Regionalmarketing:
Da schau her: New Work in der Oberpfalz
Das junge Team von Oberpfalz Marketing vertreibt digital Vorurteile aus den Köpfen und macht mit journalistischen Mitteln erfolgreich Werbung für die Region.
Traditionelle Landwirtschaft statt hipper Startup-Szene, örtliche Bauernbühne statt internationaler Performances, Stammtischplattitüden statt literarischer Manifeste – die Vorurteile, mit denen ländliche Regionen zu kämpfen haben, sind hart. Genau diese verkrusteten Klischees will das Oberpfalz Marketing aufbrechen. Doch statt mit Mistgabeln und Fackeln vertreibt das junge Team diese Stereotypen digital aus den Köpfen der Städter.
Okay, Butter bei die Erdäpfel: Es stimmt, die Oberpfalz ist steinig und karg. Die Landbevölkerung litt jahrhundertelang unter Armut, das Sprichwort „viel Stein gab’s, aber wenig Brot“ zeichnet ein historisch stimmiges Bild der Region. Meist reichten Geld und Ernte nicht zum Leben, sodass viele neben der Landwirtschaft einen zweiten Job annehmen mussten.
Aber die Oberpfalz ist kein Werk von Joseph Vilsmaier und die ikonischen Bilder, die der Filmemacher schuf, von ausgemergelten Frauen, die Steine auf Feldern klauben, und herrischen Männern, die ihre erzkonservativen Moralvorstellungen durch die Familie peitschen wie die Ochsen über den Acker, gehören nurmehr auf die Kinoleinwand oder in Bücher. Denn die Realität sieht heute ganz anders aus.
Nach wirtschaftlichen Auf und Abs hat sich die Region zu einem Hightech-Standort für Industrie und Wirtschaft entwickelt. Weltweit agierende Konzerne wie BMW, Continental, Siemens oder ZF Friedrichshafen haben sich in dem Landstrich angesiedelt, regionale Unternehmen wie Krones, Max Bögl, Cube, Ghost Bikes, Händlmaier Senf oder Grammer produzieren Exportschlager für die ganze Welt.
Außerdem sind die Oberpfälzer ziemlich innovativ: Obwohl die Einwohner in dem Regierungsbezirk nicht einmal eineinhalb Prozent der deutschen Bevölkerung stellen, liefern sie über drei Prozent aller Patentanmeldungen ab.
"Wir, die wir in der Oberpfalz leben, wissen, wie gut wir es hier haben. Jetzt müssen es nur noch die anderen kapieren", beschreibt Christoph Aschenbrenner, Geschäftsführer von Oberpfalz Marketing, seine Mission. Zusammen mit einem kleinen und jungen Team kommuniziert er die Vorteile der Oberpfalz und kämpft gegen das Stereotyp des "muhackeligen" Oberpfälzers sowie das Hinterwäldlerklischee an. Dies passiert ausschließlich digital, die Plattform des Vereins: oberpfalz.de. Das Ziel: Fachkräfte in die Region zu holen.
Ihren qualitativ hochwertigen und hintersinnigen Content verbreiten die Journalisten und Marketingexperten vor allem über Social-Media-Foren. Und das Ganze mit sehr erstaunlichem Erfolg. Gerade die Videos von oberpfalz.de kommen auf eine Reichweite, über die sich viele regionale Medienhäuser sehr freuen würden. "Oberpfalz für Einsteiger: Der Dialekt" ist dabei der Quotenkönig, allein auf Facebook hat das Video inzwischen mehr als 274.000 Views. Aber auch Beiträge wie "Die Oberpfalz in 100 Sekunden" (über 72000 Facebook-Views) laufen extrem erfolgreich. Hinzu kommt, dass sich gerade diese Videos an einer hohen Dark Reach erfreuen, weil sie vor allem via WhatsApp kreuz und quer geteilt werden. Auch vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen haben die Oberpfälzer bereits den nächsten Schritt getan. Seit kurzem bietet der in Regensburg ansässige Verein zusätzlich einen kostenlosen Messengerdienst an, mit dem sich Abonnenten Neuigkeiten aus der Region über WhatsApp, Facebook Messenger, Telegram oder Insta News schicken lassen können.
Dass so ein Konzept in und für Großstädte funktionieren kann, ist klar. Doch wie kommt das digitale Marketing in der in weiten Teilen ländlich geprägten Oberpfalz an? Das erklärt Christoph Aschenbrenner im Interview. Außerdem erklärt er, warum flexible Arbeitszeiten ein Muss sind, warum man mehr live streamen sollte und inwiefern oberpfalz.de zum antizyklischen Trendsetter werden könnte. Hashtag: #daschauher
W&V: oberpfalz.de… Wer an Klischees glaubt, könnte diese Synthese aus Oberpfalz und Web bereits als Widerspruch lesen, oder?
Christoph Aschenbrenner: Klischees zu widerlegen gehört zu den schönsten Seiten meines Jobs. Und die Region macht es uns da auch ziemlich leicht. Was sich hier in den letzten Jahren wirtschaftlich und kulturell entwickelt hat, ist einfach der Wahnsinn.
Wer Oberpfalz hört, denkt erst mal Dialekt, Dörfer und viel Tradition. Dinge, die man eher weniger im Netz vermuten würde. Dennoch vermarktet ihr die Region fast ausschließlich im Digitalen…
Wir haben uns bewusst für das Digitale entschieden, weil wir damit so viele Möglichkeiten der Darstellungsformen haben – auch wenn wir irgendwann ein paar Printprodukte brauchen werden. Und diese Schlagwörter, die man mit der Oberpfalz assoziiert, thematisieren wir zwar auch, aber anders als erwartet. Richtig gut lief etwa ein animiertes Video, das regionale Dialekte mit viel Witz und Selbstironie beleuchtet. Wir wollen den Leuten, die auf unsere Seite gehen, den "Da schau her"-Moment bieten.
Was ist mit "Da schau her"-Moment gemeint?
Jeder weiß, dass es Volksfeste in Bayern gibt, wir Wert auf Tradition legen und natürlich hat man am Land mehr Platz für Kinder. Diese Dinge traut man uns ja eh schon zu. Bei diesen Themen wird aber keiner verblüfft „ja, da schau’ her“ sagen. Wenn wir aber eine andere, unbekanntere Seite der Oberpfalz zeigen, eher bunt, spontan und innovativ, dann können wir dem User einen Überraschungsmoment bieten und etwas zeigen, was er nicht vermutet oder der Oberpfalz gar zugetraut hätte.
Was wäre denn so ein Überraschungsmoment?
An der Grenze zu Tschechien, in dem 120-Seelendorf Wernersreuth gibt es einen wunderschönen alten Pfarrhof mitten im Dorf. Dieser ist seit kurzem Firmensitz einer deutschlandweit agierenden Film- und Kommunikationsagentur. Der Gründer Marco Härtl und sein Team sind echte Hipster und Kreative, wie man sie in Berlin oder Hamburg erwarten würde. Marco aber hat sich dazu entschieden, in seine Heimat zurückzukehren. Das ist genau so eine Seite der Oberpfalz, wie wir sie zeigen wollen: ein erfolgreicher, junger Kreativer zieht mit seiner Firma zurück in die Heimat, anstatt in der Großstadt zu arbeiten.
Kehren denn viele zurück in ihre Heimat?
Wir sind definitiv keine Abwanderungsregion mehr, 2016 sind etwa 8.245 mehr Menschen zugewandert, als abgewandert. Aber es müssen noch mehr werden. Wir brauchen junge, erwerbstätige Fachkräfte. In unserem aktuellen Projekt "Zum Glück zurück" stellen wir Menschen vor, die sich bewusst dazu entschieden haben, in der Oberpfalz zu leben und zu arbeiten. Viele sind gebürtige Oberpfälzer, die Erfahrungen außerhalb der Heimat gesammelt haben und aus verschiedenen Gründen sei es der Liebe, der Familie oder des Berufes wegen wieder zurück gezogen sind. Diese Leute sind super wichtig, weil sie ihre Erfahrungen und Eindrücke wieder mit in die Heimat bringen und dort umsetzen und anwenden können.
Ist diese Filmagentur ein Einzelfall oder liegt die Kultur- und Kreativwirtschaft in der Oberpfalz im Trend?
Auf jeden Fall. Knapp eine Milliarde Euro Umsatz im Jahr erwirtschaften mehr als 2.200 Selbständige und Unternehmen in dieser Branche. Tendenz: steigend.
Dass ihr junge Kreative aus der Medienbranche mit eurem Online-Auftritt erreicht ist klar. Doch wie wird eure fast ausschließlich digitale Ausrichtung grundsätzlich angenommen?
Die Zahlen sprechen für sich: In diesem Jahr hatten wir von Januar bis August bereits über 190.000 Pageviews, Tendenz steigend.
Tendenz steigend, sagen Sie. Wie stark steigend?
Ziemlich. 2016, ein Jahr nach unserem Neustart, hatten wir insgesamt knapp 91.000 Page Impressions, 2017 waren es dann über das Jahr verteilt immerhin schon knapp 140.000 – und bis Ende 2018 rechnen wir mit mehr als doppelt so vielen. Die Oberpfälzer und die, die an der Oberpfalz interessiert sind, klicken gut.
Wie generiert ihr eure Reichweite?
90 Prozent unserer Reichweite generieren wir über die Socials, vor allem Facebook. Obwohl die Plattform selbst massive Einbrüche verzeichnen musste, läuft es bei uns noch sehr gut. Da aber unsere Aufgabe sehr nischig ist, gibt es kein Branchen-Benchmark. Im Grunde sind wir bei allem, was man so mitbekommt, relativ gut dabei. Unsere Fangemeinde auf Facebook ist in den vergangenen drei Jahren von 5000 auf über 16.500 Fans angewachsen. Twitter funktioniert auch recht gut und Instagram läuft super.
Wo wird oberpfalz.de mehr geklickt? In- oder außerhalb der Region?
Noch zu 80 bis 90 Prozent innerhalb der Oberpfalz.
Also zum Teufel mit den Vorurteilen, dass der Oberpfälzer immer noch am liebsten auf der Schreibmaschine tippt und nicht an das Internet glaubt?
Das will ich mal hoffen. Aber ob das für alle gilt, kann ich natürlich nicht sagen. Ich weiß jetzt nicht, ob ältere Menschen, die irgendwo auf einem Einödhof ihren Lebensabend genießen, nicht doch eher analog arbeiten würden. Grundsätzlich scheint mir die Oberpfalz in Sachen digitale Entwicklung auf einem guten Weg zu sein, denn ich glaube jetzt nicht, dass die Menschen in Regensburg oder Amberg weniger netzaffin sind als die in Berlin oder Hamburg.
Woher kommen denn diese Vorurteile gegenüber der Oberpfalz?
Weil sie über Jahrzehnte hinweg der Wahrheit entsprachen. Mit dem Niedergang der Eisen-, Porzellan-, Textil- und Glasindustrie in der Oberpfalz hat ein massiver Strukturwandel eingesetzt. Leute wurden arbeitslos und haben die Region verlassen. Heute ist der Wandel bewältigt und die Oberpfalz eine aufstrebende Region.
Nur wissen das die Wenigsten?
Es heißt, dass das Image einer Region der tatsächlichen Entwicklung um zehn Jahre hinterherhinkt. Somit wären wir aktuell, rein imagetechnisch, im Jahr 2008. Und natürlich waren die Karrierechancen 2008 nicht annähernd so gut, wie sie heute sind. Heute ist es ja fast so, dass jeder, der nicht bei drei auf dem Baum ist, einen Job haben kann. Ob dieser dann erfüllend oder gar der richtige für die jeweilige Person ist, ist nochmal eine andere Geschichte, aber es gibt Berufsmöglichkeiten hier. Vor allem Facharbeiter und Ingenieure sind extrem gesucht.
Das bestätigte vor kurzem auch die Agentur für Arbeit: Mit einer Arbeitslosenquote von gerade mal 2,3 Prozent ist die Oberpfalz unter den bayerischen Regierungsbezirken weiterhin der Spitzenreiter…
Genau diese Message müssen wir nach außen tragen und gegen das Vorurteil ankämpfen, dass es bei uns keine Jobs gibt. Aber auch in der Oberpfalz müssen wir Aufklärung betreiben.
Was meinen Sie mit Aufklärung in der Oberpfalz?
Der Oberpfälzer per se ist eher verschlossen. Bei Leuten von außerhalb kommt es natürlich besser an, wenn sie nicht ignoriert oder skeptisch gemustert werden. Das wollen wir den Oberpfälzern immer wieder in Erinnerung rufen und ihnen Mut zur Offenheit machen. Zumindest ein Stück weit.
Den Oberpfalz Marketing e.V. gibt es schon seit 2002, doch damals war die Ausrichtung weniger klar als heute, oder?
Als unser Verein gegründet wurde, um auf Bezirksebene Wirtschaftsförderung zu betreiben – und daher die Interessen der Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zu bündeln –, wusste man nicht genau, wo man hinwollte. Nichts war fokussiert und wir hatten ganz verschiedene Themen wie etwa Innovationsmanagement oder erneuerbare Energien. Eigentlich sind wir über viele Jahre hinweg auf jeden Buzzwort-Zug aufgesprungen.
Woran lag das?
Das ist bedingt durch starre Schemata, die wir bedienen müssen, um uns zu finanzieren. Für bestimmte Projekte bekommen wir über einen gewissen Zeitraum hinweg eine staatliche Förderung. Doch das sind meist Einzelprojekte wie etwa „Wirtshäuser in der Oberpfalz“, die konkret keinem strategischem Ziel gedient haben.
Und das ist jetzt anders?
Ja, 2014 durften wir unsere strategische Ausrichtung komplett ändern. Dafür haben wir zusammen mit der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden viel Marktforschung betrieben. Dabei kam dann nicht überraschend heraus, dass der Fachkräftemangel ein großes Thema wird. Also haben wir beschlossen, auf dieses Thema zu setzen und strategisch die Region als Ort für Fachkräfte zum Leben und zum Arbeiten zu positionieren.
Die Homepage oberpfalz.de ist state-of-the-art mit journalistisch hochwertigem Content – fernab von langweiligem PR-Sprech und leerem Marketing-Gedöns. Irgendwie überraschend für ein Projekt, das vom Staat gefördert wird…
Tatsächlich hat man uns alles sehr frei planen lassen, darauf bin ich auch extrem stolz.
2015 seid ihr mit neuer Adresse online gegangen. Eigentlich schon ziemlich spät…
Es war nicht nur schon ziemlich spät, sondern überreif. Da gab es dieses Internet nämlich schon eine ganze Weile. Ernsthaft: Natürlich haben wir auch schon früher das meiste online kommuniziert, aber unsere Idee, die Region digital zu vermarkten, konnten wir erst mit dem neuen Konzept in die Tat umsetzen.
Also habt ihr euch auch digital neu erfunden?
Wir haben wirklich alles komplett platt gemacht und uns digital neu gefunden.
Wie sieht denn diese digitale Neufindung aus?
Begonnen haben wir als reine Storytelling-Plattform, Analysen und Studien zeigten aber sehr schnell, dass wir auch statischen Content brauchen. Die User suchten nämlich vor allem nach Städten in der Region, Infos über den Dialekt, Gastronomie in der Oberpfalz, Schulen und Vereinen. Aus diesem Suchverhalten geht hervor, dass sich die Leute nicht nur für unseren Content und die guten Geschichten interessieren, sondern tatsächlich auch für die Infrastruktur der Region.
Oberpfalz.de ist also antizyklischer Trendsetter?
Wenn man so will. Wir sind quasi den Weg von einer Storytelling-Plattform mit fast keinem statischem Content, zurück zu einer Seite mit viel statischem Content und wenig Storytelling gegangen. Das ist schade, aber beides können wir in unserer momentanen Besetzung nicht leisten. Dafür bräuchte ich mehr Mitarbeiter. Aber der Tag wird kommen… Darauf arbeiten wir hin.
Bleiben wir beim antizyklischem Verhalten. Könnte es sein, dass die Oberpfalz auch im Digitalen gegen den Strom schwimmt und irgendwann nur noch in gedruckter Form erscheint?
Nein, das nicht. Aber wie schon erwähnt, ein paar Printprodukte wären toll, die werden wir auch sicher irgendwann haben, aber auch den digitalen Bereich wollen wir weiter ausbauen. Es gibt so viele tolle Veranstaltungen in der Region, über die überhaupt nicht berichtet wird und wenn, dann nur in der eigenen Blase. Das will ich ändern, ich möchte Teams vor Ort haben, die dann Live-Streams etablieren und über die Veranstaltungen berichten. Aber auch für diese Pläne fehlen uns momentan noch die Ressourcen.
Nach außen wirkt alles ziemlich progressiv, doch wie sieht es im Inneren aus? Ist euer Workflow ähnlich fortschrittlich wie euer Online-Konzept, oder klappt so etwas doch nicht im Herzen der Oberpfalz?
Intern haben wir komplett auf ein New-Work-Konzept umgestellt. Wir haben ein Büro in Regensburg, in dem wir unsere Meetings abhalten, aber grundsätzlich arbeiten wir komplett digital. Wir kommunizieren über verschiedene Dienste wie Slack, unser Projektmanagement wickeln wir ebenfalls über Apps wie Trello ab. Meine Mitarbeiter können von überall aus arbeiten und haben flexible Zeiten.
Das funktioniert?
Das funktioniert sogar sehr gut und wäre für einige wegen Kind und Familie anders gar nicht möglich. Auch das Konzept of New Work klappt hervorragend in der Oberpfalz, wenn man nur will.
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