Reisebranche:
Warum Instagrammer den Tourismus ruinieren
Selbst an den entlegensten Ecken der Welt darf heute eines nicht fehlen: der inszenierte Schnappschuss, der später in sozialen Medien landet. Für manchen Ort ist das eher Fluch als Segen.
Türkisblau und kristallklar glitzert der See, Fischerboote schaukeln an der Oberfläche, die Bergkette spiegelt sich im Wasser. Ein atemberaubender Anblick ist der Pragser Wildsee (Italienisch: Lago di Braies), eine Oase inmitten der Südtiroler Alpen.
Obwohl zwischen Bergen versteckt, ist der See kein Geheimtipp. Schuld daran ist die Foto-Plattform Instagram. Dort finden sich unter dem Schlagwort #lagodibraies um die 150.000 Fotos der Szenerie. Und jeden Tag werden es mehr.
"Da muss ich auch hin!", lauten die Kommentare unter vielen Fotos. Orte wie der Pragser Wildsee werden zu kleinen Berühmtheiten, manche sogar zu regelrechten Instagram-Wallfahrtsorten. Plötzlich in den sozialen Medien bekannt geworden, können die Destinationen dem Ansturm allerdings nicht immer standhalten.
Als ein italienischer Blogger vergangenes Jahr einen Post über das Verzascatal in der Schweiz veröffentlichte, erlebte das Dorf eine kaum zu bewältigende Besucherwelle. Lokale Medien berichteten von kilometerlangen Staus, wild parkenden Fahrzeugen und Müllbergen. Anwohner waren genervt.
Der Youtube-Film über die "Malediven von Mailand":
Solche Blogger oder Influencer haben über soziale Medien eine enorme Reichweite. Was sie veröffentlichen, machen andere nach. Das kann den Tourismus ankurbeln, aber auch negative Folgen haben.
"Die Orte haben wenig Kontrolle darüber, welche Inhalte in den sozialen Medien landen", sagt Laura Jäger, Referentin bei
TourismWatch, einem Informationsdienst, hinter dem das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt steckt und der sich für nachhaltigen Tourismus starkmacht. "Reisende müssen sich bewusst machen, wie sich ihr Verhalten in den sozialen Medien auf die Zielgebiete und Menschen vor Ort auswirken kann, und verantwortungsvoll damit umgehen."
Bei sommerlichen Temperaturen am Sandstrand ist davon oft nichts zu spüren. Wohin man blickt, schießen Menschen Fotos, inszenieren sich oder die Landschaft für den perfekten Urlaubsschnappschuss. Das Ferienhaus-Portal Holidu kürte diesen Sommer die beliebtesten Instagram-Strände.
Auf Platz eins in Italien: die Scala dei Turchi auf Sizilien. "Wir bemerken dieses Phänomen", bestätigt ein Sprecher des Tourismusverbands von Realmonte, der Gemeinde des Strandes. Unglücklich scheint er darüber nicht: "Instagram, Facebook und andere soziale Medien haben den Ort bekannter gemacht und den Tourismus
weiter wachsen lassen."
Was hinter der Smartphone-Linse passiert, zeigen die Fotos der Instagram-Idyllen allerdings nicht. Schadet es am Ende der Schönheit eines Ortes, wenn er für Fotos ausgeschlachtet wird? Die italienische Fotografin und Reise-Bloggerin Sara Melotti nutzt für ihre Fotos zwar selber Instagram, geht aber kritisch mit dem Netzwerk um.
"Instagram ruiniert diese Orte komplett", sagt sie. "Es hat sich ein neuer, junger Massentourismus entwickelt. Junge Leute reisen, um Fotos für die sozialen Medien zu machen. Nur um zu zeigen: Ich war hier." Melotti kennt nach eigenen Worten Influencer, die mit einem Stundenplan verreisen. Darauf vermerkt: an welchem Instagram-Spot man wann ein Foto schießen wird.
Die 30-jährige Reisebloggerin vermerkt auf Instagram mittlerweile nicht mehr den genauen Standort ihrer Fotos. Sie will nicht, dass mit den Orten passiert, was sie selbst schon zu oft auf Reisen gesehen hat. Auf Bali gebe es einen Tempel, der vor einigen Jahren komplett unbekannt war. "Heute stehen die Touristen schon um 4.00 Uhr morgens an, um ein Foto im Sonnenaufgang zu schießen."
Für solche Orte, die sich besonders gut für Fotos eignen, gibt es mittlerweile sogar ein Fachwort: Instagramability. Eine britische Studie des Ferienhaus-Versicherers Schofields Insurance ergab 2017, dass 40 Prozent der 18- bis 33-Jährigen ihre Reiseziele nach deren "Instagramability" aussuchen. Auch die Trolltunga in Norwegen ist so ein Ort - über 110.000 Beiträge unter dem Hashtag #trolltunga. Zwischen 2009 und 2014 stieg die Besucherzahl laut "National Geographic" von 500 auf 40.000.
Die Felszunge, die sich über dem Ringedalsvatnet-See erstreckt, ist berühmt für ein Motiv: Eine Person sitzt ganz vorn auf der Zunge, daneben der See, die Berge, keine Menschenseele. Der Inbegriff von Idylle. Außer, der Mensch an der Spitze würde die Selfie-Kamera aktivieren: Dann wären ziemlich viele Menschen im Hintergrund zu sehen, die Schlange stehen für dieses eine Foto, das es schon so oft auf Instagram gab.
Laura Krzikalla, dpa