Von Heiko Burrack:
Brauchen Agenturen eine Haltung?
Dass ein von Marken tatsächlich gelebter Purpose für Kunden ein Kaufargument sein kann, weiß jeder. Aber gilt das auch fürs Agenturgeschäft? Heiko Burrack geht der Frage nach.
Das Stichwort Purpose ist im Moment in aller Munde. Was versteht man darunter? Als Erklärung kann man sagen, es handelt sich um den Zweck eines Unternehmens. Um den Grund, weshalb ein Mitarbeiter morgens aufstehen und zur Arbeit gehen soll. Aus Sicht des Konsumenten geht es um den Grund, warum er ein Produkt ausgerechnet dieses Unternehmens kaufen soll.
Gerade Agenturen ermuntern ihre Kunden immer lauter, Zeit und Geld in die Entwicklung eines Purpose zu investieren und so einen wirklichen USP zu entwickeln. Wie sieht die Sache aber aus, wenn man die Frage spiegelt? Sind auch Agenturen besser beraten, über einen Purpose für sich nachzudenken? Oder ist die Sache ganz anders und der Purpose ist überhaupt kein Agentur-Auswahlkriterium?
Zuerst geht es um das Thema Kreativität
Für SAP ist Kreativität definitiv wichtiger als der Purpose einer Agentur. Aber natürlich schaue man sich dennoch jeden Dienstleister genau an, sagt ein Unternehmenssprecher des Software-Riesen: „Wir arbeiten nur mit Agenturen zusammen, die grundlegende Standards einhalten. Purpose bei uns aber kein Agenturauswahlkriterium für kommunikative Dienstleister. Themen wie Kreativität und dergleichen sind uns wichtiger.“
In die gleiche Kerbe schlägt der Produktmanager eines Frankfurter Süßwarenherstellers, der nicht namentlich genannt sein will. Er sagt: „Wenn Sie als Kunde einen starken Einkauf haben oder Profitziele bei ihnen im Fokus stehen, kann der Purpose noch so gut formuliert sein. Hakt es bei den finanziellen Kennzahlen, wird der Purpose schnell zweitrangig.“
Purpose kann ein wichtiges Auswahlkriterium sein
Es gibt aber auch Unternehmen, für die der Purpose durchaus ein Agentur-Auswahlkriterium ist. Meist haben diese selber einen tiefen Unternehmenszweck verankert. Dazu gehört Weleda, Hersteller von anthroposophischen Arzneimitteln und Naturkosmetik. Carina Röder, bei Weleda für die Feierlichkeiten zum 100-jährigen Jubiläum verantwortlich, sagt: „Wir haben vor einiger Zeit einen Pitch durchgeführt, bei dem wir drei Agenturen eingeladen haben. Ein wichtiges Auswahlkriterium war die Agenturgröße, da wir sicher sein wollten, dass unser Partner auch anspruchsvolle Projekte konzipieren und umsetzen kann. Wir haben uns viel Zeit für die Agenturen genommen, damit sie besser verstehen, was uns ausmacht. Auf der anderen Seite wollten wir aber auch wissen, wie Nachhaltigkeit von ihnen gelebt wird. Uns ist schnell klar geworden, dass wir hier stark auf unser Gefühl hören müssen. Ein ausschlaggebender Punkt bei der Wahl der Agentur war auch das harmonische Miteinander der Agenturmitarbeitenden und dass sie Spaß an der Arbeit haben. Wenn wir das mal unter dem Stichwort soziale Nachhaltigkeit zusammenfassen, so gibt es natürlich noch andere Dimensionen. Bei der ökologischen ist eine Beurteilung einfacher, da man hier auf Zertifikate und dergleichen zurückgreifen kann.“
"Bei der Wahl der Partner stellen wir konsequent die Sinnfrage"
Ähnlich sieht man das bei Alnatura. Das Unternehmen hat mit seiner Vorstellung, sinnvoll für Mensch und Erde zu handeln, seit jeher einen starken Purpose. Für Eva Wohlgemuth, bei Alnatura für die Markenkommunikation verantwortlich, ist der Purpose einer Agentur daher auch ein Auswahlkriterium. Sie sagt: „Auch bei der Wahl unserer Partner stellen wir konsequent die Sinnfrage. Reines Purpose-Washing nutzt einer Agentur dabei nichts, um mit Alnatura ins Gespräch zu kommen. Die kommunizierte Haltung und das tatsächliche Handeln müssen übereinstimmen. Um dies herauszufinden, schauen wir uns die Arbeit einer Agentur über einen längeren Zeitraum an und können deshalb einschätzen, ob sie eine nachhaltige oder rein oberflächliche Haltung beim Thema Sinnhaftigkeit verfolgt.“
"Die bloße Behauptung trägt nicht zur Differenzierung bei"
Martin Frommhold, Bereichsleiter Unternehmenskommunikation bei Otto, ist da etwas skeptischer. „Purpose, Haltung und Markenbewusstsein sind derzeit in aller Munde. Besser ist es jedoch, wenn diese Werte auch bereits real vom Kunden erlebt werden können. Falls nicht, wird die angestrebte Authentizität schnell als Buzzword-Bingo entlarvt. Gleiches gilt für den Umgang mit Trendthemen, beispielsweise gesellschaftlicher Verantwortung oder Umweltschutz. Wer sich hier glaubwürdig differenzieren will, sollte auf eine entsprechende Tradition oder verifizierbare Initiativen verweisen können. Die bloße Behauptung, die Welt eigentlich schon immer besser gemacht zu haben, wird in der öffentlichen Wahrnehmung definitiv nicht zur Differenzierung beitragen“.
Schlägt am Ende die Gier den Purpose?
Aber worin unterscheiden sich Agenturen hinsichtlich ihres „Purpose“ von anderen Branchen? Frank Vogel, Geschäftsführer der Düsseldorfer Agentur Dorothy, ist auf die „Purpose“-Entwicklung für Unternehmen spezialisiert. Er sagt: „Ich bin davon überzeugt, dass Agenturen genauso wie jedes andere Unternehmen von einem sinnvollen Purpose profitieren können. Wie lebt man aber seinen Purpose, wenn es wirtschaftlich enger wird? Ist die Agentur bereit, auf bestimmte Pitches zu verzichten, weil eine mögliche Zusammenarbeit gegen den Purpose verstößt? Schwierige Entscheidung. Ich glaube, dass dann auch schnell die finanzielle Karte gezogen wird. Natürlich müssen Mitarbeiter auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten bezahlt werden.“
The Goodwins finden einen gangbaren Weg
Vielleicht liegt die Wahrheit am Ende, wie so oft, in der Mitte: Für Agenturen ist es sicherlich ein Fortschritt, wenn sie nicht jedem Etat hinterherrennen, sondern den einen oder anderen Gedanken auf die Sinnhaftigkeit des Mandats verwenden. Franka Mai, Gründerin und Geschäftsführerin der Berliner Agentur The Goodwins, hat hierfür einen gangbaren Weg gefunden: „Bei vielen Anfragen ist auf den ersten Blick nicht einfach zu beurteilen, ob es sich um 'gute' Produkte und Dienstleistungen handelt. Deswegen werfen wir in der Regel erst einen Blick hinter die Kulissen und diskutieren dann die Vor- und Nachteile.“