Kreation des Tages:
Adolf Hitler erklärt seine Onlinestrategie
Adolf Hitler nutzt das Social Web. Um nationalsozialistisches Gedankengut auf der ganzen Welt zu verbreiten. Mit diesem Bild macht die Organisation "Gesicht Zeigen!" auf Propaganda im Netz aufmerksam.
Der Führer wendet sich an die Jugend. "Wir werden Twitter und Facebook und Youtube nutzen, um junge Anhänger zu finden. Wir werden über unsere Portale Fake News verbreiten. Und wir werden die Algorithmen der Suchmaschinen manipulieren, um in den Rankings nach oben zu kommen."
Erschreckend? Ja.
Adolf Hitler und seiner NSDAP war es in 30er-Jahren gelungen, mit geschickter Propaganda erst Aufmerksamkeit, dann Emotionen und schließlich Begeisterung in großen Teilen der Bevölkerung zu wecken. Wir alle wissen, wohin das führte. Und vielen Menschen ist bewusst, dass die perfide Kombination von vermeintlichen Wohltaten, Empörung und Ausgrenzung - hier wir, da die anderen - mitnichten nur Geschichte ist, dass wir als Gesellschaft nicht immun dagegen sind, die Grenzen fließend.
Mit Hitler gegen Hetzvideos
Hass und Hetze gedeihen gut, vor allem online, auf Social Media. Neofaschistische Aktivisten setzen das Internet gezielt ein, um vor allem junge Menschen zu beeinflussen und anzustacheln zu Fremdenhass und Gewalt. Darum greift die Non-Profit-Organisation Gesicht Zeigen nun zu drastischen Mitteln: Sie stellt ein Hitler-Video ins Netz.
Originalaufnahmen von Adolf Hitlers Rede 1934 beim Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg vor der Hitlerjugend, festgehalten im Film Triumph des Willens von Leni Riefenstahl. Den Text haben die Macher von Gesicht Zeigen an die heutige Zeit, an die heutigen Mittel für Propaganda, angepasst. Adolf Hitler erklärt den jungen Zuhörern seine Onlinestrategie.
"Dieser – zugegeben provokante – Spot soll ein Weckruf sein: Achtung, wir dürfen das Netz nicht den rechten Menschenverächtern überlassen. Wir müssen unsere Freiheit on- und offline gegen Hass und Hetze verteidigen", sagt Sophia Oppermann, eine der beiden Geschäftsführerinnen von Gesicht Zeigen. Rebecca Weis, ebenfalls Geschäftsführerin, erklärt, Gesicht Zeigen wolle mit der Kampagne Gefahren von rechts aufzeigen und zugleich Mitglieder gewinnen.
Ogilvy unterstützt die Organisation
Das Team von Gesicht zeigen hat Hitlers Ansprache umgetextet und lässt ihn im Video so quasi selbst seine Strategie erläutern: "Kein anderer kann uns die Gefahr so deutlich vor Augen führen", sagt der Kreative Stephan Vogel, CCO EMEA von Ogilvy. Die Frankfurter Agentur unterstützt die Organisation.
Der Spot ist seit 5. März im Social Web unterwegs und wird darüber hinaus in einigen Kinos gezeigt. Flankiert wird der Spot von einem Anzeigen- und Postermotiv (links), dass einen Hashtag in Hakenkreuz-Optik zeigt.
Zusätzlich bietet Gesicht Zeigen! auf seiner Website diverse Motive zum Teilen an. Social-Media-Nutzer können diese über ihre Accounts posten, und sich damit gegen rechte Propaganda im Netz positionieren. Die Influencer-Plattform Indahash unterstützt die Kampagne, in dem sie kostenlos Reichweite zur Verfügung stellt. "Gerade Micro-Influencer sind sehr engagiert, wenn sie sich für eine Sache begeistern. Sie sind eine ideale Unterstützung für virale Kampagnen", sagt Marina Kellner, Business Development Director DACH.
Hashtag-Motiv im Nazi-Look
Zum Kampagnenstart kooperierte Gesicht Zeigen außerdem mit dem Berliner Ausstellungszentrum Haus am Lützowplatz, das sich mit der Ausstellung "Rechts" kritisch mit dem Problem des Rechtspopulismus auseinandersetzt. Das Gebäude war mit dem Hashtag-Motiv beflaggt (Foto ganz oben), der Spot wurde hier erstmal vorgeführt.
Ziel der Organisation Gesicht Zeigen ist es, für mehr Respekt und Toleranz in Deutschland zu werben und gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt vorzugehen. Mit Kampagnen, Fortbildungen, Aufklärungsarbeit und vielen Veranstaltungen und Workshops engagiert sich der Verein seit Gründung im Jahr 2000 gegen menschenverachtende Ideologien und für eine offene Gesellschaft.
Award für frühere Aktion
2016 hatten Gesicht Zeigen und Ogilvy mit der Publikation des Buches "Mein Kampf – gegen Rechts" Stellung bezogen gegen die Neuauflage des Buchs von Adolf Hitler. Das "Gegenstatement" von Verein und Agentur zusammen mit dem Europa-Verlag bündelt Erfahrungsberichte von Aktivisten, die sich in Deutschland gegen rechte Propaganda und Gewalt engagieren. Das Projekt wurde unter anderem mit dem Grand Prix des Art Directors Club Europe sowie dem Titel "Beste Kampagne der Welt" des PR-Wettbewerbs Sabre Global Award ausgezeichnet und gewann Gold bei mehreren internationalen Kreativwettbewerben.
Aktualisierung
Vorübergehend war das Youtube-Video in Deutschland und in weiteren Ländern gesperrt. Tim Stübane, Kreativchef bei Ogilvy: "Wir hatten schon damit gerechnet, dass die im Film genannten Plattformen reagieren könnten – vielleicht mit einer Zensur des Contents. Daher wurde der Film von Anfang an auch auf der neutralen Plattform Vimeo (weil nicht im Video genannt) platziert." Offiziell habe es Beschwerden einiger Nutzer gegeben, woraufhin das Video in 30 Ländern gesperrt wurde.
Youtube begründete das mit Hinweis auf die Klausel zu illegaler Hassrede in seinen Plattformrichtlinien: "Wir entfernen Videos, die gegen unsere Richtlinien verstoßen, wenn sie von unseren Nutzern gemeldet werden. Zusätzlich blockt Youtube spezifische Inhalte, die in Deutschland rechtswidrig sind. Beispielsweise werden gemeldete Videos geblockt, die nationalsozialistisches Material enthalten, welches in Deutschland gegen das Gesetz verstößt." Einzelfälle, so teilte ein Sprecher auf Anfragen von W&V mit, würden nicht kommentiert.
Mittlerweile ist das Gesicht-Zeigen-Video mit der bearbeiteten Rede Hitlers wieder online bei Youtube. Bei Vimeo war der Spot nicht gesperrt worden. Im Gegensatz zu Youtube, Facebook und Twitter wird die Videoplattform im Spot nicht namentlich erwähnt.
Die Verbreitung des Clips via Facebook, Vimeo und Youtube (in der deutschen und englischen Spot-Version) liegt mittlerweile bei gut 18.000 Views.
Die Abrufzahlen auf Youtube halten sich - trotz der nur vorübergehenden Sperrung - allerdings in Grenzen (3770 für die deutsche Fassung), die 18 Kommentare darunter sind vor allem negativ und spotten über Linke. Die Werbeagentur Ogilvy wertet das als Beweis für die These, dass das "System rechte Gewalt im Internet" genau so funktioniert. "Es ist traurig zu sehen, dass Menschen mit "rechter" Weltanschauung sofort zur Stelle sind, um gegen solche Aktionen wie die von Gesicht Zeigen! vorzugehen und das Internet und die betreffenden Plattformen für ihre Zwecke zu nutzen. Diese Kommentare - und der Fakt, dass Youtube die Videos (zumindest zeitweise) gesperrt hat - zeigen perfekt, dass die Kampagne mehr als legitim und wichtig ist. Sie beweisen genau das, was die Aussage des Filmes ist."