Nachhaltigkeit:
"Wir stehen vor dem Durchbruch"
Im Nachgang der Screenforce Days haben wir Peter Christmann, Co-Founder Media4Planet, gefragt, was die Medienbranche zum Klimaschutz beitragen kann und wie weit wir dabei schon sind.
Im Nachgang haben wir Peter Christmann gefragt, was Werbungtreibende, Agenturen und Vermarkter zum Klimaschutz beitragen können und wie sie dabei gemeinsam den steigenden Anforderungen der Konsumenten gerecht werden können.
Herr Christmann, Sie sind seit mehr als 30 Jahren in der Mediabranche aktiv. Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie grün ist die Branche und welche Veränderungen beobachten Sie?
Ich würde sagen, wir haben das erste Drittel auf der Skala erreicht und bewegen uns mit einem guten Momentum nach vorne. Unsere Werbe- und Medienbranche ist zum Glück asset light, das heißt, wir haben beispielsweise gegenüber anderen Wirtschaftssektoren keine erdöl- oder erdgasintensiven Wertschöpfungsprozesse. Damit ist ein „Greening-Prozess“ nicht so herausfordernd. Wir sehen viele gute Initiativen: immer mehr Produkte und Dienstleistungen, die Klimaschutz in ihre DNA einbauen, zudem erste nachhaltige Werbeagentur- und Mediamodelle, zunehmend mehr Umweltschutz-Programme und Redaktionskonzepte im Medienbereich sowie eine wachsende Zahl an Protagonisten, die Klimaneutralität bereits umgesetzt haben beziehungsweise kurzfristig anstreben.
Mit welchen konkreten Maßnahmen ließe sich die Klimaneutralität der gesamten Medienbranche erzielen?
Die Rechnung ist relativ einfach: 900.000 Beschäftigte produzieren geschätzt 2,7 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr, das sind drei Tonnen pro Kopf. Ein Drittel dieser Emissionen ließe sich erfahrungsgemäß schnell reduzieren, beispielsweise mit grünem Strom, Mobilitätskonzepten, digitalen Meetings, Einwegplastikverzicht oder Fleischreduktion in der Kantine. Den Rest würde man zunächst über zertifizierte Klimaschutzprojekte kompensieren, was circa 20 Millionen Euro im Jahr für die Branche bedeuten würde – eine Inzidenz von unter 0,04 Prozent auf den Umsatz – also ein kleiner Schritt für die Branche mit großem gesellschaftlichen Impact!
Im Vergleich zu anderen Branchen, wie groß ist der Hebel der Medienbranche überhaupt?
Unsere Branche hat durch ihre hohe Visibilität eine enorme gesellschaftliche Verantwortung. Sie repräsentiert mit ihren 48 Milliarden Euro Umsatz zwar nur 1,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts, aber sie kommuniziert jeden Tag mit einem Großteil der deutschen Bevölkerung und hat damit eine enorme Strahlkraft, die man stärker für ein „grünes Messaging“ nutzen kann. Jeder „grüne“ Kontakt zählt.
Werbungtreibende, Vermarkter, Agenturen, sie alle wollen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Wie nachhaltig muss Marketing heute überhaupt sein?
Wir sehen, dass Verbraucher immer aufgeschlossener gegenüber Umweltschutz sind. Alle Marktforschungen, die wir in letzter Zeit zum Bewusstseinswandel in der Gesellschaft insbesondere durch Corona gesehen haben, zeigen einen klaren Trend zu mehr Nachhaltigkeit. Wir haben in unserer Marktforschung zur Klimaschutzkampagne der Vereinten Nationen, die wir letzten Herbst mit unserem Partner blue life bei ProSiebenSat.1 gestartet haben, zwei Dinge festgestellt: Erstens: Für drei Viertel der Bevölkerung ist Klimaschutz zunehmend relevant, darunter 20 Prozent Enthusiasten und 55 Prozent Aufgeschlossene. Zweitens: Insbesondere die Hauptzielgruppe der Aufgeschlossenen will ihr Konsumverhalten klimapositiv ändern – dementsprechend wird eine immer größere Zielgruppe empfänglich für nachhaltige Kommunikation. Unternehmen, die jetzt nicht in ökologische Lösungen investieren, verpassen einen wichtigen Trend und riskieren langfristig ihre soziale Betriebserlaubnis zu verlieren.
Media4Planet ist ein nachhaltiges Mediamodell - wie sieht das konkret aus?
Wir haben mittlerweile drei Modelle entwickelt, von denen die ersten beiden konkret buchbar sind:
- Klimaneutrale Werbung – wenn man so will, der Einstieg ins Thema: Als wir Ende 2018 den Begriff und das Konzept des GreenGRPs zusammen mit Klaus Ahrens von Pilot entwickelt haben, hatten wir Firmen wie Patagonia oder Werner & Mertz im Kopf, die durch Werbung ihre CO2-Bilanz nicht belasten sollten. Der GreenGRP impliziert allerdings eine CO2-Emissionsfreiheit, was aktuell leider noch nicht möglich ist. Heute sollte jeder Werbungtreibende seine Kampagne klimaneutral stellen und dank Serviceplan und ClimatePartner ist das jetzt in einem marktoffenen Standard möglich.
- Das Mediamodell in Kooperation mit UNEP, dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen, und unserer Partner-NGO blue life. Hier bieten wir für nachhaltige Produktkampagnen Media zu attraktiven Konditionen bei unseren Kooperationspartnern an. Die Marge, die Media4Planet daraus generiert, fließt in den Klimaschutz – die eine Hälfte in die UNEP-Klimaschutzkampagne, die andere Hälfte in zertifizierte Klimaschutzprojekte.
- DeutschlandKlimaneutral als Bewegung der Branche, mit einem zentralen Hub, das Verbrauchern und Verbraucherinnen einfach umsetzbare Alltagstipps gibt, um das jeweilige Verhalten im Bereich Ernährung, Energie, Mobilität, Fashion, Finance et cetera klimapositiv zu unterstützen. Dieses Projekt ist noch in seiner Konzeptionsphase - hier sprechen wir aktuell mit Verbänden und könnten uns vorstellen, dies auch in Verbindung mit der Race to Zero Initiative der UN zu entwickeln.
Schildern Sie uns doch mal am Beispiel einer konkreten Kampagne, was ein Werbungtreibender mit einer über Media4Planet generierten Kampagne erreichen kann.
An unserer Vaillant-Kampagne, die bei ProSiebenSat.1 und Sky lief, lässt sich das sehr anschaulich erklären: Hier haben wir 5.500 Tonnen CO2 über ein Laufwasserkraftwerk im Virunga Nationalpark im Kongo kompensiert, in dem die letzten Berggorillas leben. Hunderttausende Einwohner im Umfeld erhalten sauberen Strom und müssen nicht mehr Holzkohle verstromen. 5.500 Tonnen sind so viel, wie beispielsweise eine Agenturgruppe wie Serviceplan in einem Jahr an CO2-Emissionen produziert. Das Projekt zahlt auf insgesamt neun der 17 Nachhaltigkeitsziele der UN ein! Und Vaillant unterstützt zusätzlich die UNEP-Klimaschutzkampagne, bei der es um Aufklärung und Verhaltensänderung geht - also Reduktion von CO2.
Welche Pläne stehen in Zukunft an?
Wir stehen sicherlich vor dem Durchbruch von zunehmend mehr Nachhaltigkeitsthemen in unserem Wirtschaften und damit der gesamten Werbe- und Medienbranche. Es wäre allerdings wünschenswert für den Erfolg einiger Initiativen, dass sich der Markt zu einem kollektiven Impact zusammenschließt. Hier wäre es gegebenenfalls die Aufgabe der Verbände, eine koordinierende Funktion zu übernehmen. Wir brauchen in jedem Fall möglichst viel „green inside“ bei allen Medien-, Marketing- und Kampagnenaktivitäten – jeder „grüne Kontakt“ zählt. „Act now“ muss unser aller Leitsatz werden. Es ist invers zu einem Fußballspiel, bei dem ich noch in der Nachspielzeit das entscheidende Tor schießen kann. Unsere Tore müssen wir jetzt schießen!