Zeitung. Wie wirkt sich diese Herkunft auf Ihre Arbeit im Vergleich zu einer freien Agentur aus?
Der Anspruch, dem wir genügen müssen, ist ein sehr hoher. Wir können nicht unter dem Markennamen SZ Dinge tun, die nicht auch den Ansprüchen einer Qualitätszeitung genügen würden.
Was halten Sie von der oft gehörten Aussage "Content Marketing tötet den Journalismus"?
Content Marketing tötet nicht den Journalismus, es fordert ihn heraus. Manche Content-Marketing-Projekte sind gut bezahlt. Damit hat man Zeit und Geld für gute Recherche, hervorragende Fotografie und aufwändiges Design. So können Magazine entstehen, die zurecht Preise gewinnen. Redaktionen, insbesondere die einiger Fachtitel, haben diese Ressourcen schlichtweg nicht.
Welche Funktion erfüllt Content Marketing?
Es ermöglicht den Menschen in einer komplexer gewordenen Welt die Stimme eines Unternehmens zu hören. Das ist für mich kommunikative Demokratie. Ich halte insbesondere investigativen Journalismus, der sich durch Recherche Zugang zu Informationen verschafft, die nicht öffentlich gemacht werden sollen, für ein sehr wichtiges Korrektiv in einer Demokratie. Aber Journalisten sind auf ihre Art auch sehr klar darin, gewisse Dinge schlecht zu finden. Da kann es hilfreich sein, wiederum die Gegenposition deutlich zu machen.
Wenn gelernte Journalisten ins Content Marketing wechseln und das erste Mal auf Kunden treffen, ist das nicht immer einfach…
Ja, gutes Content Marketing bedeutet für den Journalisten auch, dass man mit dem Kunden um die richtigen Inhalte ringen muss. Man muss mit dem Kunden arbeiten, was sehr schön sein kann. Denn wenn man eine gute Beziehung hat, entwickelt man sich gemeinsam.
Am 19. Oktober sind Sie Referent bei der Content Marketing Masterclass von W&V. Worum werden Sie dort mit den Teilnehmern ringen?
Ich möchte Begeisterung für die Idee wecken, dass man mit guten Geschichten den Leser/Nutzer involvieren und ihm Wertschätzung entgegenbringen kann. Vieles an journalistischer Arbeit ist Sorgfalt und Präzision. Gute Geschichten müssen nicht lauter und farbiger werden, sondern besser. Dafür wollen wir Anregungen liefern.
Haben Sie ein Beispiel für ein Projekt, das Ihre Kriterien erfüllt?
Wir haben gerade ein großes Buch für eine Unternehmensberatung rund um deren Kampagne "Mutmacher" produziert. Wir haben acht Personen, die unternehmerischen Mut beweisen haben, relativ nüchtern porträtiert und über das berichtet, was sie tun. Da hat von der Fotografie über die Texte bis hin zur Produktion des Buches alles gepasst.
Für mich war das eine sehr schöne Möglichkeit, positive Geschichten zu erzählen. Denn Content Marketing ist – wenn man es richtig macht – nichts anderes als Constructive Journalism. Wir versuchen nicht, jemanden aus dem Amt zu befördern. Wir zeigen eher, warum er ein besonderer Mensch ist, der eine besondere Arbeit macht.
Welche Produkte erfüllen Ihre Kriterien nicht?
Alle, die den Nutzer für blöd verkaufen und mit einer schnellen, populistischen Formulierung aufs Glatteis führen. Das passiert in der Politik zu oft, und leider auch im Marketing. Nachhaltig ist das nicht.
Zum Schluss der Blick in die Zukunft: Wo steht das Content Marketing in drei bis fünf Jahren?
Die Kommunikationsinhalte werden noch schneller getaktet versendet werden – das macht unsere aber nicht weniger anspruchsvoll. Im Gegenteil: Nur der wird künftig durchdringen, der nachhaltige Informationen liefert und glaubwürdige Geschichten erzählt. Das kann ein Medienhaus sein, ein Blogger, ein Influencer oder eben eine Agentur.
Carsten Matthäus gibt sein Wissen über Content Marketing und Storytelling in der W&V Masterclass weiter - wahlweise am 19. Oktober in München oder am 16. November in Hamburg.