200 Zeilen Zorn:
Wie die Werbeform Influencer-Marketing ruiniert wird
Droht dem Influencer-Marketing das Aus? Sarah Kübler hat jedenfalls genug von den falschen Versprechungen mancher Agenturen. In ihrem Gastbeitrag schreibt sich die Hitchon-Chefin ihren Frust von der Seele. Sie findet: Influencer-Marketing braucht mehr Ehrlichkeit.
Influencer-Marketing steht für manche als Synonym für Schleichwerbung. Sarah Kübler ist Geschäftsführerin der Youtube-Agentur Hitchon und hat genug vom schlechten Ruf der neuen Werbeform. Ihren Frust schreibt sich die Expertin für Influencer-Marketing in diesem Gastbeitrag von der Seele.
Ich kann ja unsere Kunden verstehen.
Sie investieren viel Geld in eine Kampagne, gehen ein Risiko ein, indem sie auf Youtube setzen und neue Werbeformen ausprobieren – und dann …? Natürlich wüsste man gern vorher, dass es klappen wird mit der anvisierten Reichweite. Klar, auch vor dem Chef lässt sich smarter argumentieren, wenn man sagt: "Die 500 000 Views haben wir garantiert." Nur: So funktioniert Influencer-Marketing nicht. Und wer anderes erzählt, macht sich und allen etwas vor.
Werbung über angesagte Künstler auf deren Kanälen ist nicht ohne Grund eines der Marketingthemen der Stunde. Social-Media-Stars, ob sie nun auf Youtube, Instagram oder Snapchat erfolgreich sind, erreichen Millionen treue Fans. Man erreicht wunderbare, neue und vor allem sehr treue Zielgruppen. Doch wer sich dafür entscheidet, eine Kampagne mit Influencern zu machen, muss auch die Unwägbarkeiten dieser Werbeform akzeptieren.
Es ist nicht seriös, eine fixe Anzahl an organischen Views zu garantieren.
Fällt die Kampagne zufällig in die ersten heißen Sommertage, ist man schnell überrascht, wie schnell die vermeintliche Generation "Durchgehend online" plötzlich doch lieber im Freibad hockt, anstatt stundenlang Youtube-Videos zu gucken. Genauso wenig lässt sich vorhersagen, ob ein gesponsertes Video bei der Community gut ankommt. Es ist schlicht nicht seriös, im Vorfeld eine fixe Anzahl an organischen Views zu garantieren. Doch genau das passiert massenhaft.
Das Zauberwort heißt "Performancebasiertes Influencer-Marketing". Kunden und Agenturen koppeln ihre Budgets an garantierte Reichweite einer Kampagne. Diese Praxis muss aufhören. Denn was ist die Folge?
Schauen wir auf ein mögliches Szenario: Eine Youtuberin soll ein neues Kosmetikprodukt bewerben. Der Kunde erhofft sich auf Basis ihrer bisherigen Videos eine bestimmte Reichweite X. Natürlich organisch, er will ja genau die Zuschauerinnen der explizit ausgewählten Youtuberin erreichen. Für diese spezifische Reichweite hat er auch einen ordentlichen TKP bezahlt. Und der liegt deutlich über den Standardwerbepreisen. Schließlich zahlt man extra für die organische Reichweite, also für eine ganz bestimmte Zielgruppe einer konkreten Youtuberin. Zudem sind in den Preisen nicht nur die Reichweite, sondern meist auch die Produktionskosten für das Video mit eingerechnet.
Statt eines Fünf-Sterne-Menüs gibt es ein aufgewärmtes Fertiggericht.
Doch schon nach kurzer Zeit stellt sich heraus: Das Video performt nicht wie erhofft und bleibt hinter den Erwartungen zurück. Die Künstlerin aber weiß: Wenn nicht Reichweite X erreicht wird, wird weniger Honorar an sie ausgezahlt. Also geht sie auf Adwords und kauft für einen günstigen TKP Views von irgendeiner Klickfarm dazu. Die Zahlen stimmen wieder. Doch organisch ist jetzt nichts mehr. Der Kunde hat ein Fünf-Sterne-Menü bestellt und bezahlt. Doch bekommen hat er ein aufgewärmtes Fertiggericht aus dem Supermarkt, das nur hübsch drapiert wurde.
In anderen Fällen sind es die Agenturen selbst, die Klicks dazukaufen. Hierbei laufen die Zukäufe dann meist etwas gezielter ab. Aber immer noch bezahlt der Kunde für eine Zielgruppe, die er gar nicht erreichen wollte. Wofür solche Kampagnen sind, kann sich jeder selbst denken.
Für die Influencer und redliche Agenturen hat diese Praxis langfristig Folgen: Wer billig Views für einen TKP von ein bis zwei Euro zukauft, um höhere Reichweiten garantieren zu können, macht die Preise für ehrliche Youtuber kaputt. Das Problem dabei sind weniger die zugekauften
Views. Das Problem ist die mangelnde Transparenz. Wer Views dazukauft, möge bitte auch ehrlich genug sein, dies dem Kunden zu sagen. Denn der bekommt dann ein völlig anderes Produkt: Statt in der spitzen Zielgruppe des ausgewählten Influencers ist man nun wieder im Bereich der klassischen Reichweitenvermarktung.
Der Markt wird versaut.
Richtig problematisch wird diese Praxis, wenn Influencer nicht mehr nur nach Reichweite, sondern nach Conversions bezahlt werden. Wie viele Nutzer haben auf einen Link geklickt? Wie oft wurde eine App installiert? So etwas funktioniert nur, wenn die Künstler ihre Zuschauer aktiv dazu auffordern, diese Aktionen auch zu tätigen. Produktplatzierungen dürfen in Deutschland laut Telemediengesetz aber nicht verkaufsfördernd sein. Da helfen auch keine ordentlichen Kennzeichnungen. Obwohl die Künstler damit potenziell teure Unterlassungserklärungen riskieren, ist es gängige Praxis.
Mit diesen Methoden, die derzeit herrschen, wird der Markt schlicht und einfach versaut. Wer die Reichweiten von Kampagnen manipuliert, Medialeistungen mit Influencer-Marketing in einer für die Kunden undurchsichtigen Art vermischt, betrügt alle Beteiligten: die Künstler, die Marken und schließlich auch sich selbst. Influencer-Marketing steht erst am Anfang seiner Entwicklung. Wenn dieses Marketingfeld langfristig funktionieren soll, brauchen wir mehr Ehrlichkeit in der Branche.
Sarah Küblers Beitrag erschien zuerst in der W&V-Kolumne "200 Zeilen Zorn" (Abo gefällig?). Auf der Dmexco spricht sie darüber, wie gutes Youtube-Marketing geht und wie nicht.