New Work:
Ein Jahr lang Vier-Tage-Woche: Was bringt's?
Das Experiment der 4-Tage-Woche brachte der Strategieberatung Vorn einige Erkenntnisse - etwa dass die Einführung für Reibung im Team sorgt. Und dass man ganz neu übers Gehalt nachdenken muss. Eine Bilanz nach rund einem Jahr.
Die Vier-Tage-Woche, ein Arbeitsmodell, das einst Zukunftsgedanke war, findet immer mehr Anklang in der Arbeitswelt. So auch bei der Strategieberatung Vorn Strategy Consulting. Theresa Schleicher (Geschäftsführerin) und Frieda Bellmann (Mobility Expert & Director of Human-Centered Innovation) mit einem Realitätscheck, ein Jahr nach Einführung.
Im Juni 2020 haben wir uns bei Vorn Strategy Consulting für eine Vier-Tage-Woche entschieden. Zuerst haben wir das Ganze sechs Monate auf Machbarkeit geprüft, uns eine eigene "Probezeit" genommen. Denn gerade die ad hoc-Umstellung von einer Fünf- auf eine Vier-Tage-Woche ist nicht einfach. Allerdings sind wir der festen Überzeugung, dass so heutzutage gearbeitet werden muss. Vier Tage Arbeit und dann drei Tage Zeit für sich, die Familie, die Freunde und die Freizeit. Gerade in der für viele auch mental schwierigen Coronazeit hat uns das sehr geholfen.
In der Praxis
Wir arbeiten alle gemeinsam von Montag bis Donnerstag in einer 32-Stunden-Woche. Der Freitag ist der freie Tag für uns alle.
Die Vier-Tage-Woche ist für uns Ausdruck unserer Kultur. Wir haben ein hohes Vertrauen in die Eigenständigkeit der Menschen und wir merken, dass Mitarbeiter:innen entspannter, motivierter und oft klarer in ihren individuellen Themen sind. Ob wir sinkende Krankheitstage und eine schwindende Fluktuation darauf zurückführen können, wird sich noch zeigen. Gewisse Effekte werden sich sicher auch erst nach einer langfristigeren Betrachtung genauer bestimmen lassen.
Durch das Verhältnis von vier Tagen Arbeit und drei Tagen Freizeit schaffen wir einen guten Ausgleich und geben der Arbeit eine andere Gewichtung in unserem Leben. In den vier Tagen arbeiten wir effizienter und intensiver. Wir verzichten auf unproduktive Abstimmungs-Meetings und wählen schnellere Wege. Auch haben wir mehr Austausch, z.B. persönliche Freitagsgeschichten rund um neue Sportarten, Seminare oder spannende Bücher. Einen Tag mehr in der Woche für sich und seine Themen zur Verfügung zu haben und dabei die Freiheit zu haben, dem nachzugehen, was man gerne macht oder immer schon machen wollte, beeinflusst uns nachhaltig positiv – als Unternehmen, aber auch persönlich. Gerade in unserem Bereich ist es wichtig, sich über die neusten Themen mit anderen Thoughtleader:innen auszutauschen und zu netzwerken. Da hilft der Freitag meist für gemeinsame Treffen, die sonst in einem "normalen Arbeitsalltag" neben dem Berufs- und Privatleben keinen Platz mehr finden würden.
Wenn wir über eine Reduktion von Arbeitszeit sprechen, landen wir natürlich auch beim Thema Gehalt. Da die Produktivität trotz weniger Arbeitszeit nicht 1:1 abnimmt, haben wir uns gemeinsam entschieden, bei 80 Prozent der herkömmlichen Arbeitszeit einen Gehaltsanteil von 90 Prozent des ursprünglichen Gehalts zu realisieren. Die Urlaubstage hingegen werden prozentual (80 Prozent) von den festgelegten 30 Tagen abgezogen. Auch Teilzeit-Jobs sind in einer Vier-Tage-Woche möglich, solange es im Einklang mit der Produktivität funktioniert.
Ein Lernprozess für alle Beteiligten – Probleme inklusive
Natürlich läuft die Einführung eines neuen Arbeitsmodells nicht komplett reibungslos. Gerade zu Beginn zeigten sich Probleme. Gerade Mitarbeiter:innen, die schon in Teilzeit waren oder den Rhythmus von Montag bis Donnerstag aufgrund ihrer familiären Situation nicht umsetzen konnten, fühlten sich nicht berücksichtigt. Wir haben also individuelle Arbeitsmodelle geschaffen, die auch nicht jede:n von Anfang an glücklich gemacht haben. Die Corona-Krise kam zusätzlich erschwerend hinzu und so musste neben Homeoffice und Homeschooling noch die Umstellung auf die Vier-Tage-Woche verdaut werden.
Vier Tage effektives Arbeiten und drei Tage Zeit für sich, Familie, Freizeit oder Weiterbildung. – Ich bin der festen Überzeugung, dass so heutzutage gearbeitet werden muss.
Es war ein Lernprozess zu sehen, was wir in vier Tagen schaffen und was nicht. Und natürlich mussten auch unsere Kund:innen auf diese Reise mitgenommen werden. Hierbei ist eine klare Kommunikation eine Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Zusammenarbeit. Wir haben das Glück, dass sich unsere Kund:innen darauf eingelassen haben und uns teilweise sogar als Inspiration für ihre eigene Arbeitswelt sehen.
Lesson learned: Der Mensch im Mittelpunkt
Aus der Führungsperspektive heraus bedeutet das, auch einfach mutig zu sein, neue Dinge auszuprobieren und Kontrolle abzugeben. Das bedeutet vor allem den Glauben und das Vertrauen in die eigenen Mitarbeiter:innen. Eine Neustrukturierung des Arbeitsalltags, die gemeinsame Lernreise und die Erfahrung in einer neuen Arbeitswelt braucht Entschlossenheit, aber auch Anpassungsfähigkeit auf allen Seiten.
Unternehmen, die über die Einführung eines solchen Arbeitsmodells nachdenken, sollten sich direkt zu Beginn damit auseinandersetzen, welche Konditionen es anbietet und diese klar definieren. Dabei gilt es, die Bedürfnisse der einzelnen Mitarbeiter:innen, wie den Arbeitstag, Arbeitsdauer, Zeitpunkt von Arbeitsanfang und -ende zu berücksichtigen, gleichzeitig die Produktivität und den finanziellen Erfolg des Unternehmens im Blick haben. Deshalb ist es unabdingbar als Verantwortliche:r Vorarbeit zu leisten.
Der Blick in die Zukunft
Eine Drei-Tage-Woche wird sicher nicht kommen. Was die Vier-Tage-Woche letztlich abbildet, ist eine höhere Wertschätzung gegenüber dem Privatleben. Und das kann ganz unterschiedliche Formen haben. Das können zukünftig Teilzeit/Sharing-Jobs oder Weiterbildungsangebote sein. Mit Blick auf den Arbeitsort können es flexible Modelle oder hybride Modelle aus Office und Homeoffice sein, die Auslagerung in Co-Working Spaces, Workation-Programme oder der "Digitale Nomaden"-Ansatz. In Zukunft werden sich viel mehr Unternehmen mit der Frage beschäftigen (müssen): Wie geben wir den Mitarbeiter:innen das, was sie brauchen, um Beruf und Alltag gut miteinander zu verbinden?
Gerade die Themen "Work-Life-Blending", also das Verschmelzen von Berufs- und Privatleben sowie Remote Work werden nach der Rückkehr zum Arbeitsplatz für viele Mitarbeiter:innen gefragt sein. Insgesamt wird es einfach immer wichtiger werden, die individuellen Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum der Arbeitsmodelle und -formen zu stellen.
Zu den Autorinnen:
Theresa Schleicher ist Geschäftsführerin von Vorn Strategy Consulting in Berlin. Sie ist Markenstrategin und Zukunfts-Enthusiastin, die mit Gespür und innovativen Werkzeugen die Strategien für morgen entwirft.
Frieda Bellmann ist Director of Human-Centered Innovation bei Vorn Strategy Consulting in Berlin. Sie ist Expertin, wenn es darum geht, die Veränderung in der Mobilität voranzutreiben. Bei Vorn arbeitet Frieda Bellmann nach einem menschen-zentrierten Ansatz, der ermöglicht, wegweisende Konzepte für die Mobilität der Zukunft zu entwickeln, die echte Probleme lösen.