Interview:
So kommt die Marktforschung aus der Langweiler-Ecke
Sie sehen einen Spot und bekommen schwitzige Hände? Gut möglich, dass Ihnen die Botschaft gefällt - oder Sie die Marke hassen. Emotionsforscher Oliver Spitzer über die spannenden Feinheiten seines Handwerks.
Marktforschung ist meist eine trockene Angelegenheit. Bis Emotionen ins Spiel kommen - dann schillert der untersuchte Markt in allen Farben. Und es lassen sich konkrete Handlungsanweisungen ableiten. Oliver Spitzer, Managing Partner beim Emotionsforscher September, erklärt, welche das sind.
Konkrete Handlungsempfehlungen sind für Sie wichtiger als "schöne Forschung": Was verstehen Sie darunter?
Ganz ehrlich: Viele Marketer finden Marktforschung todlangweilig – ab und an zu Recht. Sogar Studien mit spannenden Insights verstauben in den Schubladen, wenn Forscher diese mal wieder hinter dicken Tabellenbänden verstecken. Vollblut-Marketer ticken eben anders als viele Forscher. Einige meiner Kollegen bei September haben wie ich früher selbst in Werbeagenturen wie BBDO und Grey gearbeitet, daher wissen wir aus eigener Erfahrung, was das Marketing wirklich interessiert.
Wie unterstützen Sie mit Neuroforschung das Marketing?
Emotionen lassen sich, dank der Evolution, am Körper ablesen. Für das Auge sind sie unsichtbar, aber messbar - wenn man weiß wie es geht. Um emotionale Prozesse zuverlässig zu messen, muss man verschiedene Methoden kombinieren. Deshalb messen wir gleichzeitig den Herzschlag, den Blutdruck, den Hautleitwert und die unsichtbaren Mikroexpressionen im Gesicht. Nur die Aktivierung messen, nur die Mimik filmen: das wäre zwar einfacher, aber man erhält so keine eindeutigen Resultate. Aus den Messdaten errechnen wir dann die emotionalen Muster, die fürs Marketing wichtig sind: Relevanz, Attraktion, Sympathie, Nähe, Vertrauen, Skepsis und Stress. Außerdem führen wir immer auch tiefenpsychologische Interviews, damit wir die Story hinter den Messwerten herausarbeiten können.
Haben Sie ein Beispiel?
Als wir einen TV-Spot von Otto analysierten, kritisierten viele Befragten eine Szene, in der die Hauptdarstellerin gegen gesellschaftliche Konventionen verstößt. Doch die Werte der Emotionsmessung zeigten an diesem Punkt stark positive Reaktionen vor allem bei den Frauen. So konnten wir tiefenpsychologisch gezielt nachbohren und fanden, dass sich die Frauen emotional sehr gut mit der Heldin identifizieren konnten, aber später rational auf Distanz gingen. Die tatsächliche innere Emotion beim Sehen kann sich also deutlich von der später erzählten, intellektuell "zensierten" Version unterscheiden! Mit kleinen Änderungen in einer Szene ist es dann möglich, die emotionale Zustimmung und damit die Werbewirkung gezielt zu verstärken. Genau solche Ergebnisse machen die Emotionsforschung für die Marketing-Praxis so wertvoll.
Wie lange dauert der Messprozess?
Bei einem 30-Sekünder dauert der Messprozess 30 Sekunden. Das heißt, wir messen die empfundenen Emotionen immer live, während die Menschen einen TVC sehen, einen Funkspot hören oder einen Text lesen. Es gibt also keine Verzerrung durch die Erinnerung, sondern Realtime- Daten zur emotionalen Dramaturgie. Das funktioniert auch bei Logos, Anzeigen und Plakaten, wo wir drei Phasen der Wahrnehmung unterscheiden und trennscharf messen können. Die Vorbereitung für die Emotionsmessung braucht nur ein paar Minuten. Dabei zeigen wir beispielsweise TV-Spots nie einzeln, sondern immer im gesamten Werbeblock, manchmal auch in reale Sendeumfelder eingebettet. Die Teilnehmer verbringen also im Schnitt 20 Minuten in der Emotionsmessung. Danach geht es zum tiefenpsychologischen Interview, um die psychischen Auslöser der gemessenen Emotionen zu finden. Insgesamt dauert eine Messung inklusive Interview meist 90 Minuten.
Was sind die wichtigsten Codes?
Bei der Emotionsforschung gibt es keine unwichtigen Werte. Ein hartnäckiges Vorurteil sagt beispielsweise, Werbung muss vor allem aktivierend sein. Aktivierung misst man beispielsweise über den Hautleitwert, also die Schweißbildung an den Händen. Man muss aber wissen, dass Begeisterung und Stress genau die gleiche Reaktion auslösen. Ein hoher Hautleitwert kann also alles Mögliche bedeuten, das wird erst im Zusammenhang klar. Mit unserer Heart.facts-Emotionsforschung erkennen wir die feinen emotionalen Nuancen, die den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg im Marketing ausmachen.
Was wird noch gemessen?
Relevanz ist zum Beispiel eine Voraussetzung für einen erfolgreichen Spot. Aber sie tritt niemals alleine auf. Wenn Relevanz mit Nähe gepaart ist, kann das schon bestehende Marken-Präferenzen festigen, aber solche Spots reißen einen meist nicht vom Hocker. Wenn dagegen Relevanz zusammen mit Stress auftritt, zeigt das eine hohe innere Spannung an. Je nach Kreativ-Strategie kann dieser Effekt bewusst eingesetzt werden. Mercedes hat das mal in einem tollen Spot gemacht, um bei Porsche-Fahrern Zweifel zu wecken, ob sie wirklich noch das schnellste Auto fahren. Besonders erfolgreiche Spots schaffen es innerhalb von 20, 30 Sekunden, unterschiedliche Emotionen zu triggern und auf dem Höhepunkt mit der Marke zu vereinigen. Das ist wie bei einem richtig guten Koch, der aus verschiedenen Aromen ein faszinierendes Geschmackserlebnis zaubern kann, mal scharf, mal würzig, mal süß.
Das Otto-Beispiel zeigt ja schon ganz gut, wie Neuroforschung die Kreation beeinflusst. Gibt es noch andere Erfolgs-Cases?
Für einen großen Kaffeehersteller durften wir beispielsweise herausfinden, welche Signale eigentlich eine Qualitätswahrnehmung auslösen. Ist es die frisch gebrühte Tasse Kaffee, sind es die Bohnen, das Herkunftsland, die Röstung, die Verpackung, die Zubereitung, das Testimonial oder noch etwas anderes? Mit diesen Insights kann unser Kunde nicht nur eine einzelne Kampagne optimieren, sondern die Marketing-Wirkung insgesamt verbessern.
Für einen Online-Dienst untersuchen wir, welche Emotion beim Freigeben von Daten hilft. Daten sind das Gold des 21. Jahrhunderts. Die Frage, wie freigiebig oder restriktiv die Menschen damit umgehen, ist also wirtschaftlich von enormer Tragweite für dieses Unternehmen. Wenn die Menschen kurz zögern, ob sie einen Button drücken und Daten freigeben wollen, dann ist das in erster Linie eine emotionale Entscheidung.
Ein letztes Beispiel: Für Bosch haben wir untersucht, wie ein emotionales Branding bei Installateuren aussehen muss, also in einer Zielgruppe, die angibt allergisch gegen die eigenen Emotionen zu sein. Wir haben dafür aus drei verschiedenen Konzepten Presseartikel gemacht: Fake-News sozusagen. Diese haben wir der Zielgruppe zu lesen gegeben und die emotionale Reaktion dabei gemessen. Hier wurde ganz deutlich, welche Formulierungen wirkten und welche den Installateuren gegen den Strich gegangen sind. Nur so viel: Mit dem üblichen Marketingsprech fängt man in dieser Zielgruppe keine Mäuse!
Welche Learnings für Kampagnen lassen sich allgemein durch Emotionsforschung ableiten?
Mit der Emotionsforschung kommt man näher ans Unbewusste der Konsumenten heran als mit jeder anderen Methode. Und dort liegt der Schlüssel für die Werbewirkung. Eine wichtige Erkenntnis ist: Jeder von uns hat zwei Seelen in seiner Brust, die ständig miteinander im Streit liegen. Das Selbst initiiert unsere Handlungen und kämpft für die eigenen Wünsche, das Ich zensiert das Verhalten, indem es für die Werte und Normen kämpft. Wenn uns das Marketing von solchen inneren Konflikten entlastet, kann es besonders wirkungsvoll sein. Zum Beispiel, wenn eine Food-Marke einer Mutter signalisiert: "Ja, Du bist manchmal genervt von Deinen Kindern. Aber das ist okay, Du musst nicht immer perfekt sein, Du kannst dieses Gefühl ruhig mal zulassen und trotzdem eine tolle Mutter sein. Und so helfen wir Dir dabei ... ". Mit der Emotionsforschung können wir genau sehen, ob eine Kampagne diesen Punkt getroffen hat.