Gastbeitrag von Peter Kiefer, Punch:
Es geht auch ohne den Brand Purpose Nachhaltigkeit
Nachhaltiges Handeln gehört zu den wichtigsten Themen unserer Zeit - das haben auch Marken erkannt. Aber sollten sie wirklich den Brand Purpose Nachhaltigkeit kommunizieren? Unser Gastautor findet das nicht.
Hitzewellen in den USA und Kanada, Flutkatastrophen in Deutschland und Italien. Nachhaltigkeit und nachhaltiges Handeln sind zu den wichtigsten Themen unserer Zeit geworden.
Auch Marken haben das erkannt: Nachhaltigkeitskommunikation ist überall. Aber sollten Marken wirklich den Brand Purpose Nachhaltigkeit kommunizieren? Auch wenn es nicht besonders populär ist: Ich glaube nicht.
Natürlich gibt es Marken, für die das Thema Nachhaltigkeit eine fundamentale Rolle spielt. Für Oatly. Oder für The Vegan Butcher. Sie sind aus einem Nachhaltigkeitsgedanken geboren und differenzieren sich (aktuell) darüber. Aber für die meisten anderen Marken ist reine Nachhaltigkeitskommunikation ein gefährlicher Weg. Wieso sage ich das, obwohl für immer mehr Menschen Nachhaltigkeit ein wichtiger Entscheidungsfaktor beim Kauf geworden ist, von der gesellschaftlichen Verantwortung von Marken ganz zu schweigen? Es gibt drei Gründe:
Grund 1: Achtung vor falschen Versprechen
Das Offensichtlichste zuerst: Insbesondere für große Marken ist es schwer, nachhaltig zu handeln. Gewachsene Strukturen, viele Zulieferer und hohe Kosten machen nachhaltiges Handeln und dessen Kontrolle zur Herausforderung. Deswegen sieht es auch in vielen Fällen düster aus, wenn man hinter die Kulissen der schicken Nachhaltigkeitskommunikation schaut. Ich mache den Marken dabei explizit keinen Vorwurf. Das nachhaltige Umstellen von Geschäftsstrukturen geht nicht von heute auf morgen. Aber gebe ich ein solches Versprechen, muss ich es einhalten. Andernfalls mache ich mich angreifbar und lande negativ in den Schlagzeilen. IKEA kann davon derzeit ein Lied singen: Journalisten recherchierten, dass bei IKEA Zulieferern – trotz gegenteiligem Versprechen – nicht alles Holz 100 Prozent nachhaltig erzeugt wurde. Das schadet massiv, egal ob IKEA hier überhaupt eine Mitschuld trägt, oder nicht.
Grund 2: Differenzierung adé
Mit Angreifbarkeit kann man umgehen. Man könnte betonen, dass die Marke einen Anspruch verfolgt und sich auf dem besten Weg dahin befindet. Absolute Transparenz hilft und kann Glaubwürdigkeit in Bezug auf nachhaltiges Handeln vermitteln, die die Konsumenten einfordern und auch belohnen. Allerdings: Kommunikation ist unter anderem dafür da, Marken zu differenzieren. Und es ist bekannt, dass Konsumenten selten mehr als eine Werbebotschaft aufnehmen. Wenn nun alle Marken den Fokus kommunikativ auf dasselbe Nachhaltigkeitsthema legen, führt dies unweigerlich in die Austauschbarkeit. Weitere Botschaften bleiben auf der Strecke. Dasselbe würde passieren, wenn alle Biermarken plötzlich den Fokus auf das Reinheitsgebot legen würden. Oder alle Shampoo Marken nur noch über glänzendes Haar sprächen. Durch das Angleichen der Botschaften gibt es über kurz oder lang keine anderen durch Kommunikation geschaffenen Assoziationen mehr und damit keine Gründe, die eine Marke der anderen vorzuziehen. Die Nachhaltigkeitsbotschaft ersetzt schlichtweg den Rest.
Grund 3: Weniger Geld für den eigentlichen Job
Diese Erkenntnis bringt mich zu meinem dritten Grund: Denn all das wäre kein Problem, hätten Marken unendlich viel Budget. Dies ist jedoch nicht der Fall. Budgets werden im Normalfall nicht erhöht, nur weil es eine zusätzliche, wichtige Botschaft zu platzieren gilt. Nur zu oft müssen sich Marketers entscheiden: Kommuniziere ich den neuen, nachhaltigen Brand Purpose mit genug Invest, um eine Veränderung in der Wahrnehmung der Konsumenten auf Markenebene zu erreichen? Dann muss automatisch Budget aus der restlichen Kommunikation abgezogen werden. Kommunikation, die sich typischerweise bisher darauf konzentriert hat, Category Entrypoints zu besetzen, Mental Availability in der Kaufsituation zu erzeugen und den Mehrwert eines Produktes oder einer Marke in Abgrenzung zum Wettbewerb zu penetrieren. Diese wird durch Kommunikation ersetzt, deren Kernbotschaft nur eines ist: Nachhaltigkeit. Aber sobald alle Marken einer Kategorie den Nachhaltigkeitsaspekt kommunizieren, fehlen diese weiteren Botschaften schlichtweg. Budget wird so – zumindest in nicht allzu ferner Zukunft – in nicht differenzierende Kommunikation gesteckt, was dazu führt, dass das Budget an anderer Stelle fehlt. An der Stelle, die durch differenzierende, bedürfnisorientierte Marken- und Produktkommunikation Nachfrage erzeugt. Und Konsumenten regelmäßig daran erinnert, dass die eine Marke ein spezielles Bedürfnis besser befriedigt als eine andere.
Der Gegenentwurf heißt nicht Turbokapitalismus
Was sollten Marken also tun? Weiter wie bisher und sich aus der Verantwortung stehlen? Auf keinen Fall! Der Gegenentwurf muss anders lauten: Auf Unternehmens- und Produktebene muss alles dafür getan werden, dass unsere Kinder eine lebenswerte Welt und Zukunft haben können. Von Sourcing bis zum Materialeinsatz und Logistikketten sollten Unternehmen alles tun, um nachhaltiger zu werden. Es muss sich etwas ändern. Und das darf und sollte sich auf dem Produkt, in der Presse oder auf Webseiten von Unternehmen wiederfinden. An Orten, an denen sich Konsumenten aktiv informieren. Nicht als einzige Werbebotschaft.
Allerdings ist eine Sache klar: Diese Veränderung kostet Geld. Da wenige Unternehmen gerne auf Gewinn verzichten, muss also mehr erwirtschaftet werden. Starke, differenzierte Marken, die konsequent Category Entry Points besetzen, Mental Availibility aufbauen und aufrechterhalten helfen dabei, indem sie Nachfrage erzeugen. Und wenn im Moment der Kaufentscheidung eine nachhaltige Verpackung oder ein Siegel den letzten Ausschlag für die eigene Marke geben, umso besser. Das Gute daran ist: Je mehr Nachfrage eine Marke erzeugt, desto mehr Geld kommt in die Kasse, desto besser können Unternehmen auch wirklich nachhaltig handeln.
Oder viel einfacher gesagt: weniger über Nachhaltigkeit reden, mehr nachhaltiges Handeln ermöglichen. Denn es geht nicht um einen schön erzählten Purpose, sondern echten, nachweisbaren Impact. Das wissen auch die Konsumenten.
Über den Autor
Peter Kiefer ist Geschäftsführer der Marketingstrategieberatung PUNCH.
Nachhaltigkeit und Purpose sind auch ein großes Thema der diesjährigen Screenforce Academy von 19. - 21. Oktober. Hier geht es zur Anmeldung.