Protestbrief gegen die "allgemeine Mutlosigkeit":
"So können wir nicht mehr weitermachen"
Mehr Möglichkeiten für kreativere Lösungen. Eric Schoeffler, Havas Executive Creative Director Europe & Chief Creative Officer Group Germany, über die Potenziale einer neuen Art von Markenkommunikation. Ein Kommentar
Cannes 2017 – over and out. Was bleibt, ist eine Debatte über horrende Kosten und die Sinnhaftigkeit des Festivals. Und das sicher nicht zu unrecht. Gründe, wie es zu dieser Entwicklung kam, gibt es viele. Deshalb wurde kaum über das gesprochen, was Cannes und letztlich unsere gesamte Branche ausmachen muss: wegweisende und inspirierende Ideen, die uns alle herausfordern und motivieren, einen noch besseren Job für unsere Kunden zu machen.
Denn es sind genau diese Ideen, die uns Menschen in den Bann ziehen, die etwas Technischem Emotion verleihen, etwas Kompliziertem Einfachheit oder etwas Austauschbarem Mehrwert geben. Es sind diese Ideen, die es schaffen, Menschen von Marken zu begeistern und Menschen und Marken miteinander zu verbinden. Wir als Branche müssen uns natürlich – zusammen mit unseren Kunden – immer wieder die Frage stellen, wie weit unsere Arbeiten diesem Anspruch wirklich gerecht werden.
"Ein Werbeblock im TV ist ziemlich unerträglich"
Und sind wir mal ganz ehrlich zu uns selbst: Ein Werbeblock im TV ist ziemlich unerträglich, die Banner, die mich auf Facebook anschreien, wollen mir Sachen verkaufen, die ich nie wollte oder längst besitze und auch in allen anderen medialen Umfeldern fühle ich mich eher selten wirklich überrascht oder begeistert. Kauf mich! – ja, Lieb mich! – eher selten. Dabei sind die Möglichkeiten größer, schöner, bunter, vielseitiger und faszinierender denn je. Technisch ist fast alles möglich und die digitale Infrastruktur lässt es zu, jeden jederzeit zu erreichen. Die Frage ist nur womit? Und da sind wir wieder beim Kern des Ganzen.
"Content wird täglich 3 Milliarden Mal geteilt"
Bitte mit etwas, was Mehrwert hat. Das entweder nützlich oder unterhaltsam ist und idealerweise so kreativ, dass es auch in Cannes reüssiert. Das ist auch dringend notwendig in einer Welt in der zur Zeit täglich bis zu 3 Milliarden (genau, die Drei mit den neun Nullen) Stücke Content geteilt werden. Das zeigt einerseits, wie groß die Bereitschaft der Menschen ist, Dinge, die ihnen gefallen, zu teilen. Andererseits aber leider auch, wie groß die Gefahr ist, mit einer durchschnittlichen Idee erst gar nicht aufzufallen. Trotzdem scheint es eine allgemeine Mutlosigkeit zu geben, neue Chancen zu suchen.
"Marketingmanager tauschen Standorte und Abteilungen wie Profifußballer Vereine"
Kunden stecken sicher in einem Dilemma, den Spagat zwischen kurzfristigen Um- oder Absatzzielen und langfristiger Markenstrategie hinzukriegen. Karrierepläne in großen Unternehmen lassen Marketingmanager heutzutage die Standorte und Abteilungen wechseln, wie Profifußballer die Vereine. Die (rhetorische) Frage stellt sich, ob es der richtige Weg ist, austauschbare Produkte mit austauschbarer Reklame in GRP-sichere Mediapläne zu schrauben.
"Influencer leisten wenig für den Markenwert"
Genauso rhetorisch, ob es sinnvoll und nachhaltig es ist, Geld in Celebrities oder YouTube Influencer zu investieren, wenn sie völlig losgelöst einer wirklichen Strategie letztlich wenig für den Markenwert leisten. Dabei gibt es Marken, die das Potenzial des Branded Entertainments erkannt und verstanden haben. Natürlich ist da der Frontrunner Red Bull und sicher auch Lego, die mit dem „Lego Movie“ in komplett neue Sphären vorgedrungen sind (das "Lego Movie"-Universum besteht aus dem "Lego Movie" von 2014, dem in diesem Jahr mit dem "Lego Batman Movie" und dem "Lego Ninjago Movie" zwei weitere Kinofime gefolgt sind, 2019 soll zudem die Fortsetzung des "Lego Movie" folgen. Unzählige weitere Abenteuer mit den Lego-Superhelden gibt es im Netz. D. Red.)
Im September kommt der dritte "Lego"-Film ins Kino
Doch langsam stoßen auch immer mehr große internationale Marken wie PepsiCo, Mondelez oder Chipotle in dieses neue Feld und verändern Kommunikation und Marketingpläne. An dieser Stelle möchte ich auch meinen alten Kunden, die Deutsche Telekom erwähnen, die es immer wieder geschafft hat, mit ihren Agenturen mutige, neue Wege, basierend auf ihrer Strategie „Erleben was verbindet“ / „Life is for sharing“ zu gehen.
Diese Projekte haben stets auf den Markenwert eingezahlt, egal ob es ein Event (Singalong), ein Spiel (Sea Hero Quest), oder ein 120 Minuten langer Spielfilm ist (Move-On).
T-Mobile Sing-along
Deutsche Telekom Sea Hero Quest
Deutsche Telekom Move On - Trailer
Das sind Markenerlebnisse, die Menschen begeistern und die konsequent dazu beitragen, dass sich das Markenbild verbessert. Die unbequeme Seite der Medaille: Eine derartige Content-Strategie entwickelt sich nicht von selbst. Man braucht gemeinsame Anstrengungen, Energie und Hartnäckigkeit bis man herausgefunden hat, welche Geschichten die Marke erzählen, welche Anlässe sie nutzen und welche Themen sie für sich besetzen sollte. Die Marke muss sich zu einem Experten darin entwickeln, den Menschen zuzuhören, sie einzubinden und die Erkenntnisse in Markenerlebnisse entlang der kompletten Customer Journey umzuwandeln.
Die Zukunft von Havas und Vivendi
Unser zukünftiger Ansatz bei Havas wird sein, durch die Verschmelzung von Kreation, Media, Data und Entertainment genau diese Form von Markenerlebnissen für unsere Kunden zu entwickeln. Die zukünftige Zusammenarbeit mit Vivendi wird dem Ganzen einen extra Boost geben. Da es kein Schema F geben wird, gilt unser Credo der Kollaboration (to better together) nicht nur nach innen, sondern ist auch der Schlüssel zum Erfolg zur Zusammenarbeit mit unseren Kunden und Partnern.
Agenturen müssen bei der Produktentwicklung schon früh dabei sein
ADC-Präsidiumssprecher Stephan Vogel hat während des ADC Festivals 2017 laut und deutlich gefordert, dass Kunden die Agenturen wesentlich früher in den Produktentwicklungsprozess integrieren, statt nur die fertigen Produkte bewerben zu lassen. Dem kann ich nur zustimmen. Denn wer darauf trainiert ist, Insights zu entdecken und diese kommunikativ zu emotionalisieren, der weiß auch, was Menschen bewegt und wo Bedürfnisse noch nicht bedient sind. Aber auch wenn wir in diesem Bereich nicht involviert werden – der Weg bis zum „Point of Purchase“ ist mittlerweile so lang und breit und hat so viele Kreuzungen und Abbiegungen, dass wir ihn vielseitig mit schlauen und begeisternden Ideen pflastern können.
Letztlich wird, so wie es schon immer war, die Idee ausschlaggebend für den Erfolg sein. Der Unterschied ist jedoch, dass wir es nicht mehr so machen können, wie wir es immer gemacht haben. Ich lass zum Schluss einfach jemanden sprechen, der es wesentlich besser weiß als ich: „Die Kreation muss gründlich durchdacht sein, in den Köpfen der Menschen hängen bleiben, sie einbeziehen und unterhalten“, so Sir John Hegarty.