Social Media:
Überleben in der Kommentar-Hölle: Marken im Social Web
Und täglich grüßt der Shitstorm: Die Aufregungskultur im Social Web macht es vielen Marken schwer, dort konstruktiv zu kommunizieren. Experten bezweifeln, ob Facebook überhaupt der richtige Ort für den Dialog ist. Oder braucht es in der Community einfach nur strengere Diskussionsregeln? Trnd-Forscher Martin Oetting hat eine interessante Begründung dafür....
Sascha Lobo ahnte es schon: Eine produktivere Diskussionskultur im Social Web werde wohl ein frommer Wunsch bleiben, sagte er vor knapp einem Jahr im W&V-Interview. Er sollte Recht behalten. Shitstorms um Currywürste und Eistee-Verpackungen, ruinierte Karrieren wegen geschmackloser Twitter-Witze und jede Menge Aufregung um Stinkefinger und Slomka-Fragen sind weitere Meilensteine der digitalen Empörungskultur. Muss die ganze Hysterie eigentlich sein? Geht Social Media irgendwann an der eigenen Aufregung zugrunde? Oder ist alles ganz normal?
In der Branche gehen die Meinungen darüber auseinander. Unternehmensberater Nico Lumma, ehemals Social-Media-Chef von Scholz & Friends, zeigt sich ernüchtert: "Internet-Romantiker wie ich denken gerne an die gute alte Zeit zurück, in der man noch davon ausging, dass sich im Netz eine völlig neue Diskussionskultur entwickeln würde, die sich nicht an Herkunft oder Status der Diskussionsteilnehmer orientiert, sondern sich auf das geschriebene Wort fokussiert". Man habe auf "mehr Offenheit in der Auseinandersetzung, aber auch auf mehr Konzentration auf inhaltlichen Themen" gehofft. Davon sei aber wenig übrig geblieben. Lumma hat dazu am Mittwoch auch gebloggt ("Die Sache mit dem ungenutzten Potential des Social Web").
Was bleibt also von der "Kommunikation auf Augenhöhe", die sich Marken und Medien im Social Web gern auf die Fahne schreiben? "Ich fand diese Idee immer schon eher doof", sagt Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach. Der Chef-Digitalstratege von Achtung in Hamburg bezweifelt, dass sich eine Marke "wirklich so weit runterbeugen will, um die Augenhöhe zu erreichen". Facebook beispielsweise sei für Marken eher eine Plattform zur Inszenierung, weniger ein Gesprächsforum. Relevante Dialoge könnten Unternehmen besser mit einzelnen Bloggern führen. Bei der Agenturgruppe Fischer Appelt sieht man das ähnlich. "Nicht alle Konsumenten sind bereit, auf das Gesprächsniveau von Unternehmen 'aufzusteigen', umgekehrt ist es für viele Unternehmen sowohl schwierig wie auch wenig erstrebenswert, sich auf das Gesprächsniveau mancher Trolle hinabzubeugen", so Social-Media-Chef Johannes Wedenigg.
Martin Oetting, Mitgründer der Marketing-Community Trnd, rät Unternehmen zu einer klaren Positionierung. Entweder man fahre die "harte Linie" und betrachte Kommentare als nerviges Übel, für das man keine Ressourcen verschwende - das könne für manche Plattformen durchaus die richtige Wahl sein. Oder man steige nach klaren Regeln in den Dialog ein. In seiner eigenen Community-Arbeit praktiziert Oetting natürlich die zweite Variante. Das funktioniere aber nur, wenn jeder Beteiligte wisse, welches Verhalten toleriert wird und welches nicht.
Harte Regeln für Social-Media-Konversation: damit tun sich viele digitale Freigeister schwer. "Es gibt in Deutschland schon genug Regeln", stöhnt ein Hamburger Agenturchef. Auch Sascha Lobo ist "kein Freund von Gebots-Forderungen". Das bekomme "so schnell einen muffig riechenden Hilfsknigge-Charakter", sagte er im W&V-Interview. Community-Experte Oetting sieht das anders: "Gemeinschaft entsteht nur dann, wenn man auch gemeinsame Regeln hat".