Zum Beispiel?

Marketer können künftig vorhersagen, welcher Konsument vermutlich mit welchem Problem konfrontiert sein wird und ihn über das Call Center bereits zuvor kontaktieren, ehe das Problem auftritt. Wir nutzen Einstein auch für die Bereiche Collaboration und Commerce. KI birgt großes Potenzial fürs Marketing, aber auch für Sales und Services. Daher haben wir alles auf eine Karte gesetzt und mehrere Milliarden Euro investiert. Wir glauben fest daran, dass sich mit maschinen-intelligenten Systemen das Marketing und die Aufgabe des CMO noch einmal nachhaltig verändern werden.

Das Marketing wird also noch komplexer?

Im Gegenteil. Einerseits sind die Konsumenten zwar vernetzt wie nie zuvor, andererseits können wir über Einstein oder KI allgemein die Customer Journey wie ein Buch lesen. Über KI sind wir in der Lage komplexe Dinge zu vereinfachen. Jeder Marketer kann sich über die Marketing Cloud seine eigene Customer Journey zusammenstellen und dabei auf proaktive prediktive Vorschläge zurückgreifen. Das steigert die Effizienz ungemein. Der Mensch dahinter ist zwar der, der letztlich die Entscheidung trifft. Aber er hat daten- und intelligenzbasierte Entscheidungs-Cluster an seiner Seite. Zusammen mit neuen Interfaces - die uns wegführen vom Kicken hin zum Wischen - wird das Marketing vollkommen neu aufgerollt. Ich spreche hier von einer Revolution nicht Evolution: Wir bewegen uns weg von Kampagnen-Marketing hin zum kohärenten Marketing.

Was springt für den Konsumenten dabei heraus?

Wenn der Konsument sich darauf verlassen kann, dass er nur noch die für ihn relevanten Marken-Botschaften sieht, bedeutet das eine Reduktion der Komplexität. Bisher gibt es noch keinen Filter für die überbordende Anzahl an Werbebotschaften, mit denen er täglich konfrontiert wird. Facebook kuratiert die Botschaften bereits anhand der Vorlieben des einzelnen, doch ist das noch lange nicht ausgereizt. Mit KI können wir hier einen Schritt weiter gehen und die Botschaften auf ein relevantes Set vorselektieren und reduzieren. Der Marketer kann die Auswahl dafür völlig datenbasiert treffen. Heute ist das Bauchgefühl noch größer als es sein muss. Smarte Entscheidungen nehmen da einen großen Druck heraus. Gleichzeitig wird die ganze Kundenerfahrung optimiert. Firmen wie Uber und Google machen heute schon vor, was es für die Kundenerfahrung bedeutet, wenn Firmen Daten intelligent benutzen.

Von welcher Markenbotschaft haben Sie sich in letzter Zeit angesprochen gefühlt - und welcher Kanal hat dabei die Hauptrolle gespielt: Print, Online, Social?

Gut gefällt mir persönlich die Commerzbank-Kampagne. Sie ist auf allen Kanälen, aber besonders hat sie mich über Facebook erreicht und mein Markenbild aufgebaut. Aber auch auf anderen Kanälen hat sie mich angesprochen: über Email, Web, TV, Print. An einfach jedem Touchpoint, mit dem ich es zu tun hatte. Die Commerzbank hat für mich daher verstanden, dass Brands alle diese Touchpoints bespielen müssen. Selbst wenn ich am Geldautomaten bin, erkenne ich den Markenkern. Marken, die so vorgehen, lösen ein positives Image aus.

Was genau löst denn dieses positives Gefühl aus: der Mehrwert, der Service oder das tolle Entertainment, das eine Marke bietet

Mal das eine, mal das andere. Technologie hilft dabei, die Interessen und das Verhalten des einzelnen zu erfassen. Dann kann die Botschaft direkt auf seine Bedürfnisse zugeschnitten werden - vom Mehrwert bis hin zum Entertainment.

Was ist wichtiger: Der richtige Moment oder die Kreation?

Die Kreation ist immer entscheidend. Immer. Die schlechteste Kreation funktioniert in keinem Kanal. Ich treffe die Menschen in unterschiedlichen Auffassungsmomenten. Darauf zu reagieren erfordert Logik und Intelligenz. Die kann aber nur wirken, wenn die Kreation stimmt und dynamisch auf den Augenblick angepasst ist.

Welche weiteren Technologien halten Einzug in die moderne Customer Journey?

Das sind virtuelle und erweiterte Realitäten. Mit Pokemon Go haben wir erstmals erlebt, wie AR über Nacht die Massen erreicht hat. Künftig wird auch das Internet der Dinge die Journey beeinflussen. Ich habe mir gerade einen neuen Samsung Kühlschrank gekauft und sehe täglich, wie viele neue, revolutionäre Schnittstellen er dem Marketing bietet.

Welche Folgen hat es denn für das Marketing, wenn der Kühlschrank die Einkaufslisten schreibt?

Neulich habe ich einen großen Nahrungsmittelhersteller in Frankfurt besucht. Dort weiß man, dass Rezepte und Zutaten-Listen das Zentrum der Entscheidungsmatrix für ihre eigenen Produkte sind, die sie verkaufen wollen. Nach der Belegung von Food-Zeitschriften, affinen TV-Umfeldern muss ich jetzt den Kühlschrank involvieren, der anfängt Signale zu geben. Zwei Szenarien dazu: Der Kühlschrank weiß, dass meine Milch zu Ende geht. Von meinem präferierten Lebensmittelhändler bekomme ich deshalb Nachrichten, welche Milch im Angebot ist. Ich drücke den Bestellknopf - ähnlich wie bei Amazon Dash - und bekomme das Produkt geliefert. Lebensmittelhändler können außerdem Vorschläge für Menüs geben oder Mahlzeiten und dafür die Zutaten-Liste im Warenkorb platzieren.

Nett! Aber wie lange wird es dauern, dass IoT im Marketing-Mix seinen angestammten Platz findet? Oder bleibt es einem Add on für ein paar wenige Marken?

Je mehr Business Cases es gibt, desto schneller werden sich die neuen Technologien wie das Internet of Things im Marketing durchsetzen. Die Technologie steht schon bereit, der Markt muss sich nun Schritt für Schritt darauf einstellen und entsprechende Geschäftsmodelle schaffen. IoT ist eine sehr spannende Entwicklung, bei der Produktentwicklung, IT und Marketing auf einem breiten Feld zusammenkommen. Vielleicht ist der vernetzte Kühlschrank ein Nischenbeispiel, aber lassen Sie uns auf ein anderes Beispiel des Smart Home und die Vorteile von vernetzten Thermostaten schauen - ich sage nur Preventive Maintenance  und Remote Temperatursteuerung über eine App. Und wenn der Kunde es dem Hersteller erlaubt, kann dieser sich die Daten anschauen und Energiespartipps durch eine optimale Temperatureinstellung geben. Mit diesem Szenario können viele Verbraucher etwas anfangen und sehen sehr schnell den Mehrwert.

Was bleibt für die Media-Agenturen?

Ihre Rolle verschiebt sich: Weil Algorithmen die besseren Planer und Einkäufer sind, werden die Agenturen zum Berater, System- und Tool- Integrator, Technologie-Bewerter und Hüter des Storytellings. Viele Aufgaben, die sie bis dato inne hatten, werden künftig in Zusammenarbeit mit Technologie-Firmen realisiert. Im Alleingang haben sie dort keine Chance - nur über Allianzen: So kooperiert Publicis.Sapient  mit uns, um eine Customer Sales-Plattform zu integrieren. Moderne Technologie erlaubt ihnen dann eine bessere Beratung, ein besseres Storytelling, Wissensmanagement, und eine bessere Kampagnenadaption über ihre Community hinweg. Sie können Dienstleister effizienter einbinden, Analytics, Monitoring und Bewertungen optimieren.  Erst darüber ist gewährleistet, die Customer Journey von Beginn bis zum Ende zu steuern.

Haben Sie noch einen Tipp für Ihre alten Kollegen aus der Print-Branche?

Print hat eine große Herausforderung zu meistern. Nicht, was die Anzeigen anbelangt, sondern vor allem die Leserschaft. Es wird immer wenigerPprint gelesen, und das ist traurig, dann Zeitschriften sind etwas wunderbares. Der Markt schrumpft schnell, in den USA sind es etwa fünf Prozent jährlich - da steht Deutschland vergleichsweise noch gut da. Aber Print als solches wird nie mehr in ein Wachstumsgeschäft umgekehrt werden. Andererseits haben die Verlage tolle Marken und tolle, fähige Mitarbeiter: Die werden für das ehemalige Kerngeschäft sicherlich neue funktionierende Kanäle finden.

Kennen Sie schon unseren neuen Data Marketing Newsletter? W&V stellt für Sie jede Woche die wichtigsten News und Trends rund um Big Data, datengestützte Marketingkommunikation und digitale Kreation zusammen. Hier geht’s zur Anmeldung.


Autor: Irmela Schwab

ist Autorin bei W&V. Die studierte Germanistin interessiert sich besonders dafür, wie digitale Technologien Marketing und Medien verändern. Dazu reist sie regelmäßig in die USA und ist auf Events wie South by Southwest oder der CES anzutreffen. Zur Entspannung macht sie Yoga und geht an der Isar und in den Bergen spazieren.